Strompreise : „Es fängt an, weh zu tun“
INDUSTRIEMAGAZIN: Herr Bauer, die Preise im Großhandel sind seit Jahren auf Talfahrt – eigentlich Traumverhältnisse für große Stromverbraucher. Ist die Industrie nicht der große Profiteur der Energiewende?
Christof Bauer: Die Industrie profitiert keineswegs in dieser Allgemeinheit. Beim Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) und den Netzentgelten gibt es Ausnahmeregelungen für besonders stromintensive Unternehmen. Der größte Teil der Industrie ist jedoch von den Abgaben genauso betroffen wie die Endverbraucher. Dass der starke Ausbau der Erneuerbaren in Deutschland tatsächlich so viel Geld kostet, hat man in der Vergangenheit schlicht unterschätzt oder einfach nicht zur Kenntnis genommen. Jetzt fängt es an, wirklich weh zu tun.
Trotzdem können Großabnehmer sich viel billiger mit Strom eindecken als vor vier Jahren.
Bauer: Unser Erfolg richtet sich nach den Bedingungen unserer Konkurrenten. Dass der Strompreis heute um fünf Euro billiger ist als vor vier Jahren, ist weniger entscheidend als die Frage: Welchen Strompreis hat der Wettbewerber, mit dem wir auf dem Weltmarkt konkurrieren? Und da müssen wir feststellen, dass sich die Situation für uns international eher verschlechtert hat – sofern man nicht von den Ausnahmeregelungen profitiert. So müssen wir im Vergleich zu den USA feststellen: Der Stromkostenfaktor liegt bei 1:2.
Wie reagieren energieintensive Industrieunternehmen wie Evonik auf die Situation?
Bauer: Natürlich versuchen wir, die kommende Preisentwicklung vorwegzunehmen und uns in unserem Beschaffungsverhalten entsprechend zu positionieren. Entscheidend ist der Blick auf die Marktentwicklung im nächsten und übernächsten Jahr. Hier gehen wir davon aus, dass der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien die Großhandelspreise weiter nach unten treiben wird, wenn keine grundsätzliche Änderung in der heutigen Organisation der europäischen Märkte passiert. Außerdem bemühen wir uns, dort, wo es Potenziale gibt, eigene Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen zu bauen. Auf diese Weise produzieren wir auf eine sehr effiziente Weise selbst Strom, und gleichzeitig müssen wir dafür die EEG-Umlage nicht bezahlen. Und unabhängig davon laufen in allen Unternehmen an allen Ecken und Enden Initiativen, um die Energieeffizienz weiter zu erhöhen.
Das klingt jetzt mehr nach business as usual als nach der Existenzbedrohung, von der in der deutschen Industrie immer wieder die Rede ist.
Bauer: Ich glaube, mit dem Konzert an Ausnahmebestimmungen, die wir heute haben, kann der größte Teil der energieintensiven Industrie in Deutschland international wettbewerbsfähig produzieren – von wenigen Ausnahmen abgesehen, die durch das Raster fallen. Doch die Belastungen haben sehr wohl ein Niveau erreicht, das für bestimmte Produktionen existenzbedrohend geworden ist. Soeben wurde bekannt gegeben, dass sich die EEG-Umlage 2014 auf 62,4 Euro pro Megawattstunde erhöht. Wenn man jetzt sagen würde, die Ausnahmen für energieintensive Industrien werden gestrichen, dann käme das einer Verdoppelung der Stromkosten gleich – und dann geht bei einer Reihe von Unternehmen buchstäblich das Licht aus.
Vor diesem Hintergrund: Wo sehen Sie das energieintensive Unternehmen Evonik, sagen wir, 2020?
Bauer: Ich bin sicher, dass Evonik 2020 am Markt ist, und zwar relativ unabhängig davon, was nun in Bezug auf das EEG und die Energiewende passiert. Es gibt Produktionen von Evonik, die sind nicht sehr energieintensiv, und Strom und Gas sind hier nicht die entscheidenden Kostenfaktoren. Allerdings könnte es sehr wohl Verschiebungen bezüglich der Orte geben, an denen weltweit produziert wird. Falls Strom in Deutschland für bestimmte Produkte tatsächlich unbezahlbar wird, werden diese Produktionen im Zweifelsfall eben woanders stattfinden. Also für Evonik sehe ich in Summe kein existenzielles Problem, für bestimmte Produktionen schon.
In Berlin herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass das EEG reformiert werden muss. Wann rechnen Sie mit einer Entscheidung? Was erwarten Sie hier?
Bauer: Ich glaube, dass noch dieses Jahr die ersten Eckpunkte sichtbar werden und dass wir Ende des ersten Quartals 2014 ein neues EEG haben werden. Einfach, weil der Zeitdruck so hoch ist.
Und welche Eckpunkte sind zu erwarten?
Bauer: Ich glaube, die drei wesentlichen Änderungen werden sein: Eine deutliche Absenkung der Einspeisevergütungen. Zweitens wird es nach einer Übergangszeit keine starren Einspeisevergütungen mehr geben, sondern es erfolgt der Übergang zu einer Bonuszahlung. Mit anderen Worten: Wenn zu bestimmten Zeiten der Strompreis niedriger ist, sinken auch die Einkommen der Produzenten von Strom aus PV- oder Windenergie. Drittens wird die Vermarktung von Wind- und PV-Strom wesentlich stärker den Erzeugern selbst überlassen. Es wird wohl kein Rundum-sorglos-Paket mehr geben, nach dem Motto: „produce and forget“. Schließlich wird es wohl auch eine gewisse Überprüfung und Verengung des Begünstigtenkreises bei den Ausnahmeregelungen geben. Denn da gibt es an den Rändern schon diskussionsbedürftige Grenzfälle. Aber ich hoffe sehr, dass dabei das Kind nicht mit dem Bade ausgeschütttet wird mit der Folge, dass dann Unternehmen ihre Produktion einstellen müssen.
Interview: Peter Martens
Zur Person
Dr. Christof Bauer ist Leiter des Bereichs Energiepolitik und Energiestrategie beim deutschen Hersteller Evonik Industries, einem der weltweit größten Konzerne für Spezialchemie. Er ist Vorstand im VIK, dem Energiefachverband der deutschen Industrie, sowie Mitglied unterschiedlicher Gremien bei den Verbänden BDI und VCI.