Hintergrund : Corona bringt gesamten Umbauplan der deutschen Autoindustrie in Gefahr

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© Paul Langrock / laif / picturedesk.com

Die Coronakrise bringt die Machtbalance mit den Gewerkschaften in der deutschen Autoindustrie ins Wanken. Gerade erst haben sich die Konzerne mit den Arbeitnehmervertretern mühsam auf einen Sparkurs geeinigt, um die hohen Investitionen in die Elektromobilität zu stemmen, da macht ihnen die Pandemie einen Strich durch die Rechnung.

Die Unternehmen müssen ihr Geld nun noch stärker zusammenhalten, weil wegen der Rezessionsangst kaum noch jemand Autos kauft. Der Spardruck steigt dadurch und trifft zunehmend das Personal. "Jetzt ist die Zeit, alles infrage zu stellen", rät Elmar Kades, Leiter der Autosparte des Beratungsunternehmens AlixPartners. Der Autozulieferer Continental schließt Kündigungen schon nicht mehr aus. Dadurch nimmt die Verunsicherung in den Belegschaften zu. Europaweit ringen Gewerkschaften und Regierungen mit Konzernleitungen um den Erhalt von Fabrikstandorten und Arbeitsplätzen.

Die Autokonzerne stehen mit dem Rücken zur Wand. Setzen sie keine weiteren Einsparungen durch, gefährden sie ihre Zukunft. Auch in Deutschland ist die Stimmung aufgeheizt: "Ich befürchte, dass dies schon bald flächendeckend zu massiven Auseinandersetzungen um Beschäftigung, Standorte, Entgelte und Arbeitsbedingungen führen wird", sagt Jörg Köhlinger, Chef des IG-Metall-Bezirks Mitte. Daimlers Betriebsratschef Michael Brecht warnt: "Wir werden Arbeitsplätze dauerhaft verlieren."

Nun gehe es darum, die Zahl so gering wie möglich zu halten, sagte Brecht der "Automobilwoche" jüngst. Daimler hatte schon im Herbst einen massiven Stellenabbau angekündigt, um in der Krise zu sparen. Auch die VW-Tochter Audi und BMW wollen tausende Jobs streichen. BMW hat sich gerade erst mit dem Betriebsrat auf den Abbau von bis zu 6.000 Jobs geeinigt. Damit summiert sich der Arbeitsplatzabbau allein bei den drei Oberklasseherstellern auf rund 30.000.

Der Druck hat sich seit dem Ausbruch der Coronakrise erhöht. Zehntausende Mitarbeiter sind in Kurzarbeit. Die Unternehmen versuchen so, die beim erhofften Anspringen der Konjunktur benötigten Fachkräfte so lange wie möglich an Bord zu halten. "Uns ist natürlich klar, dass Kurzarbeit kein Dauerzustand sein kann", sagt Thorsten Gröger, Bezirkschef der IG Metall in Niedersachsen, wo Conti und VW ihren Sitz haben. "Jetzt müssen alle an einem Strang ziehen, dass am Ende wieder Beschäftigung entsteht und nicht der Verlust von Arbeitsplätzen." Entscheidend sei, dass die Nachfrage anspringe.

Experte: "Jetzt ist die Zeit, alles infrage zu stellen

Doch danach sieht es derzeit nicht aus. "Die globalen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie sind im Jahr 2020 so dramatisch, als wäre ein Markt von der Größe Europas über Nacht verschwunden", sagt Jens Haas von AlixPartners. Das Beratungsunternehmen prognostiziert für heuer einen Einbruch der weltweiten Verkaufszahlen um 20 Millionen Fahrzeuge im Vergleich zu 2019. Voraussichtlich bis 2025 würden die Absatzzahlen von 2019 nicht wieder erreicht. Der Branche steht damit eine lange Durststrecke bevor. Die Automobilindustrie befinde sich in einem tiefgreifenden Wandel, der mit der Entwicklung von E-Autos nicht abgeschlossen sei, sagt AlixPartners Autoexperte Kades. "Produzenten müssen dorthin gehen, wo es 'schmerzt' und zusätzlich zum akuten Krisenmanagement Entscheidungen für die Zukunft ihrer Unternehmen treffen."

Damit bringt die Krise das in Deutschland über Jahrzehnte gewachsene partnerschaftliche Verhältnis zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern in Gefahr. Die IG Metall wirft den Arbeitgebern vor, die Pandemie zu nutzen, um soziale Reformen zu stoppen und Erreichtes zurückzudrehen. Sie bezieht sich dabei auf von den Metallarbeitgebern unlängst vorgelegte Vorschläge zur wirtschaftlichen Erholung nach der Coronakrise.

Beim Machtkampf bei Volkswagen, der Konzernchef Herbert Diess fast den Job gekostet hätte, geht es im Kern auch darum, wieviele Arbeitsplätze der Restrukturierung zum Opfer fallen. In Frankreich ging die Gewerkschaft auf die Barrikaden, weil die Opel-Mutter Peugeot Arbeiter aus einem Werk im polnischen Gliwice einsetzen wollte, um im französischen Hordain bei der Wiederaufnahme der Produktion zu helfen.

"Die Situation in Frankreich und in Deutschland, bei Volkswagen, zeigt, dass die Industrie unter einem sehr hohen Konsolidierungsdruck steht", sagt Autoexperte Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach. "Wenn man die Einigkeit zwischen Betriebsräten und Management nicht hat, wird es sehr schwer, eine Restrukturierung umzusetzen." Der Konflikt bei Opel habe dazu geführt, dass es zehn Jahre dauerte, um das Werk in Bochum zu schließen. "Die gesamte Firma wurde durch diese Verzögerung geschwächt", sagt Bratzel. (reuters/apa/red)