Verschwendungsfreie Produktion : Lean Production: Wie Unternehmen mehr aus Six Sigma, Kaizen und 5S holen

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In der Unterpremstättener Fertigung spielt nicht gerade der Zufall Regie. 500 Analogingenieure sind beim Halbleiterhersteller ams auf das Prinzip der Nullverschwendung eingeschworen - den Effizienzcodex niemals außer Acht zu lassen ist Teil der Erfolgsstory: Um mit Qualität zu punkten - unter zehn Millionen ausgelieferten Teilen ist nur ein defekter. Und um am Weltmarkt gegen preislichen Druck zu bestehen. Autonom agierende Maschinen tragen nicht unwesentlich zum Erfolg bei: Die Verschwendung von Material und Zeit senkten die Steirer durch die "automatische Überwachung und Vermessung der Maschinen", heißt es in Unterpremstätten. Was herauskommt, wenn klassische Werkzeuge des Methodenkoffers der schlanken Fertigung mit stark datengenerierenden Prozessen verschränkt werden - die Steirer zeigen es vor.

Wirkkraftsteigerung

Von einem IT-Apparat, wie ihn das steirische ams-Werk sein eigen nennt, können andere in der heimischen Industrie freilich nur träumen. Die Frage stellen sie sich trotzdem: Welche Wirkkraft entfalten betriebliche Optimierungstools wie Kaizen, Six Sigma oder Poka Yoke, wenn neue datengenerierende Ansätze - allen voran Big Data - die Shopfloors erreicht? Läuten revolutionäre Algorithmen das Ende der klassisch gedachten - und ihre Wirkung oftmals isoliert entfaltenden - Methoden zur Steigerung der betrieblichen Effizienz ein? Oder darf die Industrie im Gegenzug auf um die Segnungen der IT erweiterte Supermethoden hoffen, auf noch schlagkräftigere Instrumente der Effizienzsteigerung? Auffallend wenig in diese Richtung ist bisher jedenfalls in den Kursprogrammen zu entdecken - hier gibt es bewährte Kost: Rüstworkshops, Wertanalyse oder Lean-Methoden zur Entwicklung schlanker Prozesse dominieren die Angebote. Vom Zauber, den das Internet der Dinge in der Industrie verströmt, ist vorerhand wenig zu spüren - man setzt auf Pragmatismus. Immerhin: eine Tagung in Düsseldorf nahm sich des Themas (Titel: "Lean Six Sigma trifft Industrie 4.0 und Big Data") im Frühjahr an. Andere dürften bald nachziehen - der Hebel, den stärker softwareunterstützte Lean-Methoden versprechen, ist verheißungsvoll.

Maschine rückt auf

"Bewährte Methoden werden nicht verdrängt, sondern maximal angepasst". Dieser Überzeugung ist Werner Hinterreither, MSc. Der Mann befasst sich mit schlanken Prozessen - früher unter anderem beim Industrieelektronikhersteller Siemens, jetzt als Leiter Lean Management beim Dienstleister TÜV Austria. Das gängige Tools der Produktionsoptimierung von heute auf morgen wegbrechen, hält er für ziemlich unwahrscheinlich. Denn die klassischen Verschwendungsarten haben sich nicht verändert - und ein an den Six Sigma-Prinzipien ausgerichterer Rüstworkshop wird auch in Zukunft gebucht werden: "Spanabhebend bleibt spanabhebend", sieht Hinterreither die Prozesswelt trotz digitaler Umwälzungen nicht radikal auf den Kopf gestellt. An Veränderungen glaubt er freilich schon. Weil sich einerseits in hochkompetititven Zeiten immer öfter die Sinnfrage stellt, als Fertigungsbetrieb bei schon weithin durchoptimierten Prozessen noch nach weiteren Schrauben zur Verschwendungsvermeidung zu suchen, an denen sich drehen ließe - "oder ob eine Investition in neue Anlagentechnik und deren Vernetzung nicht sinnvoller ist", so Hinterreither. Anderseits bringt die Digitalisierung auch ganz neue Möglichkeiten - Beispiel Wertströme. Für deren Auslegung und Interpretation würde man in Zukunft wohl weiterhin auf die menschliche Intelligenz setzen. Die Aufzeichnung der Informationen könnte in Zukunft aber "in zumindest abgespeckter Form" von vernetzten, integrativen Maschinen kommen, sagt der TÜV Austria-Experte. Dass technische Gesamtsysteme in einer solchen digitalen Zukunft eine Aufwertung erfahren dürften, ist nicht weit hergeholt. Bestes Indiz ist der gerade erbittert stattfindende Kampf um ein positiv besetztes Rollenbild des Menschen in der Arbeitswelt der Zukunft , den Arbeitnehmerverbände aufgenommen haben. Ein mögliches Spannungsfeld, mit dem sich auch die Lean-Profis künftig stärker auseinandersetzen werden müssen. "Bisher fängt in der Lean Production alles beim Menschen an", beobachtet Hinterreither. In einer weniger rühmlichen Zukunft könnte es genau andersrum sein - erst kommt die Integration der Maschine, dann jene des Mitarbeiters.

Hilfreiche Statistik

Das halten manche für etwas überzogen. "Lean Thinking und Industrie 4.0 ergänzen sich prima". Diese Meinung vertritt etwa Prof. Jochen Deuse, seine grundsätzliche Befürworterrolle ist aber differenzierter zu sehen. Deuse ist Leiter des Instituts für Produktionssysteme an der Fakultät für Maschinenbau an der TU Dortmund und ein ausgewiesener Experte für Lean Production und dessen Wirkungen in Organisationen. In seiner früheren Tätigkeit beim Autozulieferer Bosch wirkte er maßgeblich am Aufbau eines "an Toyota orientierten" Produktionssystems mit - diese Form der taktgebundenen Fließfertigung, der viele Lean-Methoden entspringen, ist allerdings für Wertströme mit großer Variabilität nur eingeschränkt geeignet, wie Deuse konstatiert. Für Szenarien wie etwa eine Werkstattfertigung, in der es also komplexere Prozesse mit hoher Variabilität und Eilaufträgen gibt, springen "gängige Lean-Kochrezepte ohnedies zu kurz", ist er überzeugt. Eine Begründung: Der Wertstrom, der am Tag X in der Fertigung aufgenommen wird, sei eine wenig aussagekräftige Momentaufnahme. Das Dortmunder Institut ist auf die Entwicklung datenanalytischer Lösungskonzepte spezialisiert - Deuse nennt in dem Zusammenhang fortgeschrittene statistische Methoden, diskrete Simulation und maschinelle Lernverfahren. Wenn diese neuartigen Big Data-Ansätze helfen, aussagekräftige Zahlen, Daten und Fakten – idealerweise in Echtzeit - zu gewinnen, ist das natürlich sehr hilfreich", sagt Deuse. Und in Zeiten des Vormarschs digitaler Technologien nie ganz falsch: Wenn die Belegschaft durch Six Sigma oder andere Qualitätstechniken ein "Grundverständnis von Statistik erhalten", findet Deuse.

Kontrolle

Dass auch datengenerierende Ansätze wie Big Data habituell recht nah an Optimierungstools wie Six Sigma oder Kaizen dran sind, zweifeln in der Industrie jedenfalls nur wenige an. Six Sigma sei eine "knallhart mathematische, mechanistische Methode, die wunderbar zu den modernen neuen IT-Ansätzen passen" würde, meint etwa Dieter Budinsky, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Acon Management Consulting. Er sagt das nicht ohne süffisanten Unterton. Lean Production, sagt Budinsky, sei vom Grundprinzip immer stark darauf ausgerichtet gewesen, die Mitarbeiter in die Prozessveränderung einzubinden. Eine Offenheit, die Budinsky bei standardisierten Six Sigma- oder Kaizen-Tools vermisst - und die mit dem Vormarsch der Informationstechnologie wohl noch ein Stück weit mehr verloren geht: "Die Systeme zielen auf noch größere Kontrolle ab", fürchtet Budinsky.