SAP-Manager Boos im Interview : Christian Boos, SAP: "Jeder Use Case geht durch eine Ethik-Kommission"
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Christian Boos, Global Vice President und Head of Sustainability Innovation bei SAP: Wenn wir von Nachhaltigkeit sprechen, benutzen wir oft den Ansatz "Record, Report, Act".
- © SAPChristian Boos: Wie KI die Nachhaltigkeit in Unternehmen transformiert
Industriemagazin: Herr Boos, wie hat man sich ihre Tätigkeit vorzustellen?
Christian Boos: Ich arbeite im Bereich Nachhaltigkeit und bin dort für Innovationsthemen verantwortlich. In diesem Tätigkeitsfeld ist KI essentiell. Meine Aufgabe ist es, herauszufinden, wie man die Technologie im Geschäftskontext, in diesem Fall im Bereich Nachhaltigkeit, sinnvoll einsetzen kann.
Warum ergibt KI aus einer Nachhaltigkeitsperspektive Sinn?
Boos : Wenn wir von Nachhaltigkeit sprechen, benutzen wir oft den Ansatz "Record, Report, Act". Zuerst müssen die Daten erfasst werden – ein mühsamer Prozess, der oft manuell erfolgt. Dann, wenn die Daten gesammelt sind, kann man Berichte erstellen und schlussendlich Maßnahmen ergreifen. KI hilft dabei, diesen Prozess zu automatisieren.
Wo sehen Sie die Hauptaufgaben von KI Im Bereich Nachhaltigkeit?
Boos: Ein klarer Vorteil ist das KI-unterstützte ESG-Reporting (Environmental, Social, Governance). Derzeit ist dieser Prozess in vielen Unternehmen sehr arbeitsintensiv und läuft weitgehend manuell ab. Mit KI können wir einen Teil dieses Prozesses automatisieren und einen Grundbericht erstellen, der dann von Menschen überarbeitet wird. Das spart Zeit und Ressourcen.
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Aber nicht alle Zulieferer arbeiten mit SAP-Systemen. Können deren Daten auch in die Nachhaltigkeitslösungen eingebunden werden?
Boos: Ja, das geht. KI kann sowohl mit strukturierten als auch mit unstrukturierten Daten arbeiten.
Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
Boos: Stellen Sie sich vor, ein Automobilhersteller möchte den CO2-Fußabdruck seines Endprodukts verringern und sammelt daher Daten entlang seiner Lieferkette ein. Nicht alle Lieferanten arbeiten jedoch mit SAP-Systemen. Hier kommt unser "Sustainability Footprint Management" ins Spiel. Mithilfe von KI können wir Daten aus externen Quellen einbinden und diese in die Kalkulation des Product Carbon Footprints integrieren.
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Das sind dann aber nur Schätzungen, oder?
Boos: Das hängt von der Datenqualität ab. Wenn wir PrImärdaten von Lieferanten erhalten, sind diese sehr genau. Fehlen diese, greifen wir auf sekundäre Daten oder Schätzwerte zurück. Die langfristige Zielsetzung ist es, von Durchschnittsdaten zu realen, aktuellen Daten zu wechseln. Das ist jedoch ein Prozess, der Zeit braucht.
Wie sieht es mit der Akzeptanz von KI in der Industrie aus? Gibt es noch Vorbehalte?
Boos: Absolut. Ein großes Thema ist das Bias in KI-Systemen, also die Voreingenommenheit in den Daten, mit denen KI trainiert wird. Wir bei SAP haben eine strikte KI-Ethics-Policy. Jeder Use Case, den wir entwickeln, geht durch eine Ethik-Kommission, die sicherstellt, dass keine Diskriminierung oder Verzerrung in den Modellen entsteht. Im letzten Jahr haben wir über 150 Use Cases durch diese Kommission gebracht. Nur die, die den Anforderungen gerecht wurden, sind in die Entwicklungsphase gegangen.
Was sind dabei die Stellschrauben?
Boos: Es ist entscheidend, welche Daten verwendet werden und wie die KI trainiert wird. Bekannt ist etwa das "Habsburger-Problem" der KI. Die Habsburger-Dynastie war berühmt für ihre markanten Kinnpartien, die durch Inzucht entstanden sind. Auch bei KI kann „Inzucht“ entstehen, und zwar dann, wenn die Systeme mit immer denselben, künstlich erzeugten Daten trainiert werden – sie reproduzieren dann die immer gleichen Fehler.
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KI-Systeme brauchen viele Ressourcen. Wie stellen Sie sicher, dass auch diese selbst nachhaltig sind?
Boos: Wir müssen den Energie- und Wasserverbrauch mit dem CO2-Einsparungspotenzial abwägen. Eine große Rolle spielt dabei auch die Wahl des richtigen Modells. Manchmal reicht ein einfaches Machine-Learning-Modell, um den gewünschten Effekt zu erzielen, und man muss nicht unbedingt zu großen, energieintensiven Modellen greifen.