Automobilindustrie : Kostendruck hält Österreichs Autozulieferer weiter in Atem
Die Situation war nicht gerade angenehm, sie kam aber auch nicht gänzlich unerwartet. Der Prototyp, der da auf dem Tisch lag, schien technisch ausgereift, hervorragend verarbeitet und noch dazu ziemlich kostengünstig kalkuliert. Dass Peter Wienerroither nicht ins Schwitzen geriet, auch wenn ihn sein Gegenüber noch so fragend ansah, war einem gewissen Gewöhnungseffekt geschuldet.
„Ich erlebe immer wieder, dass uns Kunden einen innovativen und preiswerten Prototypen präsentieren, mit dem ein Mitbewerber in den Markt will“, erzählt der Chef des oberösterreichischen Zulieferers TCG Unitech. „In manchen Fällen stellt sich dann aber sehr rasch heraus,
dass eben doch ein enormer Unterschied besteht zwischen der Produktion einer Kleinserie und echter Mass-Production.“ So auch in diesem.
Es bleibt hart
Österreichs Automobilzulieferer sind hohen Druck gewöhnt. Die OEMs erwarten zumindest von ihren Tier-1-Lieferanten schon längst, dass sie ihnen ohne zu murren ins Ausland folgen – in vielen Fällen nach China. „Die Internationalisierung wird bei Continental schon seit vielen Jahren vorangetrieben“, bestätigt Klaus Müller, Geschäftsführer von Continental Automotive Austria. Permanenter Kostendruck ist ohnehin Standard, und auch die Erwartungen in Sachen Innovation scheinen zu steigen: Peter Wienerroither erlebt den sanften Hinweis auf interessante Prototypen immer häufiger. Zwei aktuelle Studien legen eine Verschärfung des Drucks vor allem in zwei Bereichen nahe – Innovation und Internationalisierung.
Internet auf Rädern
Wer gehört eigentlich zum Kreis der Automobilzulieferer? „Ich bin sicher, dass man diese Frage schon in einigen Jahren anders beantworten wird“, meint Horst Bernegger, Automotive-Experte von PwC Österreich. Vor allem Chiphersteller und Telekommunikationsunterneh- men bewegen sich seiner Beobachtung nach verstärkt in diese Richtung, häufig unter dem Stichwort „Connected Car“. Eine aktuelle Studie der PwC-Tochter Strategy& untersucht den Markt „Internet auf Rädern“ und prognostiziert extreme Steigerungsraten. Besonders der Bereich der Fahrerassistenz- und der Sicherheitssysteme soll demnach zwischen 2015 und 2020 von knapp 20 Milliarden Euro globalem Umsatz auf über 80 Milliarden ansteigen.
Insgesamt rechnen die Studienautoren mit einer Vervierfachung der weltweiten Umsätze binnen weniger Jahre. Laut der Studie sind übrigens sowohl im Bereich der Kommunikations- als auch der Sicherheitsysteme die deutschen OEMs führend. Das Dreigestirn BMW, VW/Audi und Mercedes entwickelt demnach die größte Innovationskraft – und wohl entspre- chenden Druck auf die Zulieferer.
Nachholbedarf besteht
Angesichts des technisch längst Möglichen müsse man konstatieren, dass das Internet heute am Beginn des Einzuges in das Auto stehe, meint Continental-Manager Klaus Müller. Und nennt ein anschauliches Beispiel: Ein gutes, proprietäres Navigations- und Stauwarnsystem kostet heute bis zu 2.000 Euro – die Verbindung des Fahrzeuges mit dem Handy ermöglicht aber nicht nur hervorragend funktionierende Navigation, sondern auch Stauwarnung für geringere Kosten: über simple Messung der im vorausliegenden Straßenabschnitt im Netz angemeldeten Geräte.
Es liegt natürlich im Interesse der OEMs, ihre proprietären Lösungen anzubieten, doch die Tendenz in Richtung „iPhone auf Rädern“ sei wohl unaufhaltsam, weshalb Continental auch an entsprechenden Lösungen arbeite, meint Klaus Müller – auch wenn die periodisch auftauchenden Meldungen, die Präsentation des iCar durch die Kalifornier stehe unmittelbar bevor, sich bisher als Gerücht erwiesen.
Die Landschaft wird sich damit jedenfalls verändern, und die klassischen Zulieferer werden ihren Platz darin finden müssen – sei es über neue Services, sei es über Kooperationen mit den neuen Playern. „Die Vermutung, dass die Apples und die Ciscos dieser Welt bald den Kreis der Automobilzulieferer erweitern werden, liegt nahe“, sagt Müller. Demenstprechend kooperiert Continental auch mit Unternehmen wie Cisco oder IBM. Tesla etwa habe in den vergangenen Jahren eindrucksvoll bewiesen, dass man auch als Newcomer sehr erfolgreich Autos bauen kann.
Kooperation und Integration
Zu Tode fürchten müsse man sich nicht, schränkt Peter Wienerroither allzu revolutionäre Phantasien ein: Dass morgen plötzlich Apple vor der Türe stehen werde, um die gestandenen Automobilzulieferer aus dem Spiel zu kegeln, sei nicht zu befürchten – zumindest, sofern sich diese permanent mit dem Thema auseinandersetzen. „Natürlich haben auch kleinere Unternehmen die Chance, hier erfolgreich zu sein: wenn sie es schaffen, extern zu sourcen, was sie intern nicht leisten können.“ Über die Kooperation mit Universitäten und Clustern schaffen es auch KMU, ihre Forschungsaufwendun- gen in erträglichem Rahmen zu halten.
Der Innovationsdruck steigt aber nicht nur in elektronischen High-End-Regionen. Er reicht bis tief in den Tier-3-Bereich, in die klassischen mechanischen Produkte. Die dort agierenden Unternehmen haben laut Klaus Müller zwei Möglichkeiten, darauf zu reagieren: entweder über funktionale, also horizontale Integration der Produkte, oder über eine vertikale Erweiterung der Wertschöpfungskette, also indem sie sich in Richtung Produktion von Modulen bewegen. „Die Auftraggeber sourcen immer mehr nach diesen beiden Kriterien“, beobachtet der Continental-Manager, „vor allem im Bereich der Elektronik, immer stärker aber auch im rein mechanischen Bereich.“
Zug ins Ausland
Längst noch nicht abgeschlossen scheint auch der Prozess der Internationalisierung. Das Industriewissenschaftliche Institut veröffentlichte im Frühjahr eine Studie, die zeigt, wie stark der Druck auf Österreichs Zulieferer ist: Rund 42 Prozent der befragten Unternehmen geben demnach an, sie hätten in den vergangenen fünf Jahren auf Standorterweiterungen ihrer Kunden reagieren müssen. Weitere 25 Prozent rechnen damit, in den kommenden fünf Jahren dazu gezwungen zu sein. Einem Drittel der Firmen wurde von den Kunden oder deren Partnern explizit nahegelegt, eine Niederlassung im Ausland zu errichten. Die Wirtschaftskammer, in deren Auftrag die Studie entstand, nimmt die Ergebnisse so ernst, dass sie ein eigenes Unterstützungspaket für KMUs im Zulieferbereich schnürte.
Jointventures
Dass die Tier-1-Zulieferer den OEMs zum Teil sogar standortübergreifend folgen (müssen), ist nicht neu, doch der Trend setzt sich immer stärker in die Tier-2- und Tier-3-Bereiche fort. Vor allem, wer strategischer Partner des OEMs werden will, muss mitziehen. Und strategi- sche Partnerschaft findet statt: Knapp drei Viertel der vom IWI befragten Unternehmen geben an, bei technologischen Entwicklungen neuer Produkte oder Prozesse ihrer Kunden oder OEMs eingebunden zu sein. Rund 15 Prozent der Unternehmen als Technologievorreiter, die Innovations- bzw. F&E-Leistungen für ihre Kunden erbringen oder Technologieentwickler auf dem automotiven Sektor sind. Als gleichberechtigte Entwicklungspartner sehen sich immerhin 9 Prozent der Befragten. Als leicht oder stark eingebunden betrachtet sich jedes zweite Unternehmen.
„Die Frage ist natürlich immer: Wie nachhaltig ist das?“, betont Peter Wienerroither. „Wenn die Internationalisierung infolge eines einzigen Auftrages erfolgt, muss man sich schon sehr genau überlegen, wie man es anlegt. Denn mit Pönalforderungen kommt man im Falle des Auftragsverlusts nur selten durch.“
Der übliche Weg zum Ziel ist das Jointventure, vor allem KMU haben laut Wienerroither wohl kaum eine andere Chance. Auch TCG Unitech ist in China über ein 50-50-Joint-Venture mit einem lokalen Partner vertreten und fertigt für den asiatischen Markt ausschließlich vor Ort.
Rollierende Weitergabe
Die Auswirkungen des Drucks, Low-Cost-Standorte zu etablieren, sei es auf Wunsch eines OEM oder einfach, um Lohnkosten zu senken, gehen weit über finanzielle Fakten hinaus. Das Ideal der „rollierenden Weitergabe“ – die Entwicklung neuer Expertise am Stammsitz und das Ausrollen erst ab einem gewissen Reifegrad – muss man sich erst leisten können.
Und Klaus Müller weist auf einen weiteren Aspekt hin: In einem von KMUs geprägten Land, in dem manche Zuliefer- betriebe halbe Ortschaften mit Arbeitsplätzen versorgen, entsteht im Rahmen von Internationalisierung rasch der Eindruck, „der Mohr“ habe seine Schuldigkeit getan. „An ein solches Projekt kann man nicht herangehen, wie sich das manche Berater vorstellen – also Internationalisierung auf der grünen Wiese. Im Allgemeinen höre ich bei solchen Themen lieber Leuten zu, die schon einmal selbst Lohn an Menschen ausbezahlt haben.“