Flexible Fertigung : Intelligente Auftragspuffer

Graf
© Helene Waldner

Innerlich ist er wohl schon auf 180: 10.000 Ladevorgänge muss der Luftmuskelroboter im Testlabor des Chipherstellers Infineon meistern – dann hat er den Dauerstresstest bestanden. Unter den strengen Augen der Villacher – eine Webcam filmt mit – muss sich der Helfer vor der Installation im Reinraum beweisen: „Wir wollen heuer fünf dieser Roboter in der Beschickung von Produktionsanlagen zur Herstellung von noch leitfähigeren Dünnstwafern einsetzen“, erzählt Produktionsleiter Otto Graf. 2008 entwarf man das neue Fertigungskonzept – die Krise nützte man schlau, um zusätzliche Kapazitäten abzustellen: „Wir holten fünf Instandhaltungsexperten ins Entwicklungsteam dazu“, sagt Graf. Heute verneigen sich die Kärntner, die mit den 40 Mikrometer dünnen Chips auf dem hoffnungsvollen Markt für Leistungselektronik mitmischen wollen, vor der neuen Fertigungstechnologie (Kosten für den Prototyp: rund 50.000 Euro). Ab März wird der Roboter erstmals als rechte Hand der Mitarbeiter in der Fertigung von 500 Produkten einspringen – und bei Vollausbau die Produktivität um 30 Prozent steigern. Graf: „Wir sind damit die einzigen Anbieter, die aus der Krise schnell ins Volumen gehen können“. Unorthodoxe Wege.Investitionen fünf Mal unter die Lupe nehmen: Das schade in diesen Zeiten nicht, sagen Experten. Auch Maximilian Schubert von Fraunhofer Austria ist ein Fürsprecher des sinnvollen Abwägens. Zugleich prangert der Produktions- und Logistikexperte die oftmals falschen Vorstellungen vom Begriff Wandlungsfähigkeit in heimischen Unternehmen an: „Wandlungsfähigkeit klingt in den Ohren vieler Produktionsleiter althergebracht und trivial, doch Betriebe dürfen es jetzt nicht versäumen, ihre Strukturen an volatile Marktgegebenheiten anzupassen“, sagt der Fachmann. Da glauben Produktionsplaner weiterhin nicht an die eigenen Stärken, sondern Schwächen: „Nicht selten wird mit großen Sicherheitsbeständen gefertigt, weil die Fehlerquote eben immer hoch war“, moniert der Forscher. Eine Lösung erhoffe man sich mehrheitlich in Personalmaßnahmen – die aber oft zu kurz greifen: „Man muss seine Rennerprodukte identifizieren und unorthodoxe Wege in der Fertigung gehen“, mahnt Schubert ein. Wie Infineon: Der Konzern senkt seine Fehlerquote mit dem neuen Roboter um weitere 0,5 Prozent. „Das große Umdenken in der Produktion wird erst stattfinden“, glaubt Bernd Jung, Vorstand der Vereinigung Six Sigma Austria. Erste Bemühungen beobachtet Anton Köller, Geschäftsführer von Precisa CNC Werkzeugmaschinen, jetzt schon: „Es werden wieder die großen Projekte angepackt – vorrangig Automatisierungsprojekte“. Meist seien es Firmen, die das Thema fast mit institutstechnischer Präzision betrachten. INDUSTRIEMAGAZIN sah sich in Produktionsbetrieben um, die in der Krise Mut zur Veränderung beweisen – und fand überraschende Ergebnisse vor.

Beim Marchtrenker Spritzgussprofi Starlim Sterner erzeugt man technische Formartikel aus Flüssig-Silicon – vom Dichtungselement fürs Auto über Spritzenkolben bis zum Babyschnuller. Weil die 160 Spritzgussmaschinen viel beansprucht sind, „gehen fünf bis sieben Reparaturaufträge täglich an die eigene Werkzeugbauabteilung“, schildert Gerald Niederwimmer, Leitung Technologie und Entwicklung. Bisher mussten die Werkzeugbauer dafür je nach Dringlichkeit andere Aufträge unterbrechen – ein Seiltanz, der sich mitunter als halsbrecherisch erwies: „Das Image war angekratzt, wenn sich die Auslieferung der Teile verzögerte“, so Niederwimmer. 2008 reifte also die Idee, flexibler zu werden – die Investition in neue Senkerodiermaschinen und ein automatisiertes Handlingsystem mit Reinigungsstation wurde immer konkreter. 2009, als die Krise längst die Fertigungswelt im Klammergriff hielt, war die Geschäftsleitung schon vorsichtiger mit der 500.000-Euro-Investition: „Doch innerhalb von zwei Wochen hatten wir grünes Licht“, erinnert sich Niederwimmer. Mit der Automatisierungslösung können Aufträge im Werkzeugbau nun gepuffert werden. „Kommt ein wichtiger Reparaturauftrag herein, unterbricht man den aktuellen Auftrag ohne abzuspannen – und auch die Einstellungen gehen nicht verloren“, so Niederwimmer. Das Auslastungsloch nutzte man dazu, 14 Mitarbeiter auf dem neuen Gerät fit zu machen. Heute erledigen sie mehr Programmierarbeit: „Wir wollten mit dem Klischee aufräumen, dass im Werkzeugbau immer ein Mitarbeiter an der Maschine stehen muss“, so Niederwimmer. Fünf Erodiermaschinen können an das Handlingsystem angebunden werden. Und was, wenn sich die Auftragslage verschlechtern sollte? Niederwimmer: „Wir können auch Fräsmaschinen anbinden – das System lässt alle Möglichkeiten offen“.

Stellräder innovativ drehen – das ist auch die Stategie von Trumpf Austria-Geschäftsführer Alfred Hutterer, um Krisen unbeschadet zu durchstehen. Wie schon 1991 reduzierte man 2008 nicht die Entwicklungsausgaben, sondern investiert einen sechsstelligen Eurobetrag in eine neue Technologie. Während man bei den hydraulischen Abkantpressen auf eine vollgetaktete Produktionslinie setzt, geht man bei der Montage der jüngsten Serie elektrischer Maschinen neue Wege: „Wir entschieden uns auch wegen der großen Erwartungshaltung in unser Produkt für ein kontinuierlich laufendes Montageband, das nur bei Bedarf steht“, erklärt Hutterer. Die auf dem sieben Meter langen Kunststoffmodulband werkenden Mitarbeiter – sie bringen Hinteranschläge und Bremsen, aber auch Schaltschränke an – rücken mit den Maschinen Zentimeter für Zentimeter in Richtung Verladekran vor. „In Summe sind wir damit schneller und mit besserer Qualität am Ziel“, vergleicht Hutterer die Montageweise mit dem Tempomat im Auto. Taktbetrieb bei den reißend Absatz findenden E-Maschinen fährt man derzeit nur, wenn etwa spezielle Lasereinrichtungen montiert werden – oder es Verzögerungen gibt. Sollte die Nachfrage unerwartet einbrechen, weiß Hutterer jedenfalls schon, was zu tun wäre: Die Geschwindigkeit des Bands gleich belassen und eine Position nicht besetzen – „das machen die Automobilbauer seit Jahren eindrucksvoll vor“.

2009 überlegt Banner-Werksleiter Franz Massak noch, ob es nicht besser sei, die 20 Jahre alten Spritzgussmaschinen der Kunststoffwerke zu verschrotten – denn Käufer sind auch auf den Ostmärkten nicht zu finden. Die Standardmaschinen stehen heute noch am Werksgelände – produktiv sind sie nicht: Schließlich sah der Plan des Unternehmens vor, 2009 mehr Aufträge der großen Batterien-Schwester ins Haus zu holen. Und weil auch das Schichtmodell der Schwester übernommen wird – bis März arbeitet man sich von 15 auf 19 Schichten pro Woche heran –, stuft man nur Maschinen mit hohem Automatisierungsgrad als brauchbar ein. Die Neuordnung des Dienstplans kommt nun dem Einsatz der Handlingsysteme und automatisierten Förderbänder zugute: „Wir können häufiger mannlos fahren“, so Massak. Das sichere eine bessere Auslastung des Werks (Maschinenauslastung Mitte 2009: 60 Prozent). Zur Jahresmitte will man wieder investieren. Die Wahl dürfte – wenig überraschend – auf eine stark automatisierte Maschine fallen, „die selbstständig Teile verpackt“, verrät Massak. Eine Lösung, die dann wohl auch rasch auf 180 geht.