Effiziente Faserherstellung : Heiligenkreuzer Turbinenpredigt: Energiesparprogramm bei Lenzing

Bernd Zauner Lenzing Fasterherstellung Heiligenkreuz
© Waldner

Bernd Zauner wirft den Projektor an und es wird still. Mucksmäuschenstill. „Was Sie hier sehen, ist ein Rohrleitungsschema“, durchbricht der quirlige Chef der Lenzing Fibers die Stille. Schon klar. Doch die Komplexität des Schemas lässt Besucher in dem kleinen Büro schlucken. So viele Leitungen – ist das normal? Es ist – denn im südburgenländischen Heiligenkreuz produziert Lenzing Fibers pro Jahr bald 60.000 Tonnen seiner Lyocellfaser. Damit ist der Energiebedarf des Betriebs, der sich nahe der ungarischen Grenze aus der Tiefebene hebt, auf ein gigantisches Maß angeschwollen. „Fast ein Fünftel unserer Kosten sind reine Energiekosten“, spricht Zauner Ausgaben in zweistelliger Millionenhöhe an. Entsprechend viele Rohrkilometer sind im Rohrleitungsschema dann auch eingezeichnet – das freilich nur die Leitungen der Lenzinger Energie und Medienzentrale abbildet: „Unsere Produktion hat ihr eigenes Schema“, grinst Prozessingenieur Alois Bauer. Er ist ausgebildeter Verfahrenstechniker – und spürt im Betrieb Energieeinsparpotenziale auf. „Hauptamtlich“, wie sein Chef sagt. Und derart systematisch, wie man es von anderen kaum kennt: In 24 Monaten optimierten die Burgenländer nicht nur große Turbinen, Pressen oder Kühlanlagen mit einer bemerkenswerten Geradlinigkeit. Auch kleinere Verbraucher wie die Anlagenbeleuchtung nahm man sich zur Brust: „Bewegungsmelder wirken manchmal Wunder“, lacht Bauer. Fast energieautark.„Kommen Sie, das schauen wir uns jetzt an.“ INDUSTRIEMAGAZIN hatte Mitte Oktober die einzigartige Gelegenheit, das Werk des Zellulosefaserherstellers gleich mehrere Stunden lang zu besichtigen – und nutzte die Zeit. Mit zwei Gasturbinen, Reservekesseln und einer kleinen Biomassedampfleitung ist der Standort praktisch energieautark – „nur in den seltensten Fällen kaufen wir kleine Mengen zu“, schildert Geschäftsführer Bernd Zauner im Freigelände. Besonders eindrucksvoll: Die Liste umgesetzter Energiesparmaßnahmen. Erdgas ist teuer – und Zauner kennt das Preisniveau der Amerikaner: „Dort kaufen wir um zwei Drittel günstiger ein“, weiß der Werksmanager. Deshalb polierte der südburgenländische Betrieb seine Energiebilanz auf. Auf folgende drei Projekte ist Lenzing besonders stolz. Turbinenkühlung.Spektakulär realisiert wurde eine Ansaugluftkühlung für die beiden Gasturbinen. Gemeinsam liefern sie zwölf Megawatt. Jetzt, wo einem in Heiligenkreuz schon eine steife Brise um die Nase weht, beginnt Energieprofi Alois Bauer ungeniert von hochsommerlichen Temperaturen zu erzählen: „Die Effizienz der Turbinen variiert mit der Temperatur der Ansaugluft“, erklärt er. Und im Sommer, wenn das Thermometer auf mehr als 25 Grad steigt, habe der Leistungsverlust früher schon mal „ein sattes Fünftel betragen”, so Bauer. Schnee von gestern. Denn wird es draußen hoffentlich bald wieder angenehm warm, düsen die Burgenländer im Ansaugkanal seit neuem geringe Mengen Wasser ein. So stellt man größere Mengen Verdampfungskälte her – und das auf ziemlich „elegante Art“, sagt Bauer. Bei einer Einmalinvestition von 150.000 Euro bringt die Kühlung jährlich eine Ersparnis von 75.000 Euro. Die hauseigene Engineeringtruppe übertraf sich bei der Realisierung des Projekts selber. „Das Wasser verdampft sehr sauber“, lobt Lenzing- Fibers-Chef Bernd Zauner. Auch weil Prozessingenieur Alois Bauer aktuelle Fachlektüre studiert hat. Aber sich ebenso durch „einfache Internetrecherchen“ ins Thema eingearbeitet hat. Spinnbad.Die in Heiligenkreuz produzierten Zellulosefasern stammen aus Zellstoff. Der wiederum kommt vom Rohstoff Holz. Der Lyocellprozess ist spektakulär – dauert er doch fast vier Stunden. Zunächst wird der Zellstoff zerkleinert und mit einem Lösungsmittel in einen „Zellulosebrei“ (Bernd Zauner) verwandelt. Anschließend werden die Fasern gesponnen, getrocknet und zum Versand in Ballen gepresst. Der große Unterschied zur Viskosefaserfertigung: Die Zellulose wird „ohne chemischen Umweg“ ausgefällt – das passiert im Spinnbad und dauert nur wenige Sekunden. „Vergleichen Sie es mit Zucker, der sich im Kaffee löst“, erklärt Lenzing-Fibers-Chef Bernd Zauner. Doch hinterher wollen die Burgenländer wieder sauberes Lösungsmittel haben. Deshalb leiten sie Teile des Spinnbads in einen Reinigungs- und Rückgewinnungskreislauf ein. „Mit der Eindampfanlage verdampfen wir dabei pro Stunde 120 Kubikmeter Wasser“, sagt Prozessingenieur Alois Bauer. Bei höheren Spinnbadtemperaturen geht es natürlich schneller, ein guter Wert sind 60, 70 Grad. Die kommen aber nicht aus dem Nichts. „Wir investierten rund 100.000 Euro und nutzen nun mehrere Wärmeströme zur Vorwärmung“, so Bauer. Etwa vom Frischdampfkondensat. Oder des Dampfes, den – eigentlich erst einen Prozessschritt später – „die Eindampfanlage bereit stellt“, lacht er. Die Einsparungen sind eindrucksvoll: Mehr als 100.000 Euro sind es pro Jahr. Und durch einen optimierten Einsatz des Ionentauschers konnte die Menge des einzudampfenden Wassers weiter verringert werden – Einsparung: rund 80.000 Euro pro Jahr. Wärmetauscher.Die rauchenden Schornsteine der Energie- und Medienzentrale Lenzings verraten dem Werksgast schon von weitem: Das Geschäft läuft. Doch sind sie auch für eine Anekdote gut. Die hier freigegebenen heißen Abgase eignen sich wunderbar für den Einsatz eines Wärmetauschers. „Wir heizen damit Heiß- und Warmwasser vor“, erzählt Prozessingenieur Alois Bauer. Der Aufwand war nicht klein: Die Wärmetauscher mussten in die Gasturbine „gezwängt“ werden, so Bauer. Doch das Investment (rund 90.000 Euro) wurde belohnt – jetzt gehen die Einsparungen in die Tausende Euro. 7.000 Euro pro Jahr sparen die Burgenländer bei der Aufbereitung des Warmwassers für die Gebäudeheizung. Deutlich mehr – nämlich fast 100.000 Euro – bei der Herstellung des Prozess- Heißwassers. Und der Faserhersteller hat weitere Ideen in der Pipeline. „Unsere Stabsstelle für Energieeffizienz ist kaum zu bremsen“, freut sich Lenzing-Fibers- Chef Bernd Zauner. Pinch-Analyse.Aber auch andere kommen in Heiligenkreuz zu Wort. In einem Energiesparprojekt mit der TU Wien zeichnete man in den letzten anderthalb Jahren die theoretischen Sparpotentiale des Betriebs nach – „ganzheitlich und ohne Tabus“, sagt Zauner. Mit der Pinch- Analyse erfasste man alle Energieströme systematisch. In einem zweiten Schritt sollen nun zueinander passende Wärme- und Kälteströme miteinander verschränkt werden. So könnte die Zuluft des Fasertrockners einmal mit eigener Abluft gewärmt werden. Andere Beziehungspärchen machen vielleicht weniger Sinn: Um die Abwärme der Presse zur Waschanlage zu bringen, „bräuchten wir zusätzlich Hunderte Meter Rohrleitungen“, signalisiert Prozessingenieur Alois Bauer hierfür eher Ablehnung. Eigentlich schade: Die Aktion würde sich gut im Rohrleitungsschema vom Chef machen. Daniel Pohselt Lenzing Fibers GmbH, HeiligenkreuzProduktionskapazität 2010: 47.000 TonnenProduktionskapazität 2011: 60.000 TonnenJährliche Energieersparnis seit 2006: 500.000 EuroUmgesetzte Maßnahmen (Auszug): Ansaugluftkühlung für Gasturbinen, Wärmetauscher zur Vorwärmung der Prozessabwässer vor der Rückgewinnungsanlage, höhere Lösemittelkonzentration im Abwasser vor der Rückgewinnungsanlage, Wärmetauscher zur effizienteren Nutzung der Kessel und Turbinenabgase, Rohrleitungsisolierungen, automatische Abschaltungen nicht benötigter Aggregate durch Prozessleitsystem, Ausrüstung ausgewählter Antriebe mit Frequenzumformer, Reduktion von Abfallströmen.