Logistik-Strategien beim Bundesheer : Krisenlogistik beim Bundesheer: Oberst Alexa warnt vor gefährlicher Schwachstelle im Ernstfall
Oberst Andreas Alexa, Österreichisches Bundesheer: "Der Logistiker ist heute eines der ersten Angriffsziele". Im Bild: Transport militärischen Equipments per LKW
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Militärlogistik am Limit: Warum Effektivität im Ernstfall wichtiger ist als Effizienz
Industriemagazin: Herr Oberst Alexa, würden Sie sagen, die Heereslogistik ist vergleichbar mit einer gut geölten Unternehmenslogistik?
Oberst Alexa: Vergleichbar sicherlich – mit Einschränkungen. Die Militärlogistik verfolgt ein konkretes Ziel: die Sicherstellung der Durchhaltefähigkeit im Einsatz. Das bedeutet die Fähigkeit, Streitkräfte über einen bestimmten Zeitraum hinweg einsatzfähig zu halten. Ob in Österreich oder in weit entfernten Einsatzräumen. Ziel ist es, die logistische Kulmination zu vermeiden – also Situationen, in denen der Bestand an Ressourcen nicht mehr dem Bedarf entspricht. Um das zu verhindern, errichtet und betreibt die Militärlogistik ein logistisches Netzwerk: von der strategischen Basis – sprich der Industrie – über stationäre militärische Einrichtungen bis hin zu mobilen Einheiten.
Dieses Netzwerk involviert auch nicht-militärische Akteure?
Alexa: Richtig. Es gibt zahlreiche Leistungserbringer, die nicht dem Militär angehören. Contractor Support to Operations bedeutet etwa, dass wir im Einsatzraum direkt Leistungen zukaufen – Verpflegung, Betriebsmittel. Auch multinationale Kooperation ist ein Thema. Die Interoperabilität, also das gemeinsame Nutzen kompatibler Systeme, ist eine wichtige Voraussetzung.
Sind das bekannte Unternehmen aus dem Logistikbereich?
Alexa: Ja, beispielsweise in der Transportlogistik: Kühne + Nagel, Gebrüder Weiss, Rail Cargo, die wir natürlich nutzen. In Auslandseinsätzen eher kleinere, lokale Zulieferer. Beispiel Kosovo: die Wartung unserer Fahrzeuge übernehmen dort auch zivile Firmen – quasi Vertragswerkstätten.
Geht es in der Heereslogistik - wie in der Wirtschaft - um Effizienz?
Alexa: Es geht bei uns um Effizienz und Effektivität – wobei im Einsatz die Effektivität Vorrang hat. Was unter wirtschaftlichen Aspekten ineffizient wäre, ist im Einsatz richtig. Ein 5-Tonnen-LKW, der halb leer Munition bringt, ist unter Umständen effektiver als ein perfekt ausgelasteter Transport, der zu spät kommt. Das ist eine Priorität im Einsatz. Allerdings befinden wir uns derzeit in einem Wellental: Es gibt den Aufbauplan 2032+, auch für die Logistik – aber ob sich das mit den aktuellen Budgettangenten ausgeht, wird sich zeigen. Ich bin aber zuversichtlich. Logistik muss ein Teil von Beschaffungen sein. Es wäre unsinnig, hypothetisch gesprochen, neue Kampfpanzer zu beschaffen, aber keine Bergefahrzeuge. Das wäre ein Bruch in der Kette.
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Extremfall Bundesheer: Warum Logistiker heute kämpfen können müssen
Wann würden Sie von einer funktionierenden Logistik sprechen?
Alexa: Militärische Logistik muss auch dann funktionieren, wenn zivile Systeme bereits ausfallen. Deswegen ist unsere Organisation auf Durchhaltefähigkeit und Redundanz ausgelegt. Wir funktionieren auch dann, wenn andere nicht mehr funktionieren. Das ist keine Floskel, sondern ein operativer Anspruch. Wir dürfen nicht abhängig sein von nur einer Lösung, einem System oder einer Route.
Logistiker sind aber vor allem eines: Soldaten.
Alexa: Alles, was wir derzeit etwa im Ukraine-Krieg sehen – unterbrochene Versorgungsketten, zerstörte Infrastrukturen – sind reale Szenarien auch für uns. Unsere Logistiker müssen nicht nur technisch und fachlich ausgebildet, sondern auch Soldaten sein. Sie müssen kämpfen können – und das unter extremen Stress. Das muss geübt werden.
Seit Corona reißen die Disruptionen nicht mehr ab. Spüren Sie das?
Alexa: Ja. Corona, Ukraine-Krieg, Blockade des Suezkanals – das waren Eruptionen in den Supply Chains, die auch wir gespürt haben. Das Just-in-Time-Prinzip ist de facto Geschichte. Wir müssen wieder Lagerhaltung lernen. Auch das Bundesheer.
Wie schnell ist die Bundesheerlogistik in einem Kriseneinsatz einsatzfähig?
Alexa: Im Katastropheneinsatz sehr rasch. Wir sind Second Responder, kommen nach den Blaulichtorganisationen. Aber bei militärischen Einsätzen ist das anders – da fällt etwa die Munitionsversorgung ins Gewicht. Ein Artillerieelement kann an einem Tag 180 Tonnen Munition brauchen – das ist eine andere Größenordnung.
Wie steht es um die Munitionslogistik?
Alexa: Die erfolgt durch eigene Transportkräfte. Lieferanten liefern an zentrale Lager, von dort aus wird an die Truppe verteilt. Im Einsatz erfolgt das nur durch militärische Kräfte – auch aus rechtlichen Gründen. Die Integration ziviler Leistungserbringer endet dort, wo es wirklich gefährlich wird.
Wie aufgeschlossen sind Sie gegenüber Start-ups mit neuen Versorgungsansätzen, etwa Drohnengeschützten Robotern?
Alexa: Vieles, was früher Science-Fiction war, ist heute Realität oder auf dem Weg dorthin. Unser System ist allerdings schwerfälliger. Neue Technologien müssen evaluiert werden, Budgets sind vorgeplant – das ist ein langwieriger Prozess.
Kampfzone Nachschub: Warum Logistiker heute an vorderster Front stehen
Die Bedrohungslage hat sich nun dramatisch verändert. Wie reagiert die Heereslogistik darauf?
Alexa: Wir kehren zurück zu großflächigen Kampfoperationen, wie sie in Europa Jahrzehnte nicht gesehen wurden – mit schweren Waffen, Artillerie, Drohnen. Diese Szenarien fließen in die Ausbildung ein – an der Akademie und in den Bataillonen. Auch der Logistiker ist heute eines der ersten Angriffsziele – was früher „hinten“ war, ist heute im Fokus.
Gibt es Automatisierung in der Logistik?
Alexa: Ja, aber vor allem im Friedensbetrieb, in zentralen Lagern. Im Einsatz muss vieles weiterhin manuell erfolgen. Wir müssen aber kognitive Logistik entwickeln – Daten erfassen, antizipieren, automatisiert auswerten. Unser logistisches Informationssystem funktioniert auch im Einsatz, aber vieles läuft noch analog.
Gibt es Pläne, vernetzte Systeme zu etablieren?
Alexa: Ja, mit dem Battle-Management-System soll das kommen. Ziel ist eine vollvernetzte Militärlogistik 4.0. Aber: Diese Netze müssen auch im Einsatz sicher funktionieren – gegen Cyberangriffe geschützt.
Wie wird die Logistik physisch geschützt?
Alexa: Logistiker sind auch Soldaten. Aber sie können nicht gleichzeitig kämpfen und reparieren, Material lagern oder Essen zubereiten. Es braucht daher eigene Schutzkomponenten – gegen Drohnen, gegen Angriffe. Der Schutz logistischer Einrichtungen ist essenziell, denn wer dem Gegner die Logistik nimmt, nimmt ihm die Durchhaltefähigkeit.
ZUR PERSON
Andreas Alexa, 54,
graduierte 1993 an der Theresianischen Militärakademie und absolvierte von September 2007 bis Juni 2010 den 18. Generalstabslehrgang an der Landesverteidigungsakademie. Er ist Hauptberuflich Lehrender für Militärlogistik an der Fachhochschule für angewandte Militärwissenschaften.