Paketlogistik : So verändert E-Commerce die Logistik

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Der Start war längst erwartet worden, und doch schlug er erstaunlich hohe Wellen. Seit Anfang Mai liefert Amazon in Deutschland unter dem Label „Fresh“ versuchsweise auch Lebensmittel. Jeder hatte damit gerechnet, und Amazon ist auch keineswegs der erste, der auf diese Idee kommt. Allerdings der erste, dessen Marktmacht und dessen Image das Zeug haben, eine ganze Branche aufhorchen zu lassen. Die enorme Bündelungskompetenz, die sich aus den Versandmengen ergibt, lässt den nächsten Schritt – die Etablierung eines allgemeinen Logistikdienstleisters – immer wahrscheinlicher werden. Doch selbst, wenn Amazon diesen Schritt nicht gehen sollte: E-Commerce ist längst dabei, nicht nur den Handel selbst massiv zu verändern, sondern auch die Logistik. Fünf Bereiche, in denen das bereits sichtbar wird.

1 Innovation

Der wachsende E-Commerce übt massiven Druck auf die KEP-Logistik aus. Die reagiert mit immer neuen Ideen.

Man kann darüber klagen, oder man sieht es wie Efrem Lengauer. „Dass die KEP-Dienste unter Druck stehen, ist wohl unbestritten“, sagt der Professor am Logistikum in Steyr, „aber E-Commerce ist gleichzeitig ein echter Treiber für Innovation.“ In einem gesättigten Markt, in dem das Zustellen eines Pakets von A nach B binnen ein oder zwei Tagen längst Commodity ist, bleiben als Stellschrauben nur Preis und Zusatzleistung. Da die Dienstleister beim Preis bereits ihre Schmerzgrenzen erreicht oder überschritten haben, geht derzeit alles in Richtung Digitalisierung und Flexibilisierung, wie DPD-Österreich-Chef Rainer Schwarz bestätigt: „Wir bauen die Kommunikation mit dem Empfänger permanent aus, also die Möglichkeit, etwa einen anderen Liefertag oder eine andere Lieferadresse anzugeben.“ Anstrengungen, die einigen bereits zu weit gehen. „Die Dienstleister suchen derzeit ja händeringend nach Wegen, sich vom Preisthema in den Bereich der Zusatzleistungen zu bewegen“, beobachtet Efrem Lengauer. „Dass aber etwa ein Angebot wie One Hour Delivery tatsächlich aus einem breiten Kundenbedürfnis entstanden ist, kann ich mir nicht vorstellen.“

Gleichzeitig entstehen immer wieder völlig neue Ansätze, die manchmal erst durch die Hintertüre in den Markt kommen. Als etwa die Österreichische Post vor eineinhalb Jahren den Versuch ankündigte, Pakete in die Kofferräume von Privat-Pkw auszuliefern, erntete sie verhaltenes Echo. Im vergangenen Sommer änderte sich die Richtung des Piloten: Die Kofferraum-Belieferung von Gewerbetreibenden auf Baustellen durch den Großhandel kann sich auch Efrem Lengauer vorstellen, der sich überhaupt als Fan „schräger Ideen“ outet. „Das Bild dunkler Drohnen-Wolken über den Ballungsräumen wird sich wohl nicht realisieren, doch führte die Forschung daran zu Nischen-Lösungen etwa in der Versorgung entlegener Gebiete oder bei Indoor-Anwendungen. Und die im Privatbereich gescheiterte Google Glass ist heute in ganz ähnlicher Form Standard in der Kommissionierung mit Augmented Reality.“

Starken Innovationsdruck gibt es auch in Richtung Nachhaltigkeit. Konfrontiert mit dem Dilemma, dass die Konsumenten hier einerseits Entwicklungen einfordern, diese aber zeitgleich durch ihr Bestell- und vor allem Retouren-Verhalten unterlaufen, deklinieren die KEP-Dienste seit Jahren sämtliche Antriebsvarianten durch. Rainer Schwarz geht außerdem davon aus, dass das Thema auch durch den Gesetzgeber weiter getrieben wird: „Ich bin sicher, dass es in nicht allzu ferner Zeit auch in Österreich vermehrt Zufahrtsbeschränkungen für Diesel-Lkw geben wird.“

2 Geschäftsmodelle

Die Logistik wird sichtbarer. Und sie greift immer selbstbewusster in Geschäftsmodelle ein.

Logistikern ging es lange Zeit wie Musik- oder Religionslehrern. Der Kampf gegen den Status als Nebenfach kann einen schon unentspannt machen. Längst hat die Branche viel am Bild des Kostenfaktors, des Abwicklers der Strategien anderer verändert – der E-Commerce beschleunigt nun die Sichtbarkeit der Logistik als zentraler Bestandteil jedes Geschäftsmodells. Heimo Robosch, Intralogistiker und Executive Vice President der Knapp AG, meint, dass „viele unserer Kunden die Logistik bereits als eine ihrer Kernkompetenzen verstehen. Das spiegelt sich ja auch in der Wandlung der großen E-Commerce-Anbieter selbst: Sie finden ihren USP längst nicht mehr in den – im Grunde meist austauschbaren – Produkten oder im Preis, sondern immer mehr in ihrer Logistik.“ Die Folge: Logistik-Dienstleister rücken näher an ihre Kunden heran, im Falle von Knapp „ein relativ neues, äußerst spannendes Feld, und für uns absolut strategiekonform“. Immer häufiger, erzählt Robosch, sei man nicht Gewinner einer Ausschreibung, sondern von Beginn an Technologiepartner.

Sichtbarer werden die Leistungen definitiv auch auf Konsumentenseite. Dienste wie Same Day Delivery sollten auch dem Endkunden eine Ahnung davon geben, wie viel Arbeit und Intelligenz dahinter stecken. Ein massives strategisches Manko ortet Efrem Lengauer allerdings: „Irgendwie gelingt es den Logistikern nicht, ihre Leistungen auch adäquat zu verkaufen. Als Amazon-Prime-Mitglied etwa bezahlen Sie heute für Same Day Delivery in manchen Regionen keinen einzigen zusätzlichen Cent. Same Day ist also nichts wert? So muss das bei den Menschen doch ankommen.“ Ob es der Branche gelingen kann, sich solche Leistungen auch vergüten zu lassen, will Lengauer nicht prognostizieren, „einfach wird das jedenfalls nicht.“

3 Footprint

Schadet E-Commerce der Umwelt? Unter optimalen Bedingungen stimmt offenbar das Gegenteil.

Ob der Auftraggeber vom Ergebnis begeistert war, ist leider nicht überliefert. Die „eComTraf“-Studie, die das Logistikum Steyr vor gut eineinhalb Jahren im Auftrag des Verkehrsministeriums durchführte, brachte jedenfalls recht überraschende Ergebnisse. Die Fragestellung: Welche Auswirkungen hat E-Commerce auf die Gesamtverkehrsleistung? Erzeugen die Zulieferer mehr gefahrene Kilometer als sie aufseiten der privaten Einkaufsfahrten ersetzen?

Die Basis bildeten über 1.000 ausführliche Interviews mit österreichischen Online-Shoppern zu ihrem Einkaufs- und Mobilitätsverhalten. Das Ergebnis: Unter der Prämisse, dass eine Online-Bestellung tatsächlich einen persönlichen Kauf mit entsprechendem Einkaufs-Weg substituiert, ist die Zahl der zurückgelegten Kfz-Kilometer pro Einkauf bei Zustellung deutlich geringer. Während ein durchschnittlicher Einkauf mit dem Pkw 7,2 gefahrene Kilometer braucht, legt ein Paket nur durchschnittlich 1,2 km zurück, wenn man die Tourlänge auf die Zahl der beförderten Pakte aufteilt. Eine Schlussfolgerung, die kurz darauf von einer ähnlich angelegten Studie in Deutschland bestätigt wurde.

„Mir ist schon klar“, sagt der damalige Studienautor Efrem Lengauer, „dass jeder, der vermehrt Zustellfahrzeuge auf der Straße sieht, den Eindruck bekommt, E-Commerce untergrabe die Ökologisierung des Verkehrs. Was er aber nicht sieht, sind die substituierten Fahrten.“ Eine wesentliche Bedingung gibt es allerdings, betont Lengauer: Das Ergebnis hält nur, wenn die Bündelungsfähigkeit der Zustelllogistik maximal genutzt wird. Same Day Delivery und enge Zeitfenster lassen diesen Vorteil sehr schnell schmelzen.

4 Regionalisierung

Das Dogma des Zentrallagers bekommt Risse. Micro Centers rücken näher an die Konsumenten.

Im Oktober wird das erste Micro Center von Takeoff Technologies eröffnet. Das Bostoner Startup bietet kleinen Lebensmittelhändlern eine Plattform für Online-Kauf und Zustellung binnen 30 Minuten. Ein aberwitzig kleines Zeitfenster, das ein Netz keiner Verteilzentren voraussetzt. Heimo Robosch ortet in der letzten Zeit „ein verstärktes Nachdenken über kleinere Distributionszentren. Immer mehr Anbieter versuchen, die letzte Meile nicht nur über die Transportlogistik zu lösen sondern über Micro Centers, die näher an beziehungsweise sogar in die urbanen Zentren rücken.“

Same Day und One Hour Delivery haben also das Potenzial, die jahrelangen Bündelungsbemühungen der Retailer zu unterlaufen und zu einer Art Re-Regionalisierung zu führen. Was nicht zuletzt verlorene Wertschöpfung zurück in die Regionen bringen kann.

5 Hybridisierung

Während der Handel nach Online-Modellen sucht, eröffnen die Online-Spezialisten plötzlich Shops.

Zalando ist das bekannteste, aber bei weitem nicht das einzige Beispiel. Vor wenigen Wochen verlautbarte der Online-Riese, über Flagship-Stores nachzudenken. Ein Ansatz, der immer häufiger auftaucht, so auch beim E-Grocer Takeoff Technologies: Auf der einen Seite steht das Versprechen, den Händlern zu ermöglichen, „Offline-Käufer zu Online-Käufern zu machen, ohne sie als Kunden zu verlieren“. Auf der anderen Seite betreibt Takeoff mittlerweile eine Reihe „echter“ Shops, getrieben vom Gedanken, dass die Kunden gerade im Lebensmittelbereich gewisse Produkte eben doch sehen und fühlen wollen, bevor sie sie kaufen. „Die beiden Welten nähern sich aneinander an“, sagt Heimo Robosch. „Offenbar kommen auch die Online-Händler vermehrt dahinter, dass Einkaufen auch eine Art von Sozialkontakt ist. Es geht also in Richtung einer Teil-Virtualisierung.“

Das hybride Modell verändert sogar Institutionen. Die britische Kaufhauskette John Lewis etwa war und ist bekannt für besonders große Stores, die das gesamte Sortiment zeigen. Mit dem Ausbau des E-Commerce-Geschäfts wurde bei Neueröffnungen auf ein verkleinertes Store-Konzept umgestellt. Dort sieht der Kunde deutlich weniger Varianten – den Rest kann er sich auf den Tablets der Mitarbeiter oder daheim im Netz ansehen.

Online-Shopping in Österreich

E-Commerce ist in Österreich etwas weiter fortgeschritten als im europäischen Durchschnitt. Auch in den Details gibt es Unterschiede.

- Der Anteil des Online-Shoppings liegt in Österreich bei rund 10% des gesamten Handels. Der europäische Durchschnitt beträgt 9,6%.

- Gleichzeitig liegt die Zugangsdichte zum Internet in Österreich mit 81% knapp unter dem Durchschnitt.

- 37% der heimischen Online-Shopper verwenden dafür das Smartphone, der europäische Schnitt liegt bei 35%.

- Online gekauft werden vor allem Kleidung (53%), Bücher (49%) und Schuhe (39%).

- Die bevorzugte Zahlungsart der Österreicher (und der Deutschen) ist immer noch die Rechnung, gefolgt von Kreditkarte und Banküberweisung. Im Europäischen Schnitt hingegen führt bereits mit Abstand die Digital Wallet.

- 70% der österreichischen Online-Shopper haben bereits auf ausländischen Portalen eingekauft (v.a. auf deutschen). Der europäische Durchschnitt liegt bei 52%.

Quelle: DPDgroup Online-Shopper-Barometer 2016; Kantar TNS; n=23.450; n Österreich=1.002