Elektromobilität : Innovativer und leistbarer: Kreisel Electric mischt Tesla auf

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Am Anfang der Unternehmensgeschichte steht die Liebe zum Rindvieh. Bereits die Eltern der Kreisel-Brüder hielten sich eine Herde Hochlandrinder auf einer Weide, die 22 km entfernt vom Wohnort Freistadt gelegen ist. Hans (41), Markus (39) und Philipp (28) kümmerten sich täglich um die Tiere – der eine mehr, der andere weniger. Die ewige Pendelei nervte. Und sie gebar die Idee, den Weg in die Natur emissionsfrei zurückzulegen. Der geplante Import eines Teslas wurde wieder verworfen. Es sei uncool, sich aus ökologischen Gründen ein Auto aus einem anderen Kontinent zu holen, beschieden die Brüder. Übrig blieb der Plan, ein strombetriebenes Auto selber zu bauen. Die Vorlage dazu lieferte der Renault Fluence Z. E (für Zero Emission), den sich Vater Walter vor fünf Jahren als einer der ersten in der Region zugelegt hatte – „eine verrückte Idee“, wie die Söhne damals urteilten. Nach einigen Selbstversuchen in Papas Stromer dachten die Brüder um. In ihrer Freizeit schraubten und schweißten die Drei zuerst an einem Audi A2 und ein halbes Jahr später an einem Porsche 911, der bereits als Gesellenstück herhalten sollte. „Der A2 hat fast niemanden interessiert. Als wir anfingen, den Porsche umzurüsten, überfluteten uns plötzlich die Anfragen“, so Markus. Seine persönliche Erfahrung dabei: Innovation braucht Verpackung.

Als der Kreisel-911er ein paar Monate später aufgrund eines technischen Fehlers abbrannte, hatte er seine Hauptaufgabe bereits erfüllt: Der Stromporsche mit der Energie von 270 PS hatte Elektromobilität im persönlichen Umfeld cool werden lassen. Der Elektro-Sportler hatte zudem den ersten größeren Auftrag an Land gezogen. Die Kreisels wurden eingeladen, den Akkupack für die Entwicklung eines chinesischen Strom-Taxis bereitzustellen. Das Projekt erwies sich als Eintrittskarte in die große Welt der europäischen Autoindustrie: Die Kreisels knüpften Kontakte zu Bosch, Continental und Co. Bis dahin hatten Hersteller wie Panasonic und LG sich geweigert, Vorprodukte für die Akkuzellen nach Freistadt zu liefern.

Dabei verfügten die Brüder bei ihren Überlegungen über schlagkräftige Argumente. Durch die Innovation im Kühlmanagement und durch verbesserte Speichersteuerung leisten Kreisel-Akkus bei geringerem Gewicht um 15 Prozent mehr als Tesla-Batterien – und die markieren derzeit den Weltstandard. Auch die Ladezeiten werden auf 20 Minuten deutlich verkürzt. Selbst die Preisfrage wird durch die Kreisel-Patente entschärft: Im großen Maßstab sollen die Fertigungskosten 30 Prozent unter den Tesla-Packs liegen.

Learning by Youtube

Es wäre kokett zu behaupten, die Brüder hätten handwerklich bei Null begonnen. Als Sprösslinge des lokalen Elektrohändlers bastelten die Kreisels seit ihrer Jugend an Elektronik herum. Und ein Car-Hifi-Verstärker, den die Burschen einst auf Nachfrage der lokalen Landjugend entwickelt haben, ist ähnlich aufgebaut wie ein Inverter für einen Elektromotor. Das war es aber schon mit der Vorbildung: Fertigkeiten wie Laserschweißen und Präzisionsfräsen schauten sie sich über Youtube-Filmchen ab. „In der Beziehung waren wir blutige Anfänger“, illustriert Markus die Schwerelosigkeit der ersten Schritte. Der 39-Jährige ist für Vertrieb und Marketing zuständig. Sein drei Jahre älterer Bruder Hans leitet die Produktion, das einstige Nesthäkchen Philipp ist der Tüftler und für die Forschung verantwortlich. Die Unternehmensgründung gemeinsam anzupacken, stand für die drei nie in Frage: Der unternehmerische Auftritt als Brüder liegt in der Familien-DNA der Kreisels: Schon Vater und Onkel hatten den Elektrohandel im Sippenmodus begonnen und gemeinsam groß gemacht.

Internationale Expansion

Markus Kreisel hat ein Talent für griffige Marketing-Inszenierungen: Beim heurigen Hahnenkamm-Rennen in Kitzbühel setzte er auf die globale Bekanntheit von Arnold Schwarzenegger. Sie setzten den US-Steirer in einen Strom-Mercedes der Klasse G. Daraufhin durfte sich der „Governor“ nach einer Menge Fotos und Interviews den 130.000 Euro teuren Akku-Geländewagen mit nach Hause nehmen. Neben vielen Schlagzeilen brachte die Idee vor allem eines: gute Verbindungen nach Kalifornien. Im Gespräch mit dem INDUSTRIEMAGAZIN druckst Markus noch herum, unter den Kreisel-Mitarbeitern sind es aber bereits die News von gestern: Kreisel Electric wird noch heuer beginnen, im Sonnenstaat einen Produktionsstandort zu gründen. Neben den Auto-Akkus soll ein besonderer Schwerpunkt auf die Produktion von Heimspeichern gelegt werden, die den stark ausgebauten Photovoltaik-Anlagen zwischen San Diego und Sacramento zu neuer Effizienz verhelfen. Ein Büro in Los Angeles wird noch in diesem Jahr den Anfang machen, Ende 2018 soll die erste Phase einer Fertigung starten. Kopf der US-Expansion soll vor Ort der bisherige Mitgeschäftsführer Christian Schlögel sein, der im Mai mit 25 Prozent in den Gesellschafterkreis der drei Brüder aufgenommen worden war.

Geld liegt auf der Straße

Das erforderliche Wachstums-Kapital zählt für Markus Kreisel zu den geringeren Sorgen. „Im Bereich der E-Mobilität liegt das Geld sprichwörtlich auf der Straße“, konstatiert der Mittlere der Brüder. Tatsächlich sind die monetären Seiten der Unternehmensgründung bislang aufreizend unspektakulär verlaufen. Der Aufbau des neuen, 15 Millionen Euro teuren Firmengebäudes im fünf Kilometer entfernten Rainbach hat das Unternehmen aus eigener Kraft finanziert. Seit dem Unternehmensstart sind vergleichsweise geringe 200.000 Euro aus dem Elektrogeschäft ins Akku-Business geflossen. Der Rest des Finanzbedarfes wurde aus den bisherigen Gewinnen und aus Bankkrediten (federführend: RLB Oberösterreich) finanziert. Beteiligte Investoren gibt es bis heute keine. Die Geschäftsanteile liegen laut Firmenbuch ausschließlich zu gleichen Teilen in Händen der Brüder und ihres Co-Geschäftsführers Christian Schlögel. Und geht es nach den Vorsätzen, soll es so bleiben. Jeder Interessent kann bei Kreisel Electric Lizenzen zur Fertigung kaufen, aber niemand den ganzen Laden – egal, ob Tesla anfragt, Apple oder Volkswagen. Nur bei künftigen Auslandstöchtern werden Joint Ventures als mögliche Finanzierungsalternativen in Betracht gezogen. Glaubt man den Mühlviertler Stammtischen, dann wird für den kalifornischen Standort eine derartige Beteiligungskonstruktion mit einem liquiden Partner bereits geprüft. Interessenten gebe es genug.

China als Schlüsselregion der E-Mobilität

Die zentralen Weichenstellungen über die Zukunft der E-Mobilität werden aber derzeit in China getroffen. Das Reich der Mitte fördert den Kauf von E-Autos über Zuschüsse und Steuererleichterungen – und forciert Fahrverbote für fossile Antriebe. 2015 wurden in China mehr E-Autos verkauft als in Europa und Nordamerika zusammen. Zudem gibt die Regierung vor, dass 80 Prozent der verkauften E-Autos im Jahr 2025 aus heimischer Produktion stammen müssen. Für ein Unternehmen wie Kreisel versprechen diese Rahmenbedingungen Ostern und Weihnachten an einem Tag: In einer Phase, in der Wachstum mehr zählt als Gewinn, ist ein potenter chinesischer Partner ein Turboschub in der Unternehmensentwicklung. Kreisel stünde kurz vor einer Vereinbarung mit einem chinesischen Lizenznehmer, heißt es. Markus Kreisel will dies nicht bestätigen, kündigt aber neue Informationen zu dem Thema „in den kommenden Wochen“ an. Für Kreisel Electric würde dies operativ und finanziell den Aufstieg in eine neue Ebene der eigenen Internationalisierung bedeuten.

In Europa weltbekannt

Für den Unternehmensberater Jan Dannenberg ist das österreichische Start-up einer der „spannendsten Innovationstreiber in Sachen E-Mobilität, und zwar europaweit.“ Dannenberg ist Partner des Münchner Consultant-Unternehmens Berylls, das als reiner Mobilitätsspezialist zu den Ezzesgebern der deutschen und österreichischen Automobilbranche zählt. Im vergangenen Jahr haben breite Berichte in den deutschen Qualitäts- und Wirtschaftsmedien dafür gesorgt, dass sich der Name Kreisel in allen automotiven Vorstandsebenen verankert hat. Dannenberg unterstreicht dabei die Bedeutung der in Angriff genommenen Speichertechnologie: „Die Zukunft der E-Mobilität hängt grundlegend von Effizienz und Kosten der Auto-Akkus ab.“ Längere Reichweiten, kürzere Ladezeiten und vergleichbare Anschaffungskosten zum fossilen Auto seien „für den Durchbruch der Stromer entscheidend.“ Kreisel Electric zähle zu den Unternehmen, die vielversprechende Lösungen zu den entscheidenden Fragen anbieten. Dannenberg weist aber auch darauf hin: „Der Weg ist bis jetzt noch nicht zu Ende beschritten.“ Der endgültige Durchbruch stehe noch aus. Dazu fehle noch der Nachweis, dass die Technologie massentauglich ist.

Mit Hausverstand

Die drei Kreisels sind im Mühlviertel verwurzelt. Journalisten aus Wien oder aus Deutschland greifen in der Beschreibung der Region gerne zu Wortbildern wie „Hinterwäldler und Erdäpfelbauern“ (Die ZEIT). Wenn sie etwas weniger herablassend formulieren, schreiben sie „strukturschwache Region“ (Der Spiegel). Markus Kreisel meint dazu: „Bei uns ist es einfach schön.“ Ein Umsiedeln scheint für ihn undenkbar. Dabei gelten Mühlviertler immer als misstrauisch, sofern sie Menschen nicht seit der Volksschule kennen. Und sie sind zurückhaltend im Eigenauftritt. Daher war der Start von Kreisel Electric in die Autobranche von Demut gezeichnet. Wie sollten drei Brüder aus Freistadt etwas zu Wege bringen, an dem globalisierte Industriekonzerne wie Bosch oder Magna bislang gescheitert sind?

OEMs mit Null Ahnung

Die Welt der gelackten Vorstandsassistenten und der milliardenschweren Forschungszentren büßte bei den Brüdern aber rasch an Eindruck ein: „Wir hatten erwartet, dass die großen Zulieferer und OEMs auf 20 Jahre Forschungserfahrung zurückgreifen. Dabei hat die Autoindustrie erst vor fünf Jahren begonnen, das Thema E-Mobilität ernst zu nehmen“, ist Markus Kreisel heute noch erstaunt. Als die Mühlviertler Garagenbastler im Jahr 2014 mit dem Porsche 911er das erste Mal die Aufmerksamkeit der Industriehersteller erregten, verdutzte sie deren Innovationsstandard: „Die hatten bis vor kurzem Null Ahnung“, wundert sich Markus bis heute. Dabei erkannten die Kreisels, was die Öffentlichkeit erst seit den letzten Monaten erahnt: Die europäische, im speziellen die deutsche Autoindustrie hatte sich über Jahrzehnte zum Thema E-Mobilität hinter Nebelgranaten verschanzt. Bis zur Explosion des Dieselskandals setzten die OEMs im Schutz der Regierungen praktisch ausschließlich und unbeirrt auf den fossilen Antrieb. Die drei Brüder aus Freistadt profitieren jetzt von der Ignoranz der Riesen.

Serientauglich?

Die Euphorie rund um das Projekt der Kreisel-Brüder hat sich vor 18 Monaten verselbständigt. Mit dem Dieselskandal ist die mediale Präsenz rund um das österreichische Garagenprojekt geradezu explodiert. Jede Menge Gründer- und Innovationspreise flankieren die öffentliche Aufmerksamkeit, die für Markus „manchmal schon fast zu viel wird.“ Berater Jan Dannenberg tritt da gerne auf die Bremse. Er will die Kreisels nicht pauschal zu den „Elon Musks des Mühlviertels“ machen. Dafür seien noch einige Schritte notwendig. Zwar habe das Unternehmen bewiesen, dass die Technologie auf Prototyp-Ebene funktioniere. Aber: „Jetzt geht es darum, den Sprung in die Industrialisierung zu schaffen.“ Dies habe Tesla bereits vor Jahren geschafft – und verfüge als integrierter Autobauer über einen entsprechenden Vorsprung. „Kreisel ist Zulieferer, der jetzt entsprechende Stückzahlen liefern muss“, rät Dannenberg. Dabei sei es egal, ob die Produktion aus eigener Kraft gestemmt oder die Fertigung an Kooperationspartner ausgelagert wer- den: „Die Kreisel-Innovationen müssen sicherstellen, dass sie auch im großen Maßstab wirken“, so der Automobil-Berater. So wird klar: Kreisel Electric muss den Aufstieg von der Regionalliga in die Champions-League schaffen. Falls der Übergang gelingt, kann dann Wahrheit werden, was Markus 2016 vollmundig gegenüber einem Schreiber der „Zeit“ behauptete: „In fünf Jahren sind wir ein Milliardenkonzern.“

Die Kreisel-Brüder haben 2014 aus der Schrauberei eine Unternehmensgründung gemacht. Mittlerweile haben sie die Garage hinter sich gelassen. Aktuell beschäftigt Kreisel Electric 90 Mitarbeiter, die seit Frühsommer sukzessiv ein frisch ausgebautes Firmengelände fünf Kilometer nördlich von Freistadt in Betrieb nehmen – Swimming Pool am Dach inklusive. Jede Woche kommen zwei neue Mitarbeiter dazu. 2018 sollen es an die 200 Mitarbeiter sein, die unter dem Kreisel-Logo der drei stilisierten K‘s werken sollen. Von 2015 auf 2016 vervierfachte sich der Umsatz auf 45 Millionen, 2017 soll mindestens eine Verdoppelung zu verzeichnen sein. Und das alles bei guten Margen: Schon im ersten Jahr hat die Akkufirma durch ihre PKW-Einzelumrüstungen fünfmal so viel operativen Gewinn gemacht wie der florierende Elektrofachhandel der Familie. Die Geschäftsidee ist breit angelegt: Das Unternehmen macht alles rund um das Thema Stromspeicher – vom Akku im Auto bis zum Energiespeicher für Haushalte und Betriebe. Big-Data-Programme in Vorbereitung, doch keines davon ist vorzeigetauglich.