Eigentümerstreit : Bringt ein ukrainischer Oligarch den „wirtschaftlichen Tod“ der VA Intertrading?

Wer in den sowjetischen Nachfolgestaaten während der wilden Jelzin-Jahre zu großem Reichtum gekommen ist, ist im deutschen Sprachgebrauch ein Oligarch. Und Oligarchen haben kein gutes Image: Gierig, skrupellos und unzuverlässig sind die Eigenschaften, die einem da in den Sinn kommen. Fällt dann auch noch der Name Zhevago (sprich Schewago), dann ist mit einem Buchstaben Abweichung das Psychoszenario komplett. Der ukrainische Betriebswirt Kostyantin Zhevago wurde einst vom US-Magazin Forbes als jüngster Dollar-Milliardär Europas identifiziert. Heute ist er 44 und immer noch Milliardär. Und der Mann, der mit dem ukrainischen Minen- und Bergbaukonzern Ferrexpo reich wurde, schickt sich an, mit der VA Intertrading ein österreichisches Industrie-Handelshaus zu übernehmen, das einst Wirtschaftsgeschichte geschrieben hat.

Begehrte Netzwerke

Im Fokus seiner Begehrlichkeiten stehen die bewährten Handelsverbindungen der Intertrading. Das Haus verfügt über hervorragende Kanäle in die Ukraine, nach Russland, ist aber auch in den USA, China oder Dubai vernetzt – alles Standorte, die für Kostyantin Zhevagos Ferrexpo von spezieller Bedeutung sind. Aber auch das Logistikgeschäft der Linzer ist für den Ukrainer interessant: Die VAIT verfügt über ein aufstrebendes Schiffs- und Transportbusiness – während Zhevagos Ferrexpo mit der First-DDSG Logistics Holding GmbH die größte Reederei der mitteleuropäischen Binnenschifffahrt kontrolliert. Die frühere DDSG Cargo mit mittlerweile 240 Schiffen wurde Ende 2010 von Ferrexpo übernommen, um den Schüttguttransport der ukrainischen Pellets zu sichern.

Heimische Verbündete

Das Unternehmen, das Zhevago reich gemacht hat, ist weltweit der drittgrößte Anbieter von Eisenpellets. Dabei handelt es sich um angereicherte, 16 mm große Kügelchen, deren Eisengehalt durch aufwendige metallurgische Prozesse von den ursprünglich 28 Prozent auf 65 Prozent hochgepusht wird. Einer der wichtigsten Einzelkunden der ukrainischen Bergbaugesellschaft Ferrexpo ist ein österreichischer Stahlkonzern: die Voestalpine. 2017 kauften die Linzer ukrainische Pellets um mehr als 328 Millionen Dollar.

Der Zugang zu dem aufbereiteten Erz macht die Voestalpine zu einem natürlichen Verbündeten von Kostyantin Zhevago im Streit um Einfluss bei der VA Intertrading: Es war die Voestalpine, die 2013 ihre 38,5 Prozent an der VA Intertrading an die Calexco veräußerte und damit die Ukrainer ins Boot holte. Damals wurde vereinbart, die Aktienübertragung in drei Schritten geschehen zu lassen. Der letzte steht – entgegen der ursprünglichen Verträge – jedoch noch immer aus. Die Voestalpine hält heute noch 3,4 Prozent an der VAIT, die sie bei Abstimmungen auf Seiten der gegenwärtig 43 Prozent der Ukrainer einbringt. Wenn sich die Linzer, wie allgemein angenommen, heuer endgültig aus dem jahrzehntelangen Abenteuer VA Intertrading verabschieden, wird der Anteil an Calexco übergehen (Das Management der Voestalpine wollte sich in der Angelegenheit gegenüber dem INDUSTRIEMAGAZIN nicht äußern).

Die Abwehrkämpfer

Als die Voestalpine 2013 den Verkaufsvertrag an Zhevagos Calexco Holding unterzeichnete, schien die Welt auch für die Mehrheitseigentümer und das Management noch in Ordnung: Synergien, Input und neue Geschäftschancen witterte damals Karl Mistlberger, der langjährige Vorstandschef der VAIT. Doch als im Sommer 2014 die Nachricht wie eine Bombe einschlug, dass auch die Raiffeisen Landesbank ihre Anteile an Zhevagos Calexco verkaufen will, war Feuer am Dach. „Das wäre eine feindliche Übernahme gewesen und hätte unsere Existenz gefährdet“, sagte Mistlberger damals. Die Mitarbeiter- und Managementgesellschaften machten mithilfe einer Privatstiftung vom Aufgriffsrecht der Miteigentümer Gebrauch und übernahmen so viele der RLB-Anteile, dass die Mehrheit gesichert blieb. Heute sind Mistlberger und sein Aufsichtsratsvorsitzender Hanno Bästlein die Köpfe des Widerstands gegen Zhevago. Bästlein und Mistlberger kontrollieren über einen Syndikatsvertrag gemeinsam mit den beiden VAIT-Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaften MBG und IBG die Mehrheit der Stimmrechte an der VA Intertrading (53,6 Prozent). Bästlein war einst Finanzvorstand der VA Tech und agiert aktuell im Auftrag der B&C- Holding als Aufsichtsratspräsident des Faserkonzerns Lenzing.

Die Vorsicht der Banken

Doch wirkliche Ruhe haben die beiden nicht: Seit damals ziehen sich die juristischen Auseinandersetzungen um das Konstrukt, mit dem Zhevago an der Übernahme gehindert werden sollte, hin. Offiziell argumentieren die Mehrheitseigentümer ausschließlich auf wirtschaftlicher Ebene: Bei einem Calexco-Sieg in der Übernahmeschlacht würden wichtige Kreditlinien bei ihren Banken verloren gehen. „Wenn das so kommt, bedeutet dies den wirtschaftlichen Tod der Intertrading“, befürchtet Hanno Bästlein.

Tatsächlich benötigt die VAIT als Handelshaus großzügige Finanzierungsrahmen für die Umsetzung ihrer Geschäfte. Im VAIT-Geschäftsbericht 2016 stehen rund 115 Mio. an Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten zu Buche. Da ist die Meinung der beiden wichtigsten Hausbanken Bank Austria und Raiffeisenbank International von Bedeutung. In einem (später übrigens kassierten) Urteil des Landesgerichts Linz vom November 2016 findet sich dazu Erhellendes: „Aus der Aussage des Bankers Mag. Hengl (Anm. der Redaktion: Dieter Hengl ist heute Kommerzkundenvorstand der Bank Austria) ergibt sich anschaulich, was möglicherweise Grund dieser Vorgangsweise ist, nämlich die Sorge, das Vertrauen der Banken zu verlieren.“ Der Schluss des Gerichtes: „Eine Mehrheitsbeteiligung des Dr. Zhevago oder eine russisch-ukrainische Mehrheit an der VAIT hätte zu massiven Problemen bei der Krediterlangung geführt.“

Klagskarussell rotiert

Jetzt geht es an den Linzer Gerichten in eine weitere Runde. Die Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft MBG hat beim Landesgericht Linz eine Feststellungsklage gegen die Voestalpine und deren Rechtsvertreter eingebracht. Das Gericht soll feststellen, ob die Voestalpine ihre Treuhandfunktion für alle Stammaktionäre an Zhevago abgeben könnte. Eine Schadenersatzklage in Höhe von 2 Millionen Euro gegen den Voestalpine- und Calaxco-Rechtsanwalt gibt es obendrauf – mit einem Disziplinarverfahren der Rechtsanwaltskammer Oberösterreich als bittere Streusel dazu.

Das stolze Linzer Handelshaus war lange Jahre eine funktionierende Drehscheibe, mit der die Verstaatlich­te Industrie (vor allem die damalige Voest) Waren aus Kompensationsge­schäften mit Ländern des Warschauer Paktes zu Geld machen konnten. Doch die Händler in staatlichem Auf­ trag wollten mehr: Missglückte Spekulationsgeschäfte führten zu einer Existenzkrise, die in weiterer Folge die gesamte verstaatlichte Industrie implodieren ließ (zwischen 1981 und 1983 betrugen die staatlichen Zu­schüsse in die damalige Verstaatliche Industrie über 1,5 Milliarden Euro). Heute ist die VA Intertrading ge­schrumpft – aber rentabel: Von den einst 15 Milliarden Euro Umsatz blie­ben immerhin 990 Millionen Euro (578 Mitarbeiter, davon 140 in Linz). Gehandelt wird vor allem mit Stahl­produkten, Landtechnik und Lebens­ mitteln.

Der Mann mit dem vertraut klingenden Namen wurde 1974 im fernöstlichen Sibirien in die Familie eines Mineningenieurs geboren, der in den dortigen Wolfram- und Zinn-Minen beschäftigt war. Zhevagos Geburtsort Iul‘tin liegt im autonomen Kreis der Tschuktschen, praktisch im ostsibirischen Nirgendwo, fast in Sichtweite Alaskas. Seine offizielle Biografie wird erst 1991 fortgesetzt, als sich der kaum 18-Jährige an der Kiewer Wirtschaftsuniversität inskribiert. Damit beginnt sein Aufstieg: Mit 19 wird er Finanzvorstand der Bank „Finanz und Kredit“, 1996 übernimmt er als 22-Jähriger das Geldinstitut als Präsident mit Mehrheitsanteilen. Von wem er Anteile und Finanzmittel bekam, vermochte die Ukrainische Nationalbank auf Anfrage des INDUSTRIEMAGAZIN nicht mehr zu beantworten. Mit im damaligen Paket: eine Mehrheitsbeteiligung an der „Poltava Oredressing and Processing Enterprise“, dem Nukleus der heutigen Ferrexpo und Motor seiner gegenwärtigen Wirtschaftskraft.

Auf der falschen Seite

Ein wesentlicher Begleiter der juvenilen Karrieresprünge waren Zhevagos politische Ambitionen: Er sitzt seit 1998 mit kurzen Unterbrechungen in der Werchowna Rada, dem ukrainischen Parlament. Dabei segelte er stets im Fahrwasser der Ex-Premierministerin Julija Tymoschenko. Auch diese hatte Mitte der neunziger Jahre als Chefin des nationalen Energieversorgers EESU aus dem Nichts ein Millionenvermögen angesammelt. 1988 war sie noch Besitzerin einer der ersten Videotheken in Kiew.

Die Nähe zum Block Julija Tymoschenkos brachte Zhevago in den letzten acht Jahren aber nur mehr Nachteile. Er gilt politisch als Relikt der Vor-Maidan-Ära und verlor jeden Regierungsschutz. Am Höhepunkt dieser Entfremdung entzog die Ukrainische Nationalbank seiner „Finanz und Kredit-Bank“ die Banklizenz und liquidierte das Institut, das immerhin über 5000 Mitarbeiter und 320 Filialen verfügte. Auch heute noch setzt die Regierung immer wieder Nadelstiche: So konfiszierte sie zuletzt vier Immobilien aus dem Dunstkreis eines Zhevago-Unternehmens unter dem Vorwurf der Schwarzgeld-Finanzierung. Ein österreichischer Geschäftsmann in Kiew kommentierte dies mit „schlechten Verbindungen. Bei Zhevago werden Gesetzeslagen sanktioniert, die in anderen Banken keinen Priester hinter dem Ofen hervorholen würden.“