Stahlimporte China : Stahl am Limit: Wie Billigimporte aus Asien Europas Industrie unter Druck setzen

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Von Brüssel bis zum Vorstandsetagen großer Konzerne wächst der Alarmruf: Europas Stahlindustrie droht unter Asiens Billigkonkurrenz zu zerbrechen.

- © APA/dpa-Zentralbild/Martin Schutt

Die europäische Stahlindustrie steht weiterhin unter massivem Druck. Ursache sind vor allem eine schwache Nachfrage sowie ein zunehmender Zustrom von billigen Stahlimporten aus China und Indien. Während der Bedarf in Europa nur leicht ansteigt, steigern asiatische Länder ihre Stahlproduktion deutlich, wie die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in einem aktuellen Bericht betont. „Die Auslastung könnte so erneut in Richtung 70 Prozent sinken, was selbst sehr wettbewerbsfähige Stahlhersteller unter enormen Druck setzt.“

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Laut OECD soll die globale Stahlproduktion trotz sinkender Stahlpreise bis Ende 2027 um 6,7 Prozent zunehmen – das entspricht einem Plus von rund 165 Millionen Tonnen Rohstahl. Zum Vergleich: Der größte deutsche Stahlhersteller ThyssenKrupp produziert jährlich etwa elf Millionen Tonnen Rohstahl. Die größten Produktionssteigerungen kommen aus China, Indien und anderen asiatischen Ländern.

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Überkapazitäten auf dem globalen Stahlmarkt und Risiken für Europa

Überkapazitäten auf dem Stahlmarkt sind kein neues Phänomen, werden jedoch durch aktuelle Entwicklungen verschärft. Die Stahlpreise befinden sich laut OECD auf dem tiefsten Stand seit vier Jahren. Zwar scheint derzeit eine Talsohle erreicht, doch vielen Unternehmen fehlt das Kapital für Investitionen in den klimafreundlichen Umbau der Stahlproduktion.

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Gleichzeitig fürchtet die Branche neue Belastungen durch den Handelskonflikt zwischen China und den USA. Sollte dieser weiter eskalieren, könnten zusätzliche Stahlüberschüsse aus China auf den europäischen Markt gelangen und den Wettbewerb weiter verschärfen.

Die OECD weist zudem auf ungleiche Wettbewerbsbedingungen hin. In vielen Ländern – insbesondere in Asien und Nordafrika – werden Stahlhersteller zunehmend durch staatliche Subventionen unterstützt. „Gerade in China werde Stahl zehnmal stärker subventioniert als in den OECD-Nationen.“ Zu diesen zählen neben Europa auch die USA, Japan und Israel.

Auswirkungen des Handelskonflikts zwischen China und den USA auf den europäischen Stahlmarkt

Der anhaltende Handelskonflikt zwischen den Vereinigten Staaten und China hat weitreichende Konsequenzen für die globale Wirtschaft – besonders spürbar im Stahlsektor. Europa, das selbst mit strukturellen Problemen wie Überkapazitäten, sinkender Nachfrage und dem Transformationsdruck hin zu klimaneutraler Produktion kämpft, gerät zunehmend ins Kreuzfeuer dieser geopolitischen Spannungen.

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Seit Einführung der US-Strafzölle auf chinesischen Stahl 2018 ist der direkte Marktzugang chinesischer Hersteller in die Vereinigten Staaten massiv eingeschränkt. Die Folge: Große Mengen chinesischen Stahls werden verstärkt auf alternative Märkte umgeleitet – allen voran Europa. Auch Indien und andere asiatische Produzenten nutzen das Vakuum, das der US-Markt hinterlässt, und erhöhen ihre Exportquoten Richtung EU.

Für europäische Stahlunternehmen bedeutet das eine erhebliche Verschärfung des Wettbewerbsdrucks. Während in Asien häufig staatliche Subventionen für günstige Produktionsbedingungen sorgen, müssen europäische Hersteller strengere Umweltauflagen und höhere Energiepreise schultern. Der massive Zustrom an Billigstahl wirkt daher nicht nur preisdämpfend, sondern erschwert auch Investitionen in eine nachhaltige Modernisierung der Werke.

Darüber hinaus birgt der Konflikt langfristige Risiken für die Stabilität globaler Lieferketten und gefährdet europäische Industriepolitiken, die auf freien Handel und regelbasierten Wettbewerb setzen. Ohne koordinierte Gegenmaßnahmen – etwa handelspolitische Schutzinstrumente oder eine aktive Industriepolitik – droht Europa, zum Ventil globaler Stahlüberschüsse zu werden. Der Handelsstreit zwischen den Großmächten entfaltet so indirekt eine destabilisierende Wirkung auf einen ohnehin fragilen europäischen Stahlmarkt.

  • „In einer Zeit, in der niemand die WTO-Regeln respektiert und alle sich auf nationale Sicherheit berufen, kann die EU nicht der einzige Kontinent sein, der seine Industrie zerfallen lässt.“

    Stéphane Séjourné, Exekutiv-Vizepräsident der Europäischen Kommission für Industriepolitik

Wie kann die EU auf den Importdruck aus Asien reagieren, ohne WTO-Regeln zu verletzen?

Angesichts der zunehmenden Stahlimporte aus Asien steht die Europäische Union (EU) vor der Herausforderung, ihre Industrie zu schützen, ohne gegen die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) zu verstoßen. Dabei stehen der EU mehrere handelspolitische Instrumente zur Verfügung, die sowohl rechtlich zulässig als auch wirtschaftlich effektiv sind.

1. Anwendung von WTO-konformen Schutzmaßnahmen

Die EU hat bereits 2018 Schutzmaßnahmen in Form von Zollkontingenten für bestimmte Stahlprodukte eingeführt, um die heimische Industrie vor einem plötzlichen Anstieg der Importe zu schützen. Diese Maßnahmen wurden mehrfach verlängert und sind derzeit bis zum 30. Juni 2026 in Kraft. Sie ermöglichen es, Importe bis zu einer bestimmten Menge zollfrei zu lassen, während darüber hinausgehende Mengen mit einem Aufschlag von 25 % belegt werden.

2. Einleitung von Anti-Dumping- und Anti-Subventionsverfahren

Die EU kann Untersuchungen einleiten, um festzustellen, ob asiatische Hersteller Stahl zu Preisen unter den Produktionskosten (Dumping) oder mit unzulässigen staatlichen Subventionen auf den europäischen Markt bringen. Bei Nachweis solcher Praktiken können Ausgleichszölle verhängt werden, die WTO-konform sind und gezielt gegen unfaire Handelspraktiken vorgehen.

3. Einführung des CO₂-Grenzausgleichssystems (CBAM)

Ab 2026 plant die EU die schrittweise Einführung des CO₂-Grenzausgleichssystems (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM). Dieses System sieht vor, dass Importeure von emissionsintensiven Produkten wie Stahl Zertifikate erwerben müssen, die den CO₂-Emissionen entsprechen, die bei der Herstellung der Produkte entstanden sind. Ziel ist es, Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden und Anreize für eine klimafreundlichere Produktion zu schaffen.

4. Nutzung des Anti-Coercion Instruments (ACI)

Das 2023 eingeführte Anti-Coercion Instrument ermöglicht es der EU, auf wirtschaftlichen Druck von Drittstaaten zu reagieren, der darauf abzielt, politische Entscheidungen der EU oder ihrer Mitgliedstaaten zu beeinflussen. Obwohl dieses Instrument bisher nicht in Bezug auf asiatische Stahlimporte angewendet wurde, bietet es einen rechtlichen Rahmen, um auf wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen zu reagieren.

5. Internationale Zusammenarbeit und Reform der WTO-Regeln

Langfristig sollte die EU auf eine Reform der WTO-Regeln hinarbeiten, um besser auf die Herausforderungen durch staatlich subventionierte Überkapazitäten reagieren zu können. Eine verstärkte Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Handelspartnern, etwa im Rahmen eines "Green Steel Clubs", könnte helfen, gemeinsame Standards zu setzen und den fairen Handel zu fördern.

Durch die Kombination dieser Maßnahmen kann die EU den Importdruck aus Asien mindern und gleichzeitig ihre Verpflichtungen gegenüber der WTO einhalten.