Jubiläumsheft : Das potente Vierteljahrhundert

Aufmacher Serie ec austria Februar 2012
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Die Bilder machen den Wandel besonders deutlich. Um das Jahr 1990 sind sie oft noch schwarz­weiß. Hinter dicken Hornbrillengläsern schauen da die Vorstände vieler Firmen hervor, manch einer noch eine Zigarette der Austria Tabak Werke in der Hand. Der Blick wirkt irgendwie verzwickt, beengt. Fast automatisch fallen einem da auch jene zwei Männer ein, die Österreich damals gewissermaßen als Nebenregierung geprägt haben: der oberste Wirtschaftskämmerer Rudolf Sallinger, bis 1990 im Amt, und sein rotes gegenüber in der Gewerkschaft, Anton Benya.

Heute sind die Fotos farbig, mit Computer geglättet, die Unternehmensbosse tragen fragile, randlose Brillen, der Blick schweift visionär in die Ferne. Es ist mehr als eine bloß aufgrund von neuen Konventionen geänderte Bildsprache. In den neuen Bildern zeigt sich auch der Wandel der Zeit.

Als das INDUSTRIEMAGAZIN 1990 das erste Mal erschien, war der „Ostblock“ gerade untergegangen und mit ihm eine Welt der Gegenpole, die bei allen Unterschiedlichkeiten nebeneinander koexistieren mussten: Hier der freie Westen, dort der Eiserne Vorhang, hier die Gewerkschaft, dort eine kleinständische, oft in ihren provinziell nationalstaatlichen Beschränkungen verhaftete Wirtschaft.

Und dann wurde fast von einem Tag auf den anderen alles anders: Mit der rasant vor sich gehenden wirtschaftlichen Öffnung des Ostens nach 1990 hatte Österreich erstmals seit der Monarchie wieder einen erweiterten Heimmarkt, der zur Expansion regelrecht einlud, der aber auch eine nachhaltige Marktöffnung und Liberalisierung der bis tief in die achtziger Jahre als Insel der Seligen abgeschotteten Republik nötig machte. Der Beitritt zur Europäischen Union einige Jahre später war nur eine logische Folge davon.

Seine Tragweite zeigte sich unter anderem in einer beeindruckenden Steigerung der österreichischen Exporte, die sich seit dem Beitritt bis heute um das Dreifache auf 87 Milliarden Euro jährlich hochschraubten, vor allem dank der Maschinen­, Elektrobau­ und Fahrzeugindustrie. Ähnlich steil nach oben entwickelte sich auch die Gewinnquote der heimischen Unternehmen: sie schnellte von 26 auf 35 Prozent, quer durch alle Wirtschaftssparten.

Die Ergebnisse des INDUSTRIEMAGAZIN­Rankings „Die Top 100 des Vierteljahrhunderts“ spiegeln die zwei großen strukturellen Entwicklungslinien des letzten Vierteljahrhunderts wider: die Transformation der verstaatlichen Industrie und das Aufkommen jener Hidden Champions, die in ihren Nischen unangefochtene Weltmeister sind und längst vor allem vom Exportgeschäft leben.

Und so finden sich in unserem Ranking jene Größen aus der verstaatlichten Industrie, die den Wandel geschafft haben, ganz vorne in unserem Ranking. In absoluten Zahlen betrachtet waren die OMV und die Voestalpine die zwei Unternehmen, die während dieses Vierteljahrhunderts ihren Umsatz gegenüber 1990 am stärksten steigern konnten: um rund dreißig Milliarden Euro die OMV, um fast acht Milliarden die Voestalpine. Doch auch viele (Landes­) Energieversorger sind vorne dabei: der Verbund, die KELAG, die Wien Energie.

Trotz der Dot-Com-Blase, Finanzkrise und Billiglohn-Konkurrenz: Österreich bleibt Industrieland

Auf der anderen Seite, dort wo es um Wachstum in Prozent geht, finden sich auffällig viele Mittelständler aus dem Bereich Maschinen­ und Anlagenbau auf den vorderen Plätzen: etwa die Maschinenfabrik Liezen (die gleich um mehr als tausend Prozent wuchs), die Trumpf Maschinen Austria mit ähnlichem Zuwachs, die Knorr­Bremse und, und, und. All die Genannten sind zwar nicht die totalen Umsatzführer, ihr überdurchschnittliches prozentuelles Wachstum gibt aber nahezu eins zu eins die Entwicklung der österreichischen Industrie wider: hin zum absoluten Hightech­Segment und zur Bedienung von kleinen, dafür aber umso feineren Nischen. Dass übrigens auch die klassischen Innovationstreiber wie zum Beispiel die Infineon (die im Vergleich zu 1990 den Umsatz um 1,3 Milliarden gesteigert hat), die Knapp AG oder die Plansee Holding in unserem Ranking ebenfalls weit vorne landen, passt in dieses Bild.

Wie überhaupt sich aus den Zahlen noch viele weitere Erfolgsgeschichten herauslesen lassen, die die Behauptung rechtfertigen: Trotz der geplatzten Dot­Com­ Blase, trotz Lehman­Pleite und trotz der derzeit eher lauen Konjunkturprognosen war es für die österreichische Wirtschaft ein verdammt gutes Jahrhundert. Die Gründe dafür, dass Österreichs Unternehmen allen Schwankungen und Widrigkeiten zum Trotz fast durchwegs gewachsen sind, sieht einer unserer Rankingsieger, der Voestalpine­-Chef Wolfgang Eder, auch darin, dass heimische Manager es geschafft haben, angesichts der neuen, viel stärker an globalem Wettbewerb orientierten Zeit ihre Belegschaften halbwegs bei Laune zu halten: „Innovationskraft und Technologieführerschaft sind langfristig wichtig“, sagt er. „Kurzfristig entscheidet aber die Kostenposition. Und hier liegt die große Herausforderung für Manager: Wie schaffe ich es, dass die Mannschaft unter dem Dauerdruck nicht resigniert?“

Wobei Eder natürlich auch nicht bestreitet, dass die Steigerung der F&E­Quote ebenfalls eine der wesentlichen Landmarken auf Österreichs Erfolgsweg in den vergangenen 25 Jahren gewesen ist. 1990 gingen 1,86 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung, das waren 1,36 Prozent des BIP. Heute halten wir bei fast zehn Milliarden und 3,34 Prozent des BIP. Fast die Hälfte davon wurde von Unternehmen geleistet. Unter unseren Ranking­Teilnehmern fallen gleich mehrere durch besonders hohe Steigerung ihrer F&E­Quote auf: unter anderem Infineon, wo man heute 320 Millionen Euro jährlich für diesen Zweck ausgibt und somit um ganze 319 Millionen mehr als 1990, oder die Voestalpine mit 130 Millionen, was eine Steigerung von rund 100 Millionen bedeutet. Auch die Kapsch Group mit 77 Millionen sticht hervor.

Für Georg Kapsch, den Unternehmenschef, sind Ausgaben für Forschung und Entwicklung auch ein Beitrag, den die Industrie zur Standortsicherung leistet: „Gerade die Industrie ist und bleibt zentrale Triebfeder von Innovation am Standort Europa“, sagt er und verweist darauf, dass die Industrie bei einem Anteil von rund 15 Prozent der direkten Wertschöpfung für fast 49,3 Prozent an innovativen Investitionen verantwortlich ist.

Infineon­Vorstand Sabine Herlitschka wiederum betont, dass die Forschungsausgaben ihres Unternehmens nicht zuletzt dazu beitragen, Österreichs Universitätslandschaft zu beleben: „Natürlich beteiligen wir uns auch an öffentlichen Forschungsprogrammen, ob das nun europäische oder nationale Programme sind oder Kooperationen mit den Universitäten. Nur wegen einer Förderung soll und kann man jedoch keine Forschung machen. Wir machen das aus tiefer strategischer Überzeugung.“

Was die Entwicklung Österreichs zu einem Hochtechnologieland betrifft, so sind dafür aber nicht nur die Großkonzerne mit ihren gewissermaßen natürlich hohen Forschungsausgaben verantwortlich. Sehr klar zeigt das jener Teil unseres Rankings, in dem wir die prozentuellen Zuwächse bei der Forschungs­ und Entwicklungsquote erhoben haben. Und da fallen auch einige Mittelständler mit Steigerungen von gleich einigen tausend Prozent auf: zum Beispiel Palfinger, die Knapp AG oder Trumpf Maschinen.

Neben konsequenter Innovation ist auch Exportorientierung ein wichtiger Beitrag zur Erfolgsstory des potenten Vierteljahrhunderts 1990 – 2015. Auch dazu haben wir Daten erhoben. Hier führt die Kapsch Group die Reihung an. Auf den darauf folgenden Plätzen zeigen sich aber einige Überraschungen. So landet Herz, ein Hersteller von Armaturen, Regelungen und Thermostatventilen, auf Platz zwei mit einer doch beträchtlichen Steigerung von fünfzehn auf heute 75 Prozent. Danach folgt ein Unternehmen der Lebensmittelindustrie, nämlich Kelly, und danach der Coating­Spezialist Adler, der von einer Exportquote von ebenfalls einst fünfzehn Prozent nun den Stand von 56 Prozent erreichte.

Womit sich zeigt, dass der erfolgreiche Weg in den Export, den zunächst einmal vor allem Unternehmen aus dem Bereich des Maschinenbaus und der Autozulieferindustrie vorgemacht haben, inzwischen auch von anderen Branchen bestritten wird. Das potente Vierteljahrhundert zieht immer weitere Kreise.