Frachtenbörsen : Drei, zwei, eins – deins!

Container Logistik Transport
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Im Jänner platzte ihm der Kragen. „Große Abzocke über die Frachtenbörsen“ beklagt ein „Fuhrparktreiber“ mit dem Usernamen „Paul Panther“ in einem der zahlreichen Transportforen im Internet. „Asoziale Frachtanbieter“ würden ihre Transporte zu Frachtraten weit unter dem Kostendeckungsbeitrag anbieten. Im Schutz der Anonymität gehen die Wellen höher als unter Klarnamen, doch Frachtenbörsen haben offenbar beträchtliches Potenzial für Emotionen. Was angesichts des Geschäftsmodells nicht unbedingt naheliegt. Frachtenbörsen bündeln, was in Offline-Zeiten über stundenlange Telefonate abgewickelt werden musste: Sie vermitteln den Kontakt zwischen jenen, die Ware transportieren wollen, und jenen, die Frachtraum anbieten können. Die Geschäftsabschlüsse erfolgen weiterhin zwischen den beiden Partnern, die Frachtenbörsen bekommen dafür pauschalierte Beträge oder rechnen pro verbrachter Fracht ab. Dabei geht es mittlerweile um ungeheure Mengen: TimoCom, nach Eigenangaben europäischer Marktführer, verbuchte im vergangenen Jahr den bisherigen Rekord von knapp 416.000 Fracht- und Laderaumangeboten an einem einzigen Tag. Die solcherart versammelte Marktmacht lässt die Angebotslage in der Frachtenbörse sogar zum Indikator für die Transportkonjunktur werden. Branchenmedien wie die „Deutsche Verkehrszeitung“ veröffentlichen das „Transportbarometer“ der TimoCom als wöchentlichen Messfühler der Branchenentwicklung. Hier gehts weiter

Die Orientierung an der Frachtenbörse erstreckt sich auch auf den persönlichen Kontakt – und nimmt bisweilen skurrile Formen an. „Die erste Frage der Frächter an uns Spediteure ist häufig jene nach der TimoCom-Nummer“, erzählt Davor Sertic, Geschäftsführer von Unitcargo. „Das haben mir mehrere meiner Disponenten erzählt, und ich fand das eigentlich ziemlich lustig.“ Der Hintergrund: Eine niedrige Kundennummer signalisiert, dass der Spediteur schon lange auf dem Markt ist und es sich um keine Neugründung handelt. „Angeblich“, sagt Sertic, „werden diese Nummern manchmal sogar gehandelt.“„Man muss nur rechnen können“Vorbehalte gegen die Frachtenbörsen stehen häufig vor dem Hintergrund einer notorisch unter Preisdruck stehenden Branche. Davor Sertic, dessen Spedition prinzipiell keine Ladungen in Frachtenbörsen einstellt, ist davon überzeugt: „Sie verstärken die Entwicklung, dass die Transportpreise in den Keller rasseln.“ „Die Preissituation in unserem Gewerbe ist ohnehin schon sehr angespannt, und sie wird durch das Hinunterlizitieren auf den Frachtenbörsen natürlich weiter verschärft“, meint auch Wolfgang Herzer, der Fachverbandsobmann der Güterbeförderer in der WKO. Dass Frachtenbörsen grundsätzlich ein „gutes und nützliches Werkzeug“ für Unternehmen seien – vor allem, wenn es um das Vermeiden von Leerfahrten geht –, sei unbestritten. „Dass die Preise darunter leiden, ist aber natürlich nicht in Ordnung.“ Herzer, selbst Transportunternehmer, räumt allerdings ein, „dass zu einer solchen Entwicklung immer zwei gehören: Zuerst beim Dumping mitzumachen und dann über den Preisverfall zu raunzen, das ist unredlich.“ Das Unwohlsein gegenüber Preisverhandlungen in Form von Auktionen fällt somit sehr schnell auf die handelnden Personen zurück. Für den Wiener Neudorfer Transporteur Fritz Müller sind die Frachtenbörsen „schon längst kein emotionales Thema mehr – sie gehören dazu, und wir alle haben gelernt, damit umzugehen.“ TransparenzFrachtenbörsen trügen zwar bestimmt nicht dazu bei, die Preise wieder in die Höhe zu treiben, dass sie aber die Abwärtsbewegung wesentlich beschleunigt hätten, glaubt der Firmenchef nicht. „Im Grunde gilt doch: Man muss einfach nur rechnen können. Das ist aber offenbar ein Manko in unserer Branche.“ TimoCom-Sprecher Marcel Frings muss also mit wenig Widerspruch rechnen, wenn er trocken auf den Marktmechanismus von Angebot und Nachfrage verweist: „Wir halten uns aus den Preisverhandlungen komplett raus, wir geben keinen Preis für Transportunternehmen vor. Der Geschäftsabschluss findet außerhalb der Plattform zwischen den Teilnehmern statt. Richtig ist allerdings: Die Börse trägt zur Transparenz bei.“Hier gehts weiter

Die Transparenz löst aber auch Kritik aus. Davor Sertic weist darauf hin, dass Spediteure, die sich in der Branche gut auskennen, anhand der Angebote in den Frachtenbörsen bisweilen konkrete Schlüsse auf die Unternehmungen des Mitbewerbs ziehen können. „Das ist relativ einfach, wie ein offenes Buch“, meint Sertic. Fritz Müller gibt sich auch in dieser Hinsicht entspannt und vergleicht den Umgang mit Frachtenbörsen mit dem Userverhalten auf Facebook: „Natürlich kann man gewisse Rückschlüsse auf Konkurrenten ziehen. Aber wir leben nun einmal in einer transparenten Welt, und man nimmt an den Börsen ebenso freiwillig Teil wie an den Social Media.“ Ladungen von sensiblen Kunden stelle man einfach nicht hinein.SofaspediteureDas ambivalente Verhältnis zu den Börsen hat viel mit dem Selbstverständnis der Branche zu tun. Der Transportbereich ist immer noch hemdsärmelig, und so mancher Firmenchef steigt selbst in den Lkw, wenn ein Fahrer ausfällt. Spediteure wie Davor Sertic sind der Nostalgie unverdächtig, aber selbst er beklagt den Rückzug angestammter Werte: „Früher ging es in unserer Branche wesentlich stärker um Faktoren wie Vertrauen, um persönliche und langfristige Kundenbeziehungen. Aber diese alte Welt wird immer kleiner. Die neue Welt ist im Grunde eine sehr unangenehme, aber wir mussten lernen, damit zu leben.“ In fünf Jahren, prophezeit er, würde das Geschäft überwiegend über die Frachtenbörsen laufen, „und wer damit nicht kann, der wird auch nicht überleben“. Ein besonderer Dorn in den Augen der Angestammten sind die selbst ernannten Unternehmer, die Wolfgang Herzer „Sofaspediteure“ nennt: Menschen, die keine Ahnung von der Branche haben und glauben, alleine mit dem Hinunterlizitieren der Preise via Laptop das große Geld machen zu können. „Man kann aber bestimmt nicht sein komplettes Geschäft auf dem Handel über Frachtenbörsen aufbauen“, meint auch Fritz Müller. „Man muss einen soliden Sockel an Geschäft haben und zumindest zum Teil auch mit eigenen Lkw transportieren können.“Hier gehts weiter

Die „Sofaspediteure“ sind von der Branche verachtete Zocker, doch was sie tun, ist legal. Der Bereich der Kriminalität hat die Entwicklung der Frachtenbörsen jedoch von Anfang an begleitet. „Natürlich ist dieses Feld ein idealer Nährboden für unseriöse Anbieter, gegen die man sich wirklich schützen muss“, erzählt Fritz Müller, nicht ohne zu betonen, dass dies keineswegs die Schuld der Frachtenbörsen sei. „Ich habe selbst einen Fall miterlebt, in dem fünf Anbieter von Ladungen geschädigt wurden – die Ladungen sind einfach verschwunden.“ Aufrüsten gegen KriminelleGegenüber Frachtanbietern, meint Müller, sei das Risiko noch überschaubar – verlieren könne man hier nur etwas Geld. „Bei unbekannten Frachtführern besteht aber die prinzipielle Gefahr, gleich die ganze Ladung zu verlieren.“ Aus diesem Grunde gebe es auch immer wieder Kontrakte mit Kunden, die das Einstellen der Ladungen in Börsen prinzipiell verbieten. Beide Seiten sind gezwungen, massiv gegen Kriminelle aufzurüsten. Bei den etablierten Frachtenbörsen ist ein mehrstufiges Security-Verfahren längst Standard. Am Beispiel der TimoCom: Zugang zur Börse wird üblicherweise erst ab sechs Monaten Unternehmensexistenz gewährt, und vor Vertragsabschluss werden die wesentlichen Geschäftsunterlagen überprüft. Um die Entschlüsselung der Benutzerkennung zu verunmöglichen, vergibt das Unternehmen keine Kennwörter zur Identifizierung, sondern bietet einen speziellen Sicherheitsschlüssel zum Download an. Ein eigenes Juristenteam steht den Kunden bei Inkassofragen zur Seite. Die Spediteure richten ähnliche Prozesse ein, erzählt Fritz Müller: „Für unbekannte Frachtführer haben wir einen eigenen Prozess eingeführt, bei dem unter anderem Steuernummer und CMR-Versicherungspolizze nachgefragt und überprüft werden. Aus dem Nichts übergeben wir heute keine Ladungen an unbekannte Frächter. Wie überall im Leben lernt man aus Schäden und führt Schutzmechanismen ein. Das gilt auch für Frachtenbörsen.“ "Verhandel nach oder lass es bleiben"Das sukzessive Aufrüsten der professionellen Börsen beim Thema Sicherheit führte dazu, dass unseriöse Mitbewerber mittlerweile immer rascher aus dem Markt gemendelt werden. Und selbst wer dem Phänomen kritisch gegenübersteht wie Davor Sertic, räumt ein, dass es ohne die Börsen „nicht mehr geht“. Das wird auch in den tendenziell mit der groben Klinge ausgetragenen Diskussionen der Online-Foren deutlich: „Paul Partner“ milderte seinen ursprünglich härteren Betrefftitel auf Anraten mehrerer User ab. Und erhielt von „stillermitleser“ den lapidaren Rat: „Wenn dir der Frachtpreis nicht ausreicht, dann verhandel nach oder lass es bleiben!“Bernhard Fragner