VW-Skandal : Kurzarbeit kommt für Volkswagen überhaupt nicht in Frage
Im Skandal um die manipulierten Abgaswerte bei VW-Dieselwagen sieht der neue Konzernchef Matthias Müller derzeit keine konkreten Folgen für die Jobs bei Europas größtem Autobauer. "Im Moment haben wir keinen Anlass, über Kurzarbeit auch nur nachzudenken", sagte der Manager in Wolfsburg. Zur Frage, ob unter Umständen eine Reduzierung der Leiharbeit erwägt werde, äußerte sich Müller nicht. Für neuen Ärger sorgte eine aus der niedersächsischen Staatskanzlei verschwundene VW-Akte.
Müller besuchte zusammen mit Niedersachsens Ministerpräsident und VW-Aufsichtsrat Stephan Weil (SPD) sowie Betriebsratschef Bernd Osterloh Mitarbeiter in der Wolfsburger Golf-Produktion. Der Konzern muss wegen des Abgas-Skandals allein in Deutschland 2,4 Millionen Diesel in die Werkstatt rufen. Die Aktion soll im Jänner beginnen. Außerdem hat Volkswagen inzwischen in allen EU-Ländern Verkaufsstopps für einige wenige betroffene Autos verhängt, die noch in Auslieferungslagern stehen.
Neues Ungemach droht: Motor EA288 ist seit 2012 im Einsatz
Unterdessen könnten sich die Auswirkungen des Falles noch erheblich ausweiten: Möglicherweise sind auch frühe Versionen vom Nachfolger des Motors EA189 vom Abgasskandal betroffen. Derzeit untersuche Europas größter Autobauer auch die anfängliche Variante des ab 2012 eingesetzten EA288 mit Euro-5-Norm, sagte ein Konzernsprecher der Deutsche Presse Agentur.
Zur Größenordnung der zu untersuchenden Zahlen konnte der Sprecher noch nichts sagen. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) habe bisher nur ausgeschlossen, dass die Euro-6-Versionen des EA288 nicht von den Problemen und damit von den Rückrufen betroffen sind. Der EA288 kam seit dem Jahr 2012 zunächst in Euro-5-Norm zum Einsatz, auch in Deutschland - zum Beispiel im VW-Verkaufsschlager Golf. In einem "gleitenden Übergang" sei dann schrittweise auf Euro-6 umgestellt worden.
Details zum Zeitraum der Umstellung waren zunächst unklar. Seit diesem September stehen in den VW-Autohäusern nur noch Modelle mit der laut KBA nicht betroffenen Euro-6-Version. Europas größter Autobauer hatte bisher stets betont, dass die "aktuelle Dieselmotorengeneration EA288 nicht betroffen" sei, sich dabei jedoch nicht eindeutig zu der Euro-5-Vorgängerversion des EA288 geäußert.
363.00 Rückrufe in Österreich
VW hatte vor gut einem Monat eingeräumt, die Abgaswerte von Millionen Dieselwagen manipuliert zu haben. Ans Licht gebracht hatte den Fall die US-Umweltbehörde EPA. Der Konzern muss wegen des Abgas-Skandals allein in Deutschland bisher 2,4 Millionen Diesel in die Werkstatt rufen, in Österreich sind es 363.00. Die Aktion soll im Jänner beginnen. EU-weit sind rund 8,5 Millionen Fahrzeuge betroffen.
Matthias Müller bittet um Geduld
Beim Besuch des Wolfsburger Werks bat der Vorstandschef um Geduld bei der Suche nach Antworten zur Schuldfrage: "Es ist nach wie vor so, dass wir in der Aufklärung begriffen sind." Parallel dazu gelte es nun, die richtigen Schlüsse zu ziehen, um ähnlichen Verfehlungen künftig vorzubeugen. Zudem liege ein Hauptaugenmerk auf der Reform der Strukturen. Das Unternehmen müsse "schlanker, disziplinierter und entscheidungsfreudiger" werden.
Müller hatte Ende September Martin Winterkorn abgelöst. Dieser hatte die Verantwortung für manipulierte Stickoxid-Messwerte in den USA übernommen, ein persönliches Fehlverhalten aber zurückgewiesen. Zum Thema: VW-Chef Müller ruft zur Demut auf >>
"Eine Perle der deutschen Industrie"
VW-Aufsichtsrat Stephan Weil betonte, dass ein Aspekt derzeit oft zu kurz komme: "Volkswagen ist eine Perle der deutschen Industrie." Der Belegschaft sei klar, dass der Konzern durch eine schwierige Phase gehe. Es sei aber gleichzeitig ein starker Wille der Mitarbeiter zu erkennen, für ihr Unternehmen zu kämpfen, um Vertrauen zurückzugewinnen.
Osterloh, der wie Weil im VW-Aufsichtsrat sitzt, unterstrich nach dem Besuch die enge Allianz zwischen Niedersachsen als VW-Großeigner und der Arbeitnehmerseite. "Das Land steht zu 100 Prozent hinter Volkswagen und der Belegschaftsvertretung", sagte Osterloh.
Neue Irritationen wegen verschwundenen Dokumenten
Vor dem Eintreffen des Regierungschefs hatten aus der Staatskanzlei verschwundene Dokumente zum Abgasskandal neue Irritationen ausgelöst. Die sogenannte Handakte, in der fortlaufend Material und Informationen zu der Affäre gesammelt werden, ruft aufgrund einer Strafanzeige der Landesregierung die Staatsanwaltschaft Hannover auf den Plan - wegen möglichen Diebstahls. In dem Ordner sollen jedoch keine brisanten Informationen wie etwa Aufsichtsratsunterlagen sein.
"Wir haben ein Ermittlungsverfahren zunächst gegen Unbekannt wegen des Verdachts auf Diebstahl eingeleitet", sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Zuvor hatte die "Bild"-Zeitung darüber berichtet.
Offenbar keine hochvertraulichen Papiere in der Akte
Ob die Handakte am Ende wirklich gestohlen, nur verlegt oder gar versehentlich in den Müll geworfen wurde, war zunächst offen. In der Staatskanzlei wird ein Diebstahl nach dpa-Informationen jedoch "als naheliegendste Variante" vermutet. Die Akte soll nach Angaben von Regierungssprecherin Anke Pörksen am 9. Oktober "zuletzt bewusst gesehen" worden sein. Vermisst gemeldet wurde sie dann am 12. Oktober vom zuständigen Sachbearbeiter, die Anzeige erfolgte am 16. Oktober.
Pörksen sagte: "In der Handakte befanden sich ausschließlich Ausdrucke und Duplikate von Unterlagen, die meisten davon sind im Netz verfügbar, aber auch hausinterne Vermerke zu rechtlichen Fragen, keine Aufsichtsratsunterlagen." Insofern sei der Verlust ärgerlich, aber nicht hoch problematisch." Eine bereits durchgeführte Befragung von rund einem Dutzend Mitarbeitern habe bisher nichts ergeben.
EU-weiter Verkaufsstopp für den betroffenen Motor EA 189
In der EU verkauft Volkswagen jetzt gar keine Neuwagen mehr mit dem betroffenen Motor EA 189. Bisher standen vereinzelt noch ältere Diesel-Neuwagen mit der Manipulationssoftware bei Händlern im Lager - nun hat VW dafür einen Verkaufsstopp in allen 28 EU-Ländern verhängt.
Es handle sich dabei um eine "sehr begrenzte Anzahl", sagte ein Konzernsprecher. "In Einzelfällen" könne es daher passieren, dass Kunden bestellte Fahrzeuge deshalb nun nicht ausgeliefert bekommen. Die neue Generation der VW-Dieselmodelle hat neue Motoren, die die Euro-6-Norm erfüllen und nicht von den Rückrufen betroffen sind. Zum Thema: Der Abgasskandal könnte Volkswagen um bis zu zehn Jahre zurückwerfen, so Experten >>
Auch Toyota startet Millionenrückruf
Auch Toyota kündigte eine große Rückrufaktion an. Weltweit muss der japanische Autoriese nach eigenen Angaben 6,5 Millionen Wagen in die Werkstätten beordern. Grund sei ein Defekt bei Fensterhebern. Erst im vergangenen Jahr hatte Toyota Millionen von Fahrzeugen zurückgerufen.
Volkswagen und Toyota liefern sich ein Wettrennen um den Titel des weltgrößten Autokonzerns. Die Wolfsburger stehen wegen der Abgas-Affäre vor dem größten Rückruf ihrer Geschichte: In den 28 EU-Ländern holt VW 8,5 Millionen Diesel-Fahrzeuge in die Werkstätten. Rund 2,4 Millionen davon entfallen auf den Heimatmarkt Deutschland, in Österreich rund 363.000 Autos. (dpa/apa/red)
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