Interview : Erhard Grossnigg: "Wir müssen ordentlich umrühren"

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INDUSTRIEMAGAZIN: Herr Grossnigg, Sie haben derzeit rund 30 Beteiligungen in Ihren Investmentgesellschaften Austro-Holding und Grosso-Holding versammelt. Wie geht es Ihrer Gruppe?

Erhard Grossnigg: Ich habe mir letztes Jahr vor Weihnachten beim Schifahren ein Bein gebrochen. Damit die Zeit vergeht, habe ich damals die aktuellen Quartalsergebnisse deutscher und österreichischer Unternehmen gelesen. Vor allem die heimischen Wirtschaftsberichte zeigten für das zweite Halbjahr sehr schwache Ergebnisse. Danach habe ich alle unsere Geschäftsführer aufgefordert, die bereits vorliegenden Budgets für 2015 unter Worst-Case-Szenarien noch einmal zu rechnen – ohne Hoffnungspotenziale und ohne Konjunktive ...

... und was war das Resultat?

Grossnigg: Die Verantwortlichen in den Beteiligungen waren damals von meinem Wunsch nicht sehr begeistert. Aber selbst von diesen Budgets, die wir Anfang 2015 erstellten, lagen wir heuer fast 80 Prozent daneben. Wir liefern zwar positive Ergebnisse, die liegen aber deutlich unter unseren Erwartungen. Es verläuft alles sehr zäh.

Sie haben bei Ankerbrot heuer noch einmal ordentlich zugegriffen und zuletzt die Anteile der Familie Ostendorf zur Gänze übernommen. Damit gehören Austro Holding sowie Grosso-Holding in Summe 81,25 Prozent der Anteile. Die Umsätze schwanden in den letzten sechs Jahren von 130 auf 110 Mio. Euro ...

Grossnigg: Die Aufstockung der Anteile war notwendig, weil wir dadurch die Geschäftsführung verstärken. Der bisherige Geschäftsführer Peter Ostendorf geht in den Aufsichtsrat, aber in der operativen Spitze brauchten wir eine Veränderung. Die Herausforderungen sind groß: Ankerbrot wird durch das Filialsystem stark wahrgenommen. Aber das sind nur 40 Prozent des Umsatzes. Der Rest des Umsatzes kommt aus der industriellen Lieferung von Backwaren an die Lebensmittelketten. Dieser Bereich ist derzeit im Umbruch. Denken Sie nur an die Back-Shops bei Hofer. Das bedeutet, dass dieser Umsatzanteil sinkt. Und darauf muss man sich einstellen.

Ihr Problem ist, dass Ankerbrot nach dem industriellen Kollektivvertrag entlohnen muss, Ihre Mitbewerber jedoch nach dem gewerblichen Kollektivvertrag bezahlen können ...

Grossnigg: Das sind fast 20 Prozent Unterschied – bei einem Lohnkostenanteil von 40 Prozent. Dieser Nachteil ist nicht aufzuholen. Dazu kommt, dass wir die Produktion modernisieren müssen. Der neue Geschäftsführer (Andreas Schwarzenberger, Ex-Geschäftsführer der Austro Holding und Marketingexperte, Anm. der Redaktion) muss diese Dinge ins richtige Lot bringen. Da müssen wir ordentlich umrühren.

Sie haben vor Kurzem gemeinsam mit dem ehemaligen Wirtschaftsminister Bartenstein den Büromöbelhersteller Bene übernommen. Gleichzeitig verfügen Sie mit Neudörfler bereits über einen Möbeltischler im Portefeuille. Sind da Synergien zu heben?

Grossnigg: Hätte die Hauptversammlung im Frühjahr unser Angebot nicht gebilligt, wäre Bene in Konkurs gegangen. Wir haben Bene und Neudörfler in eine Holding eingebracht, weil beide Marken an ihren Standorten ihre Berechtigung haben. Bene macht in Österreich 30 Prozent Umsatz, Neudörfler im Inland über 90 Prozent. Ich bin überzeugt, dass beide Marken in Österreich ihren Platz haben. Synergien wird es geben, aber eine Zusammenlegung der Standorte ist nicht geplant.

Bene soll ja vor einer Kündigungswelle stehen ...

Grossnigg: Wir werden uns noch einmal von vielen Mitarbeitern trennen müssen, um die Strukturen den Umsätzen anzupassen. Bisher ist da nicht viel passiert, weil Kündigungen Geld kosten, das nicht mehr da war. Bene muss grundlegend umgebaut werden. Da ist in der Vergangenheit viel schief gegangen, vor allem auf der Kostenseite. Die Ausgaben kann ich immer selbst kontrollieren. Beim Umsatzwachstum brauche ich immer Kunden, die mitspielen müssen. Bei der Kostenkontrolle kann ich unabhängig von Dritten agieren.

Eine Frage an den Miteigentümer der Westbahn: War es für die Außenwirkung wirklich clever, dass Ihr Unternehmen von den ÖBB eine Preisminderung verlangt hat, weil angesichts der Flüchtlingskrise eine Qualitätsminderung der Bahnhöfe und Infrastrukturbereiche zu bemerken war?

Grossnigg: Das Thema haben wir zurecht angesprochen. Die ÖBB haben ja bereits von ähnlichen Umsatzrückgängen gesprochen. Doch bei den ÖBB zahlt dies der Staat. Bei der Westbahn die privaten Investoren. Darin sehe ich einen gravierenden Unterschied. Die Geschichte wurde von den ÖBB sofort ausgenutzt, um uns in ein schiefes Licht zu rücken.

In der Öffentlichkeit hat Christin Kern das Image, bei den ÖBB einen durchaus respektablen Job zu machen. Wie ist Ihre Einschätzung?

Grossnigg: Da bin ich nicht überzeugt. Die Ergebnisverbesserungen, für die er gelobt wird, sind samt und sonders auf erhöhte staatliche Zuflüsse und Preiserhöhungen zurückzuführen. Das habe ich ihm auch gesagt.

Herr Grossnigg, vor rund einem Jahr meinten Sie, die allgemeine Lage am Wirtschaftsstandort Österreich habe sich dramatischer zum Schlechten verändert, als dies wahrgenommen wird. Ein Befund, den Sie noch stützen?

Grossnigg: Die Situation ist leider um nichts besser geworden. Vielleicht mit dem Unterschied, dass die Menschen die Lage jetzt zu spüren bekommen. Haben Sie in Österreich Reformen oder Entwicklungen festgestellt, die einen besseren Befund erlauben würden?

Es gab eine Steuerreform ...

Grossnigg: Das war keine Reform. Das war die Weiterführung ausgefahrener Wege mit Behübschungen. Ich hatte zu dem Thema einmal eine Unterhaltung mit dem Bundesminister Hundstorfer, der mich nach meiner Managementstrategie gefragt hat. Ich sagte ihm, dass ich oft Dinge tun muss, die unangenehm und unpopulär sind. Aber wenn ich das große Ganze retten will, bin ich gezwungen, tiefe Schnitte zu setzen – und zwar in einem Aufwasch. Und das nicht scheibchenweise und mit Salamitaktik. Ich bin überzeugt, dass dies auch in der Politik so funktioniert. Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar, wie es bei Ingeborg Bachmann heißt.

Was meinte Hundstorfer?

Grossnigg: Ich bin mir nicht sicher, ob meine Worte den Minister beeindruckt haben.

Was läuft denn falsch in Österreich?

Grossnigg: Wir sind reformunfähig. In den Bereichen Pensionen, Bildung, Gesundheit und Verwaltung haben wir den Anschluss verloren. Diese Punkte werden seit Jahren zerredet, manchmal mit einigen Pflästerchen verarztet, geändert hat sich aber nichts. Dass ein Pensionssystem nicht länger funktionieren kann, in dem die Menschen länger beziehen, als sie einzahlen, das muss ich niemandem auf der Straße erklären. Mir hat ein Regierungsmitglied einmal gesagt: Wenn wir machen, was notwendig ist, jagen uns die Wähler davon. Ich kann nur sagen: So auch.

Von Ihnen ist der Ausspruch bekannt: Politiker sei der einzige Beruf, für den man keine Ausbildung braucht. Mit Finanzminister Hansjörg Schelling ist ein Mann in die Himmelpfortgasse eingezogen, der aus der Welt der Wirtschaft und des Managements kommt. Wie lautet Ihr Urteil nach einer 14-monatigen Amtszeit des gegenwärtigen Finanzministers?

Grossnigg: (seufzt) Was soll ich sagen? Unterm Strich herrscht Enttäuschung. Ich komme aus dem bürgerlichen Lager. Und ich habe geglaubt, dass Reinhold Mitterlehner gemeinsam mit Hansjörg Schelling das Ruder herumreißen könnte – oder zumindest frische Impulse setzen. Ich habe in der Richtung noch nichts erlebt.

Kann es der neue Finanzminister nicht oder darf er nicht?

Grossnigg: Zumindest sollte er streiten. Da habe ich bisher noch nicht den Eindruck, dass er hier mit maximalem Einsatz agiert. Da sehe ich durchaus mehr Möglichkeiten, Dinge durchzusetzen.

Wäre Regierungsarbeit unter Beteiligung der FPÖ produktiver?

Grossnigg: (schweigt lange) Wenn man die beteiligten Personen kennt, ist das schwer bis nicht vorstellbar.

Wenn ein unternehmen in Österreich in Schieflage gerät, ist der gebürtige Linzer nicht weit: In über 100 Fällen hat er sich an Firmen beteiligt und die meisten saniert. Die Kfz-Zubehörkette Forstinger, der Vorarlberger Textilhersteller Huber oder der dichtungshersteller Economos kamen mit der Hilfe Grossniggs wieder auf die Beine. Von der Strategie kaufen, sanieren und verkaufen ist Grossnigg aber schon Mitte der Nuller-Jahre abgekommen. Der Ausstieg aus der Restrukturierung- und Beteiligungs GmbH (REB) beendete sein Intermezzo als "Heuschrecke". "Mir fehlte dabei die Nachhaltigkeit", sagt Grossnigg heute. Er behält lieber seine Beteiligungen: die Marke Dachstein hält der unverändert aktive Schifahrer seit mehr als 20 Jahren, auch der Möbelhersteller Neudörfler, Spezialtürenhersteller Domoferm, die Heiz- und Kochgerätefirma Lohberger oder die Traktorenmarke Deutz gehören seit längerem zum Bestand seiner Beteiligungen. Augarten-Porzellan bezeichnet Grossnigg als Steckenpferd. Die aktuelle operative Geschäftsführung beim Allgäuer Strumpfhersteller Kunert (seit September 2013 unterm Grossnigg-Dach) mit wöchentlichen reisen nach Süddeutschland macht dem fast 70-Jährigen augenscheinlich Spaß: "Das kann ich am besten".