Export : Kreditversicherung: Hart am Limit

Die Risikolust ist zurück, und Ludwig Mertes kann sich nur wundern, wie heftig. „Wir sind erschrocken, wie sehr die Sorglosigkeit der Exporteure wieder zugenommen hat. Als hätte es keine Krise gegeben.“ Der Vorstand des Marktführers Prisma Kreditversicherung warnt vor zu großem Optimismus: „Auch wenn die Insolvenzen leicht zurückgehen, bleibt das Gesamtniveau hoch. Die Verbindlichkeiten könnten vielerorts maßgeblich ansteigen. Damit besteht die anhaltende Gefahr von beträchtlichen Forderungsausfällen.“ Vor allem in Griechenland, Russland und Tschechien rechnet der Prisma-Vorstand heuer mit deutlich mehr Firmenpleiten als letztes Jahr (siehe Kasten). Schuldner durchleuchten.Die Versicherungen setzen deshalb verstärkt auf individuelle Bonitäts-Kontrollen direkt bei den Schuldnern ihrer Kunden, um differenziert vorgehen zu können. Helmut Altenburger, Vorstand der auf Schwellenländer spezialisierten OeKB Versicherung, glaubt, dass Versicherungsnehmer engmaschiges Monitoring als Leistung der Kreditversicherer aktiver nutzen sollten: „Besonders mittelständische Unternehmer haben oft das Gefühl, keiner kennt ihre Kunden so gut wie sie. Aber wir beobachten das Zahlungsverhalten desselben Unternehmens bei verschiedenen Lieferanten, die bei uns versichert sind.“ Am Limit.Zuletzt hatte es Kritik an der Branche gehagelt, sie hätte ihre Versicherungsnehmer 2009 und 2010 mit hohen Ausfällen teils ohne Deckung im Regen stehen gelassen. Mertes gibt sich teilzerknirscht:„Vielleicht haben wir bei dem einen oder anderen den Schirm zugeklappt, wo es nicht in Ordnung war. Insgesamt haben wir unser Exposure aber kaum verändert und sind in den meisten Risken geblieben. “Für viele Kunden wurden die Prolongationsverhandlungen zum Spießrutenlauf, wenn Limite gekürzt wurden und etliches aus der Deckung flog. Trotz härterer Bandagen für die Kunden mussten OeKB Versicherung und Coface ihre Schwankungsrückstellungen auflösen. Schwamm drüber, meint Mertes: „Die wenigen Unternehmen, bei denen wir Limite gekürzt haben, versuchen das jetzt wieder aufzuholen.“ Risikoappetit.Noch sind nicht alle Deckungen wieder auf Vorkrisenniveau, das Geschäft der Kreditversicherungen erholt sich aber mit dem dickeren Auftragspolster der Industrie. „Der Bedarf an Limiten steigt, die Exposure ebenfalls“, beobachtet Coface-Geschäftsführerin Martina Dobringer: „Im Vergleich zu Dezember 2009 haben wir mit Jänner 2011 eine Steigerung für Limite in Deutschland von 41 Prozent, in Italien von 36 und in Polen von 61Prozent.“ Sie ortet eine langsame Normalisierung – intensiver bearbeiten die Exporteure jetzt eher Märkte, in denen sie vorher bereits gute Geschäfte gemacht haben: „Neue Absatzmärkte zu eröffnen benötigt eine gewisse Zeit - ich bin aber sicher, dass das Bild in wenigen Jahren ein anderes sein wird.“Zahl und Ausmaß der Zahlungsverzüge sind jedenfalls im Sinkflug: „Die Schadenquote war 2010 deutlich geringer als 2009, heuer dürfte sie sich weiter bessern, wenn nichts Unerwartetes geschieht“, beschreibt Helmut Altenburger den Trend. Die Folge: Der Risikoappetit steigt auch bei den Versicherern wieder. Prämien.Auf der Prämienseite zeichnet sich leichte Entspannung ab. Nach krisenbedingten Sprüngen um mindestens 20 Prozent wird der Preiskampf unter den Kreditversicherern mit voranschreitender Erholung wieder schärfer. „Den Zenith der Prämienhöhe haben wir überschritten,“ ist OeKB Versicherung-Vorstand Altenburger sicher. Wobei die Anhebungen im Gefolge der Krise den verloren gegangenen Marktrealismus wiederhergestellt hätten: „Vor 2009 waren die Prämien deutlich unter Risiko, jetzt sind sie nahe dran.“ Mertes hält den Anstieg auch aus einem anderen Grund für rechtfertigbar. „Die Rückversicherer haben uns die Prämien binnen zwei Jahren verdoppelt.“ Lieferantenkredit als Zuckerl.Eine Tendenz zu längeren Lieferantenkrediten sehen die Kreditversicherer nach dem Abflauen der Nachfrage-Turbulenzen nur mehr fallweise. Standardmäßig akzeptiert etwa der Anbieter Atradius innerhalb Europas 90 bis 120 Tage Zahlungsziel, bei guter Abnehmerbonität in Italien oder Spanien auch schon mal 180 Tage. „Wenn ein Kunden 200 Tage für einen US-Abnehmer will, bei dem die Bonität nicht da ist, liefern wir einen Alternativvorschlag“ sagt Atradius-Geschäftsführer Franz Maier. Erhöht doch der zu billige Lieferantenkredit die Risken beim Kunden unverhältnismäßig. Ludwig Mertes überlässt das Stundungsverhalten zwar dem Versicherungsnehmer, allerdings mit Vorbehalt „Je großzügiger die Stundung ist, desto mehr schadet er seiner eigenen Liquidität.“ So freigiebig wie am Höhepunkt der Krise sind die Lieferanten mit Zahlungszielen und Nachfristen ohnehin nicht mehr: „Zahlungsziel und Zahlungseingang rücken wieder näher zusammen“, beobachtet OeKB Versicherung-Vorstand Altenburger. Bei Abweichungen vom Standard-Selbstbehalt (je nach Bonität des Schuldners 10 bis 20 Prozent) setzt er auf den betriebswirtschaftlichen Egoismus der Gläubiger: „In Ausnahmefällen vereinbaren wir bei schlechteren Risken nur 70 Prozent Deckung, um das Eigeninteresse zu erhöhen.“ Eine Stellschraube, an der dann allerdings doch nicht allzu viele Kunden drehen wollen. Denn unter 80 Prozent Deckung bekommen heimische Unternehmen keine Factoring-Finanzierung mehr. Maike Seidenberger