Das Big Picture, das Robotics-Experte Ronald Naderer, Haupteigentümer des Liinzer Robotik-Unternehmens FerRobotics, zeichnet, ist trotz wirtschaftlicher Unsicherheiten optimistisch. Während in Deutschland und Österreich die Rezession viele Unternehmen zu einem Investitionsstopp zwingt, hat die Automatisierungsbranche in den USA und Asien bereits wieder Fahrt aufgenommen. „Bedarf an neuen Robotern ist jedenfalls so gut wie überall gegeben“, sagt Naderer, der mit seinen Unternehmen in Asien, USA und Europa vertreten ist. „Der Markt boomt“. Aktuelle Marktzahlen untermauern seine Einschätzung. Der globale Robotikmarkt wurde im Jahr 2024 von Global Market Insights auf 47,9 Milliarden US-Dollar geschätzt und soll sich bis 2034 auf 211 Milliarden US-Dollar mehr als vervierfachen – mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 16,6 Prozent. Treiber für diese Entwicklung: Einerseits der Fachkräftemangel, andererseits der Kostendruck.
Automobilindustrie: Kostendruck als Automatisierungstreiber
Vor allem in der gebeutelten deutschen Automobilindustrie wächst der Druck, manuelle Tätigkeiten weiter zu automatisieren. Zwar stehen die Hersteller bei Kaufentscheidungen noch auf der Bremse, aber das Interesse sei groß, sagt Naderer. Besonders bei Premiumfahrzeugen mit hohen optischen Anforderungen gibt es noch erhebliches Potenzial. Dabei geht es etwa um das Schleifen und Polieren von Karosserieteilen, die Nachbearbeitung von Schweißnähten, aber auch um Optimierung der vollautomatisierten Lackierung. So soll auch manuelle Nachlackierung oder die Lackinspektion durch Roboter erledigt werden. Naderer: „Wenn die Konjunktur wieder anzieht, werden viele neue Projekte starten.“
Luftfahrtindustrie: Hochskalierung mit Automatisierung
Auch die Luftfahrtindustrie steht unter Druck, die Produktion zu steigern, um die wachsende Nachfrage zu bedienen. Viele Prozesse sind noch manuell und arbeitsintensiv, doch Robotik und Automatisierungkönnten die Effizienz erheblich steigern. Besonders relevant wäre etwa automatisiertes Bohren und Nieten von Strukturelementen, aber auch Schleifen und Polieren von Flugzeugteilen, sowie eine automatisierte Qualitätsüberprüfung.
Airbus setzt bereits vermehrt Robotik ein: In Hamburg-Finkenwerder kommt beim neuen Langstreckenflugzeug A321XLR etwa eine hochmoderne, automatisierte Strukturmontage zum Einsatz. Ziel ist es, die Produktionskapazitäten auszuweiten und die Belastung der Mitarbeiter zu reduzieren.
„General Industry“: Robotik als neue CNC-Revolution
Abseits von Automobil- und Luftfahrtindustrie ist der Fachkräftemangel einer der stärksten Treiber für Automatisierung. Naderer vergleicht die aktuelle Transformation mit der Einführung von CNC-Maschinen: „So wie die CNC-Maschine einst die klassische Metallbearbeitung revolutionierte, übernehmen heute Roboter immer mehr repetitive und präzise Arbeiten.“
Vor allem in variantenreichen Industrien wie dem Maschinenbau oder der Haushaltsgeräteproduktionsetzen Unternehmen zunehmend auf Roboter, insbesondere fürs Schrauben, Fügen, Kleben, Schweißen, aber auch für das Sortieren, Palettieren und Depalletieren von Waren. Schleifen, Polieren und Entgraten sind häufig noch manuell, Robotik könnte aber auch hier gleichbleibende Qualität liefern.
Viele Mittelständler haben die Automatisierung aber noch nicht gestartet. „Es fehlt oft an Know-how und Standardisierung“, sagt Naderer. Hohe Investitionskosten und unklare Rentabilitätsaussichtenschrecken Unternehmen ab.
„Insel vor Linie“: Modulare Robotik statt riesiger Fertigungslinien
Wegen dieser Unsicherheiten sieht Naderer die Zukunft nicht in großen Roboterlinien, sondern Roboterinseln. Diese lokalen, abgeschlossenen Automatisierungseinheiten („Roboterzellen“) bieten mehrere Vorteile: Sie sind flexibel, lassen sich schrittweise implementieren und vielseitig einsetzen, - von der Montage über Lackierung bis hin zum Schleifen und zur Qualitätsprüfung.
Statt Millionen in eine große, starre Roboterlinie zu investieren, können Unternehmen mit einer Roboterzelle beginnen und ihren Automatisierungsbedarf sukzessive ausbauen.
KI: Nur in Komponenten, nicht im Gesamtprozess
Einen Wachstumstrend gibt es auch beim Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) in der Robotik– insbesondere bei Kamera-Erkennung und Sensorik. Der Einsatz auf gesamter Prozessebene bleibt indes problematisch. „KI verhält sich bei Optimierungen wie eine Black Box – die Änderungen sind nicht immer nachvollziehbar“, erklärt Naderer.
Das kollidiert mit den Anforderungen zertifizierter Qualitätsmanagement-Systeme (z. B. ISO 9001, IATF 16949 für die Automobilindustrie, ISO 13485 für Medizintechnik). Diese verlangen, dass alle Prozessänderungen überprüfbar und wiederholbar sind. Da KI-Algorithmen aber auf statistischen Modellen basieren und ihre Entscheidungen oft dynamisch auf Basis neuer Daten ändern, können schwankende Ergebnisse die Folge sein – die dann aber nicht mehr den zertifizierten Prozessen entsprechen. Daraus können sich sicherheitskritische (Produkt-)Haftungsfragen ergeben, die etwa in der Medizintechnik, Luftfahrt oder der Automobilindustrie ein großes Thema sind.
Kräftigere Cobots und flexiblere Robots
Ein weiterer Trend ist das Zusammenwachsen von Cobots und Industrierobotern. Während Cobots früher kleine, wendige Helfer für den direkten Mensch-Roboter-Kontakt waren, tragen sie heute zunehmend schwerere Lasten. So hat der Cobot UR30 von Universal Robots bereits eine Nutzlast von 35 Kilogramm. Der MC600 von Mobile Industrial Robots (MiR) kombiniert den Cobot-Arm mit einem autonomen mobilen Roboter (AMR), der insgesamt 600 kg befördern kann, wodurch bis zu 35 Kilogramm schwere (Halbfertig-)Produkte automatisiert transportiert, sowie zu- und entladen werden können.
Gleichzeitig werden Industrieroboter flexibler, weil sie mit Sensorik, KI und verbesserten Bedienoberflächen ausgestattet sind. Ein Beispiel ist die Leiterplattenbestückung: Das Einsetzen empfindlicher Bauteile war früher nur Menschen oder Cobots vorbehalten. Industrieroboter, ausgerüstet mit Kraft- und Drucksensorik sowie KI-gestützter Bilderkennung können nun auch das. Fanuc, ABB oder KUKA haben bereits Modelle entwickelt, die Bauteile in Echtzeit an neue Werkstücke anpassen können – oder erkennen, wenn ein Bauteil falsch ausgerichtet ist.
Zweiarmige Roboter: Bitte warten
Zweiarmige Roboter lassen indes weiter auf sich warten. Obwohl seit Jahren mit ihnen experimentiert wird, konnten sie sich in der Industrie nicht durchsetzen. ABB brachte bereits 2014 „YuMi“ auf den Markt, doch auch Neura Robotics und chinesische Hersteller wie Unitree arbeiten an ähnlichen Konzepten.
Humanoide Roboter sind so konzipiert, dass sie in menschlichen Arbeitsumgebungen agieren können. Ihre menschenähnliche Statur soll es ihnen ermöglichen, Werkzeuge und Maschinen ohne Umgestaltung der Infrastruktur zu bedienen – theoretisch ein Vorteil gegenüber klassischen Industrierobotern.
In der Praxis haben sich humanoide Roboter in Fertigungsstraßen jedoch noch nicht etabliert. Derzeit gelten sie noch als experimentelle Technologie – oder, drastischer formuliert, als teure Spielerei.
Der Hauptgrund: Sie sind zu langsam. Beim Gehen, Laufen, Greifen und Hantieren mit Werkzeugen fehlt es an Geschwindigkeit und Präzision, um mit Menschen oder Industrierobotern zu konkurrieren. Entscheidend sind leistungsfähigere Antriebe, verbesserte Sensorik und schnellere Steuerungsalgorithmen, insbesondere durch KI.
Ein Beispiel ist Teslas Optimus-Roboter. Elon Musk kündigte ihn als Zukunftstechnologie an, doch bisher sind die Demonstrationen statisch und wenig beeindruckend. Optimus kann Objekte einsortieren, ist dabei aber langsam und weit vom menschlichen Niveau entfernt.
Auch Boston Dynamics' „Atlas“ zeigt beeindruckende Bewegungen, doch bleibt die Frage: Wann werden humanoide Roboter wirklich produktiv einsetzbar sein?
Auch wenn es heute noch nicht so weit ist: Experten sehen trotzdem großes Potenzial: Bis 2035 soll der Markt für humanoide Roboter auf 38 Milliarden US-Dollar anwachsen. Doch damit sie sich in der Industrie durchsetzen, müssen sie schneller, effizienter und wirtschaftlich konkurrenzfähig werden. Bis dahin gilt weiterhin: Bitte warten.