Defence Kontron : Kontron-Vorstand Schulz über Defence-Auftrag: "Von Unterschrift bis Auslieferung vergingen 16 Jahre"
Schematische Darstellung des Radpanzers GTK Boxer des Gemeinschaftsunternehmens Artec von Rheinmetall und KNDS Deutschland, an Bord: Kontron-Technologien für cybersichere vernetzte Verteidigungssysteme.
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Kontron sei natürlich kein Rüstungskonzern. Das betont Philipp Schulz, Vorstandsmitglied des Linzer Technologieunternehmens, gleich zu Beginn. „Wir sind ein IoT-Provider – wir verbinden Maschinen, Fahrzeuge, Geräte. Ob das am Ende ein Industrieroboter, ein Zug oder ein Kommunikationssystem im militärischen Umfeld ist, spielt technologisch kaum eine Rolle.“
Und doch liefert Kontron mittlerweile zentrale Komponenten für militärische Anwendungen – Systeme, die im Radarbereich, in der Sensorik und in der Kommunikationsinfrastruktur von Armeen eingesetzt werden. Dass Kontron in der Rüstungs- und Verteidigungsindustrie Fuß gefasst hat, ist kein strategischer Bruch, sondern eine logische Folge technologischer Spezialisierung. Das Unternehmen entwickelt und produziert sogenannte Embedded-Computing-Systeme – hochleistungsfähige, robuste Rechnerplattformen, die in extremen Umgebungen zuverlässig funktionieren müssen. „Wir sind überall dort, wo es schmutzig, heiß, kalt oder vibrationsstark ist.“
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Ob auf einem Minenfahrzeug, in einem Flugzeug oder auf einem Panzer: die Anforderungen an Temperaturmanagement, Schockfestigkeit und Staubdichtheit sind ähnlich. Die Expertise kommt aus der Industrie. Technologien, die ursprünglich für Medizintechnik, Bahn- oder Kommunikationsanwendungen entwickelt wurden, fließen heute in militärische Projekte ein. „Das ist unser Vorteil gegenüber reinen Defense-Lieferanten“, erklärt Schulz. „Wir können Innovationen aus schnelleren Märkten wie der Industrieautomatisierung nutzen und auf streng regulierte Sektoren übertragen.“
Computing Power für Sensorik und Radar
Rund zehn Prozent des Konzernumsatzes – zwischen 150 und 180 Millionen Euro – entfallen auf den Verteidigungssektor. Kontron liefert hier keine aktiven Waffensysteme, sondern Rechenleistung und Systemkomponenten. „Wir liefern Computing-Power und Konnektivität – was der Kunde damit macht, wissen wir oft gar nicht, weil wir es aus Sicherheitsgründen gar nicht wissen dürfen“, so Schulz. Typische Einsatzfelder sind radarbasierte Überwachungssysteme, Kommunikationsnetzwerke oder Sensortechnik. Systeme, die Lufträume überwachen oder Objekte erkennen, benötigen immense Rechenleistung direkt im Feld. Dafür liefert Kontron die Hardware – etwa VPX-Boards, hochleistungsfähige Rechnerkarten, die nach offenen Standards wie VITA, SOSA oder MOSA gefertigt werden. Diese Standards legen fest, wie Komponenten zusammenspielen dürfen und gewährleisten, dass Kunden verschiedene Lieferanten kombinieren können. Kontron zählt hier zu den Mitentwicklern und Standardsetzern.
Offene Standards
Im Unterschied zu vielen Wettbewerbern setzt Kontron auf offene Architekturen. Die Systeme sind modular aufgebaut: Prozessorboards, Grafikkarten, Funkmodule und Backplanes können je nach Anwendung kombiniert werden. „Wir sind kein proprietärer Systemlieferant“, sagt Schulz. „Im Gegenteil – wir arbeiten aktiv an offenen Standards mit. Das verschafft unseren Kunden Flexibilität und beschleunigt die Entwicklung.“ Damit positioniert sich Kontron als Partner großer Systemintegratoren – von Thales über BAE Systems bis hin zu Boeing. Geliefert wird direkt an diese „Primes“ oder an deren Systemhäuser, nicht an Zwischenhändler. „Wenn die Systeme einmal ausgeliefert sind, liegt die Verantwortung beim Kunden“, betont Schulz. „Aber alle Beteiligten sind an die gleichen strengen Regularien gebunden.“
Strenge Auflagen und Cyber-Sicherheit
Die Einhaltung internationaler Rüstungsnormen ist für Kontron zentral. In den USA gilt etwa die ITAR-Regulierung (International Traffic in Arms Regulations), die sicherstellt, dass sensible Technologien nur an zugelassene Partner geliefert werden. „Ich darf hier in San Diego in den öffentlichen Bereich unseres Unternehmens, aber nicht in die Produktion“, erklärt Schulz. „Zutritt haben dort nur US-Staatsbürger.“ Auch technologisch setzt das Unternehmen auf Sicherheit. Die Systeme verfügen über eine sogenannte Hardware Root of Trust – eine integrierte Sicherheitsarchitektur, die gewährleistet, dass nur autorisierte Software auf der jeweiligen Hardware ausgeführt werden kann. „Damit lässt sich verhindern, dass unbefugte Software eingeschleust wird“, sagt Schulz. „Im Prinzip kann jede unserer Boxen nur mit der dafür vorgesehenen Software betrieben werden.“ Parallel dazu treibt Kontron das Thema Cyberresilienz voran. Mit dem hauseigenen Betriebssystem „Kontron OS“ bietet das Unternehmen eine Lösung, die die Anforderungen des ab 2027 geltenden EU-Cyber-Resilience-Act bereits erfüllt. „Damit können wir unseren Kunden heute schon volle Compliance garantieren“, so Schulz. „Viele unterschätzen, wie verwundbar digitale Infrastrukturen sind.“
Globale Entwicklung, lokale Produktion
Die Entwicklung militärischer Anwendungen erfolgt an vier Hauptstandorten: in Montreal, Toulon, Stuttgart/Burscheid und San Diego. Dort entstehen sowohl Hardware-Designs als auch Softwarelösungen. „Wir haben im Konzern 7.500 Mitarbeiter, davon rund 3.200 Ingenieure“, sagt Schulz. „Unsere Teams sind eng vernetzt – Expertise aus der KI-Entwicklung in Ungarn oder Slowenien fließt in sicherheitsrelevante Projekte in Europa oder Nordamerika ein.“ Produziert wird an 21 Standorten weltweit – darunter mehrere in Europa. „Wir können in Asien, Nordamerika oder Europa fertigen“, sagt Schulz. „Aber gerade im Verteidigungsbereich wird lokale Produktion immer wichtiger. Viele Kunden wollen keine Abhängigkeiten mehr von Asien.“ Das Schlagwort lautet „Buy and Build in America“ – und Kontron kann auch das bedienen. Die Produktion umfasst dabei nicht nur die Bestückung von Leiterplatten, sondern komplette Systeme – „schwarze Boxen“, wie Schulz scherzhaft sagt.
Zertifizierung als Eintrittsbarriere
Wer in den Verteidigungsmarkt will, muss investieren – vor allem in Zertifizierungen. ISO-Normen, ITAR-Regelungen, AS9100 für Luftfahrt oder nationale Zulassungen bilden hohe Hürden. „Das ist einer der Gründe, warum nicht jeder in diesen Markt kommt“, erklärt Schulz. „Man braucht Zeit und Kapital, um die Verfahren zu durchlaufen.“ Defence-Projekte sind ohnehin langfristig. Von der ersten Unterschrift bis zur Auslieferung können Jahre vergehen. „Wir hatten einen Fall, der hat 16 Jahre gedauert“, erzählt Schulz. „Eine neue Regierung hat das Budget gestrichen, später wurde das Projekt wieder aufgenommen.“ Die Dynamik im Regierungsbereich sei eben eine andere als in der Industrie.
Europäische Nachfrage zieht an
Mit dem 100-Milliarden-Euro-Sonderfonds der deutschen Bundesregierung und neuen europäischen Initiativen spürt Kontron spürbar steigende Nachfrage. „Die Projekte werden größer, die Stückzahlen steigen“, sagt Schulz. „Aber die großen Investitionen brauchen Zeit, bis sie real werden.“ Deutschland, Frankreich und Großbritannien sind für Kontron die wichtigsten Märkte. Italien und Spanien folgen mit Abstand. Österreich spielt hingegen kaum eine Rolle – weder als Produktionsstandort noch als Absatzmarkt. „99,9 Prozent unseres Defense-Geschäfts liegen außerhalb Österreichs“, so Schulz. Er spricht nüchtern über das Spannungsfeld, in dem sich das Unternehmen bewegt. Wirtschaftlich ist der Bereich attraktiv, technologisch anspruchsvoll – aber inhaltlich sensibel. „Natürlich ist es erfreulich, wenn die Nachfrage steigt“, sagt er. „Aber der Grund dafür ist kein schöner – wir tun das, weil es Akteure gibt, die uns zwingen, uns zu schützen.“