Hintergrund : Italiens neue Regierung ein Jahr im Amt: Überblick zur Situation heute

Sechs Tage nach den EU-Wahlen feiert Italiens populistische Regierung ihren ersten Geburtstag. Am 1. Juni 2018 wurde das Kabinett aus Lega und Fünf-Sterne-Bewegung aus der Taufe gehoben. Ein Jahr später hält sich das Kabinett mühevoll über Wasser: Parteiinterne Divergenzen nagen an ihrer Stabilität, ihre Zukunftsperspektiven erscheinen durchaus ungewiss, während ein Brüsseler Strafverfahren droht.

88 Tage mit zermürbenden Verhandlungen brauchte Präsident Sergio Mattarella, um nach den Parlamentswahlen im März 2018 Italiens 65. Regierung seit der Nachkriegszeit auf die Beine zu stellen. Am 1. Juni 2018 leisteten der unbekannte parteilose Ministerpräsident und Rechtsprofessor Giuseppe Conte und seine insgesamt 18 Minister im Quirinalspalast ihren Amtseid. Damit erhielt Italien als erstes EU-Land eine ausschließlich aus populistischen Parteien zusammengesetzte Regierung.

Seitdem haben in Rom die postideologische Protestbewegung "Cinque Stelle" des Ex-Komikers Beppe Grillo und die rechtsradikale Lega das Sagen. Die Parteichefs der beiden Gruppierungen, der selbstsichere Lega-Vorsitzende Matteo Salvini und der 32-jährige, politisch unerfahrene "Capo politico" der Fünf-Sterne-Bewegung, Luigi Di Maio wurden gleichzeitig zu Vizepremiers ernannt und nahmen damit einen entscheidenden Einfluss auf die allgemeine Regierungspolitik. Obwohl die "Cinque Stelle" bei den Parlamentswahlen vom 4. März 2018 mit knapp 33 Prozent fast doppelt so viele Stimmen erreicht hatten wie die Lega (17 Prozent), trägt die Regierungspolitik klar die Handschrift Salvinis, der mit politischer Versiertheit und medialer Allgegenwärtigkeit entschlossen die Agenda diktiert.

Politik der "geschlossenen Häfen" sorgt für Rekorde an den Wahlurnen

Seine ganze Energie widmete der zum Innenminister ernannte Salvini der Migrationsproblematik. Konsequent setzte der 46-jährige Volkstribun seine Politik der "geschlossenen Häfen" durch. Die Zahl der Migrantenankünfte brach um 91 Prozent gegenüber dem Vorjahr ein. Den bei der Flüchtlingsrettung engagierten NGOs sagte Salvini einen unerbittlichen Kampf an. Dabei scheute er nicht, mit Brüssel auf Konfrontationskurs zu gehen, als er Migranten tagelang an Bord von Rettungsschiffen festhielt, um die Umverteilung der Flüchtlinge auf mehrere EU-Länder zu bewirken. Mit seiner These, wonach seine Abschottungspolitik die Flüchtlingsdramen verringere, zog sich Salvini international viel Kritik auch seitens des Vatikans zu. Salvinis Einwanderungskurs kommt bei den Italienern jedoch gut an. Er bescherte der Lega bei den EU-Wahlen am Sonntag ein Rekordhoch von 34 Prozent.

Der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik widmete sich die Regierung in ihrem ersten Jahr mit Entschlossenheit, ungeachtet der Auswirkungen ihrer Reformen auf die öffentlichen Kassen. "Wir werden die Armut in Italien besiegen", versprach Di Maio überzeugt. Im September peitschte die Fünf-Sterne-Bewegung ein Gesetz zur Stabilisierung unsicherer Arbeitsverhältnisse durch, die eine Arbeitsmarktreform der Vorgängerregierung Renzi rückgängig machte. Pläne der Regierungskräfte, ein Grundeinkommen von 780 Euro und eine Pensionsreform durchzusetzen, führten zu einem wochenlangen Budgetstreit mit Brüssel. Daraufhin musste die Regierung ihr Defizitziel 2019 von 2,4 auf 2,04 Prozent senken. Die beiden Reformen traten im April in Kraft.

Sorgen macht der Regierung die stagnierende Wirtschaft. Mit einem Wachstum von lediglich 0,2 Prozent im laufenden Jahr ist das populistische Kabinett stark bemüht, Italiens Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen, egal was es die Staatskassen kostet. Ausschreibungsverfahren für öffentliche Bauprojekte wurden beschleunigt, Sonderabschreibungen für private Investitionen wurden nach Jahren wieder eingeführt. Ob diese Maßnahmen die von Produktivitätsproblemen und Bürokratie belastete italienische Wirtschaft wieder auf Trab bringen, ist ungewiss. Fest steht, dass in Rom ein Mahnungsbrief aus Brüssel wegen überhöhtem Defizit eingeflattert ist. Auf Italien könnte wegen Verstoßes gegen europäische Budgetregeln ein Verfahren und Bußgeld der EU-Kommission in Höhe von drei Milliarden Euro zukommen.

Auf das neue Kräftemessen mit Brüssel steuert Innenminister Matteo Salvini gelassen zu. Beflügelt vom Wahltriumph seiner Lega, die mit 34 Prozent zu Italiens stärkster Einzelpartei auf Kosten des gebeutelten Bündnispartners Fünf Sterne aufgerückt ist, startet Salvini mit der "Phase 2" seiner Regierungsarbeit. Sein Hauptanliegen ist es, eine "historische Revolution" im Steuerbereich durchzusetzen. Salvinis Traum ist die Einführung einer "Flat Tax" mit einem Steuersatz von 15 Prozent für Einkommen unter 50.000 Euro pro Jahr. Dass die Reform den Staatskassen 30 Milliarden Euro kostet, ist für Salvini nur eine Nebensache. Der Rückgang bei den Steuereinnahmen soll schließlich in den nächsten Jahren durch die Ankurbelung der Wirtschaft kompensiert werden.

Nach dem Wahltriumph der Lega hofft Salvini, seine Position als unangefochtener Dominator in der Regierung zu konsolidieren und seine Anliegen auch gegen den Koalitionspartner Fünf Sterne durchzubringen. An Konfliktstoff zwischen den ungleichen Parteien hat es in diesem ersten Ehejahr nicht gefehlt. Di Maios Bewegung stoppte Pläne für den Bau der Bahn-Hochgeschwindigkeitstrasse Turin-Lyon, ein Hauptanliegen der Lega. Auch bei Salvinis Vorhaben zur Ausdehnung der Autonomie reicher norditalienischer Regionen legten sich die "Cinque Stelle" quer. Der Grund: Die Autonomie könnte zu einer Benachteiligung des Südens führen, wo die Fünf-Sterne-Bewegung stark verankert ist.

Obwohl sich nach den EU-Wahlen die Kräfteverhältnisse in der Koalition zugunsten Salvinis gedreht haben und Fünf-Sterne-Chef Di Maio nach der Wahlpleite massiv unter Beschuss geraten ist, wollen die beiden Regierungsparteien ihre Zusammenarbeit fortsetzen. Ob ihnen das gelingen wird, ist fraglich, denn an Themen mit Konfliktpotenzial fehlt es in der Regierungsagenda nicht. Die auf 17 Prozent der Stimmen und auf Platz drei im politischen Panorama gestürzte Fünf-Sterne-Bewegung hat jedenfalls keinerlei Option auf eine alternative Regierungskoalition, daher ist sie zur Weiterführung der schwierigen Kooperation mit der Lega gezwungen.

Anders ist die Lage für Salvini. Sollte die Regierung stürzen, könnte die Lega eine Wahlallianz mit Silvio Berlusconis Forza Italia eingehen, die bei der Europawahl auf knapp 9 Prozent gekommen ist, sowie mit der postfaschistischen Kraft "Fratelli d'Italia" (Brüder Italiens), die ihre Stimmen auf 6,5 Prozent steigern konnte. Zusammen eroberte das Rechtslager also beinahe 50 Prozent der Stimmen und wäre daher regierungsfähig. Doch Salvini will von einer Mitte-Rechts-Allianz nichts wissen, verkündete er. Vorerst will er noch seinem "Freund" Di Maio treu bleiben.

(Von Micela Taroni, APA)