IM-Expertenpool: Cloud-Projekt : Gaia-X: Die Zeit drängt

Der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier bezeichnete Gaia-X kürzlich als Moonshot und eine der größten digitalen Bestrebungen des nächsten Jahrzehnts, sein französisches Pendant Bruno Le Maire spricht schon heute von einem Erfolg, dessen Bedarf durch die Corona-Krise weiter steigt. Und auch Österreich beteiligt sich am digitalen Vorzeigeprojekt der EU. Gaia-X ist in aller Munde.

Doch was steckt eigentlich genau dahinter? Kritische Stimmen werden nicht müde zu behaupten, dass es sich bei Gaia-X weniger um eine wegweisende europäische Technologie-Lösung handelt als vielmehr um ein knalliges Label ohne Substanz. Inzwischen ist zumindest klar: Gaia-X soll als europäisches, cloud-basiertes Ökosystem Standards für die Zusammenarbeit zwischen digitalen Akteuren und damit Transparenz und Sicherheit schaffen.

Gaia-X - mehr als nur ein guter Ansatz?

Die Cloud-Infrastruktur ist eines der mächtigen Werkzeuge der Gegenwart und das Fundament unserer digitalen Zukunft. Dass es nur wenige Anbieter am Markt gibt, birgt offensichtliche Gefahren. Um ihnen entgegenzuwirken, verfolgen wir mit meshcloud die Vision, es Unternehmen zu ermöglichen, die Cloud als Innovationstreiber zu nutzen und dabei ihre digitale Freiheit zu wahren.

Mit der Idee hinter Gaia-X sind wir auch deshalb so vertraut, weil unsere ursprüngliche Produktidee vor dreieinhalb Jahren darin bestand, eine offene, wirtschaftlich zu betreibende Cloud-Infrastruktur aus dem Mittelstand als europäische Marktalternative zu den großen US-Cloud-Providern zu schaffen. Auch aufgrund dieser Parallelen unterstützen wir den Grundansatz von Gaia-X aus vollem Herzen - es geht schließlich genauso um Freiheit und Unabhängigkeit. Doch kommt das Projekt noch zur rechten Zeit?

Unternehmen haben den größten Druck

Gaia-X richtet sich an jene, die digitale Infrastrukturen und Services zur Verfügung stellen, jene, die über die Datenhoheit verfügen und die Unternehmen, die auf all das angewiesen sind. Für sie ist der Druck am größten: Gerade in Zeiten der Krise müssen Kosten gespart und gleichzeitig Innovationen vorangetrieben werden. Eine europäische Cloud-Lösung, die Effizienz und Sicherheit verspricht, kann da eigentlich nur auf Gegenliebe stoßen.

Unsere Beobachtungen in den letzten Jahren zeigen aber auch, dass die Akzeptanz gegenüber großen Cloud-Anbietern im europäischen Markt stark zugenommen hat. Zum einen aus Mangel an Alternativen, aber auch deshalb, weil ihre Infrastruktur offener geworden und eine technologische Abhängigkeit für Unternehmen damit vermeidbar ist. Ob Gaia-X ein Erfolg wird, hängt somit auch vom Umgang mit diesen Playern ab.

Cloud ist nicht gleich Cloud

Ein wesentlicher Treiber für die Cloud-Nutzung in Unternehmen ist ihre Automatisierbarkeit: Riesige Infrastruktur-Landschaften können auf Knopfdruck geschaffen werden, was im Vergleich zum manuellen Aufbau einen enormen Effizienzgewinn und mehr Sicherheit bedeutet. Ein solcher Vorgang ist zudem jederzeit reproduzierbar, sodass das Testen, die Veränderung und die Weiterentwicklung von Cloud-Umgebungen zusätzlich vereinfacht wird.

Die von Gaia-X veröffentlichten Architektur-Leitlinien sehen solche Automatisierungsmöglichkeiten vor. Das Risiko: Wenn neue Standards geschaffen werden, werden bereits getätigte Investitionen von Unternehmen in diesem Bereich hinfällig - was wiederum eine große Einstiegshürde darstellen würde. Offen ist zudem auch, wie die Kollaboration und Interoperabilität mit mehreren Providern erfolgen soll.

Kooperation als zentraler Erfolgsfaktor

Werden Amazon und Co. ihre bestehenden Infrastrukturen 'Gaia-X-tauglich' machen? Oder wird man auf das vielfältige Angebot dieser Dienstleister verzichten und sich auf wenige Services beschränken müssen? Wie sehen Migrationsszenarien aus? Unsere Haltung dazu: Wenn Gaia-X mehr als nur ein idealistisches Konzept sein soll, muss es auf diese Fragen gute Antworten geben.

Viele Unternehmen kennen ihre Stärken und die der Cloud bereits. Das Angebot im Zuge von Gaia-X muss folglich nicht nur wettbewerbsfähig sein, sondern klare Mehrwerte schaffen. Essentiell wird daher auch sein, Unternehmen und ihre Anwender möglichst früh - also genau jetzt - sehr eng in den Entwicklungsprozess einzubinden, damit es auch ihre Anforderungen sind, die letztendlich erfüllt werden.

Fakt ist: Europa rennt in Sachen Digitalisierung im internationalen Vergleich weiter hinterher. Statt vieler Parallel-Projekte ist der Ansatz, europäische Kompetenzen zu bündeln, genau der richtige. Doch es müssen vor allem jene Gehör finden, die dafür sorgen, dass echte Innovation auch passieren kann. Ansonsten haben wir es möglicherweise mit einem Prestigeprojekt zu tun, das seine Wirkung deutlich verfehlt.

Christina Kraus ist Mitgründerin von meshcloud und verantwortet die Bereiche Vertrieb und Kommunikation. Christina Kraus ist zudem Mitglied des Rats für Digitalethik der hessischen Landesregierung.