Lieferketten und Handelsbeziehungen : Europa in der Vertrauenskrise: Wifo-Chef Felbermayr warnt vor politischem Scheitern

Gabriel Felbermayr und Franz Staberhofer über Europas Handelsbeziehungen
- © Gabriel Felbermayr/Franz StaberhoferRe:think: In Zeiten wie diesen muss die erste Frage lauten: Wie verlässlich sind die österreichischen Lieferketten noch?
Gabriel Felbermayr: Wenn wir auf den Austrian Supply Chain Pressure Index schauen, den das Lieferketteninstitut ASCII publiziert, dann präsentiert sich die Lage interessanterweise nicht besonders dramatisch. Der Index misst allerdings vor allem die Verfügbarkeit von Waren. Er sagt nichts über die zu erwartende Preisentwicklung aus. Wenn US-Zölle die Produktion in den USA verteuern, dann kann das einen Kostenschub verursachen, der auch bei uns spürbar wird. Importe aus China in die USA sind um rund 40 Prozent eingebrochen. Damit stehen Container, die sonst in den USA wären, irgendwo anders, sind unverfügbar und belasten Lagerkapazitäten. Wir kennen das aus der Pandemie-Zeit und das kann sich in nächster Zeit durchaus aufschaukeln.
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Die Ausgangslage ist nun aber etwas anders.
Felbermayr: Ja, denn, wenn ein Schock zum zweiten Mal kommt, dann ist er in seinen Konsequenzen meist weniger heftig, weil schon gewisse Muster eingeübt sind. Wir wissen, dass die meisten Unternehmen ihre Hausaufgaben gemacht haben und Lieferengpässe auch durch Einsatz von KI frühzeitig erkennen. Man hat auch diversifiziert und hat nun oft statt eines einzigen Zulieferers mehrere. In der Corona-Zeit gab es aufgrund der Ausgangsbeschränkungen einen sehr starken Nachfrageschub nach Importgütern, weil die Menschen, statt ins Theater zu gehen, ihre Küche umbauten oder sich einen Swimmingpool aufstellten. Die Zolleskalation führt derzeit eher dazu, dass das Handelsvolumen abnimmt. Das reduziert die Gefahr von fehlenden Containern und wirkt so einer Steigerung der Transportkosten entgegen.
Franz Staberhofer: Im Moment ist es sehr schwer, die Transportkosten vorherzusagen. Die US-Maßnahmen gegen China senken das Handelsvolumen und das vergünstigt tendenziell die Transportkosten. Andererseits gilt auch: Wenn weniger Passagierflüge in die USA gehen, dann reduziert sich auch das Volumen für die Belly-Fracht und das verteuert die Transportkosten wieder.
Re:think - das Magazin des VNL
Dieses Interview erschien zuerst in Re:Think (01/2025), dem Magazin des Verein Netzwerk Logistik (VNL). Re:Think ist das Mitgliedermagazin des VNL und unterstützt mit seinen Inhalten das Wissen um wirtschaftliche und politische Hintergründe des modernen Supply-Chain-Management.

Verlässlichkeit im globalen Handel: Warum gerade sie zur Mangelware wird
Sieht aus, als würde es nur schlechte Optionen geben: Entweder steigen die Preise oder das Wirtschaftswachstum verlangsamt sich oder wir bekommen gleich beides.
Felbermayr: Es kann sein, dass gewisse Transportkorridore teurer werden, weil dort das Umschichten von Verkehren zu Engpässen führt. Bei anderen Korridoren wird es wahrscheinlich anders sein. Insofern sind die eingangs erwähnten Index-Zahlen mit einer gewissen Unsicherheit behaftet. Denn wenn ein Index gleichbleibt, bedeutet das nicht, dass innerhalb des Index alles ruhig bleibt. Es könnte zum Beispiel sein, dass der amerikanische Pazifik-Handel unter Stress gerät und so im Index den vielleicht günstigeren atlantischen Handel verdeckt. Klar ist aber: Was wir auf jeden Fall sehen werden, sind höhere Volatilitäten und weniger Verlässlichkeit.
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Staberhofer: Verlässlichkeit kann in diesem Umfeld aber auch bedeuten, dass man ab einem gewissen Moment sagt: Ich steige aus einem Markt aus, in dem ich weder den Preis noch die Verfügbarkeit garantieren kann. Europa fehlt diese Form von Verlässlichkeit, Europa lässt zu, dass Trump es vor sich hertreibt. China agiert da viel entschiedener. Die Chinesen haben sich das ganze Bündel der Trumpschen Maßnahmen angesehen und dann überlegt, wo sie dem etwas entgegensetzen können, und das auch getan. Sie haben einen Ausfuhrzoll auf Rohstoffe eingeführt mit Fokus auf Amerika und jetzt bleiben sie dabei, ohne sofort bei jedem Trump-Posting die Richtung zu ändern. Das wirkt verlässlicher als die europäische Unentschiedenheit. Es reicht, wenn Trump unverlässlich ist, die europäischen Leader sollten es nicht sein.
Kann man sagen, dass das Fehlen von Verlässlichkeit die einzige Konstante im Denken und Handeln von Donald Trump ist?
Felbermayr: Über sein Seelenleben können wir nur spekulieren, letztlich aber auch darüber, wie er die Wirkungsmechanismen zwischen seinen Politiken und seinen Zielen sieht, denn die passen oft nicht zusammen. Nur als Beispiel: Der Wunsch, China wirtschaftlich klein zu halten, spricht eigentlich gegen Zölle für Südkorea, für Japan, für Europa. Trump hat aber diese Zölle verhängt und jetzt will er Deals machen. Das ist immerhin eine Chance, auf wenigstens ein bisschen Verlässlichkeit, auch wenn wir wissen, dass er als Vertragspartner nicht sehr vertrauenswürdig ist. Doch ein Vertrag bindet ihn mehr als kein Vertrag. Und damit hätten wir mehr Verlässlichkeit als vorher.
Staberhofer: Wobei man auch sagen muss: Nicht jede Unzuverlässigkeit lässt sich auf Trump zurückführen. Europa hat sich auch selbst beschädigt. Zuerst macht die EU mit dem Green Deal ein 6.000 Seiten dickes Manifest, in dem festgeschrieben wird, wie die Wirtschaft in den nächsten dreißig Jahren transformiert werden wird. Knapp sechs Jahre später erklärt man den großen Teil des Konvoluts für unrealistisch, traut sich das aber nicht zu sagen, sondern redet verschämt von Bürokratieabbau. Das schafft, etwa im Bereich der zukünftigen Abwicklung der CBAM-Zertifikate, eine unglaubliche Unsicherheit. Die Logistikdienstleister, die das abwickeln müssen, wissen überhaupt nicht, worauf sie sich einstellen sollen.
Handelsabkommen als Chance: Wie Europa sich unabhängiger machen könnte
Wie sieht es mit Handelsabkommen aus? Europa könnte sich ja auch auf diesem Weg ein wenig gegen die USA absichern.
Felbermayr: Überall dort, wo es gemeinsame Interessen gibt, sollten wir die Verlässlichkeit durch aktive Kooperationsgesten stärken. Und ein Handelsabkommen zu unterschreiben, ist eine solche Geste. Wir lassen aber die Chancen auf solche Abkommen, etwa mit Australien, aus, weil Bauern Angst vor australischen Rindfleischexporten haben, die ihnen in Wirklichkeit aber kaum Konkurrenz bereiten würden. Es ist schon paradox: Die österreichische und die europäische Politik scheitern daran, mehr Verlässlichkeit in Wirtschaftsbeziehungen zu bringen, weil man auch noch die kleinsten Partikularinteressen der eigenen Klientel verteidigt.
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Für einen Teil der Landwirtschaft besteht Verlässlichkeit in der Politik allerdings gerade darin, dass sich nichts ändert und der Schutz der eigenen Interessen gewahrt bleibt.
Felbermayr: Das ist ein guter Punkt. Wo es eine Heterogenität von Interessen gibt, muss es einen Ausgleich geben. Eine zentrale Frage der europäischen Handelspolitik wird daher sein, wie man die Bauernvertreter dazu bringt, ihren fundamentalen Widerstand gegen Handelsabkommen aufzugeben. Die Geschichte zeigt, dass das möglich ist. Eine der großen Erzählungen über die europäische Einigung lautet ja, dass Frankreich dem Binnenmarkt deshalb zugestimmt hat, weil es im Gegenzug dafür eine gemeinsame Agrarpolitik bekommen hat. Man wird also etwas für die europäische Landwirtschaft brauchen, aber die Lösung kann nicht darin bestehen, auf Handelsabkommen mit Drittstaaten zu verzichten.
Sind Verlässlichkeit und Innovation aber überhaupt vereinbar? Hat Kreativität nicht als Bedingung, dass man das Vertraute, das Verlässliche aufgibt?
Felbermayr: Nicht unbedingt. Österreichische Unternehmen, die Kunden in den USA haben, erzählen, dass sie gemeinsam mit den Kunden versuchen, neue, kreative Wege zu finden, um die Trump-Zeit zu überstehen, in dem beide Seiten einander entgegenkommen. Das geht aber nur dann, wenn man sich auf die Kooperationsbereitschaft des anderen verlassen kann. Gerade in Lieferbeziehungen, die über den Ozean gehen und wo es Wochen dauert, bis die Ware beim Käufer ist, braucht es aber auch noch einen dritten Partner, der in unsicheren Zeiten Verlässlichkeit zeigt und das sind die Banken, die die Finanzierung und Liquidität absichern. Da könnte neben Geschäftsbanken auch die Österreichische Kontrollbank eine stärkere Rolle spielen.
Staberhofer: Trotz des Trumpschen Gewitters findet derzeit in den Beziehungen zwischen europäischen und amerikanischen Unternehmen sehr viel Verlässlichkeit und Kooperation statt. Man will gemeinsam abwarten, bis sich die Wogen wieder glätten. Ohne Liquidität funktioniert das aber nicht. Die Firmen werden ja nicht von der Bilanz erhascht, sondern von der Liquidität. Solange Liquidität vorhanden ist und die Aussicht darauf besteht, dass wieder die Vernunft einkehrt, ist der Wille, bestehende Geschäftsbeziehungen in die USA aufrechtzuerhalten, sehr groß.