EU will Prüfer-Oligopol knacken : Vierer-Bashing: Der Krieg um die Wirtschaftsprüfer

Wirtschaftsprüfer erschöpfter Mann Beratung
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„Wir lassen uns nicht unter Druck setzen, sondern treffen jeweils im Einzelfall die für das Unternehmen beste Entscheidung.“ Patrick Prügger, in der Geschäftsführung der B & C Industrieholding für Finanzen zuständig, lässt sich als Aufsichtsrat bei Lenzing und Semperit keine Vorschriften bei der Auswahl des Wirtschaftsprüfers machen. „Wir arbeiten nicht mit jedem zusammen, sondern suchen uns Leute aus, auf deren fachliche und persönliche Integration wir vertrauen.“ Dabei hat er zu wenig Auswahl, findet Michel Barnier: „Der Markt ist hyperkonzentriert.“ Deshalb packt der EU-Binnenmarktkommissar jetzt harte Bandagen aus: Im November veröffentlicht er einen Richtlinien-Vorschlag zur Abschlussprüfung, der das Oligopol der vier großen Prüfgesellschaften KPMG, Deloitte, PwC und Ernst & Young („Big Four“) brechen soll. Sie teilen sich rund 80 Prozent des Prüfgeschäfts der börsenotierten EU-Unternehmen. Damit ist jede einzelne von ihnen systemrelevant – in Deutschland werden 90 Prozent der DAX- 30-Unternehmen von KPMG oder PwC geprüft. Im September sickerte durch, womit der streitbare Franzose die marktbeherrschenden Kanzleien zu traktieren gedenkt: Die geprüften Unternehmen sollen ihre Prüfgesellschaft alle neun Jahre wechseln müssen. Für Konzerne mit größeren Bilanzsummen sollen so genannte „Joint Audits“ verpflichtend werden, bei denen eine Big-Four-Gesellschaft bei jedem Mandat einen kleineren Konkurrenten mit an Bord nehmen müsste. Und schließlich will Barnier den Prüfkonzernen die Entflechtung von wenig lukrativem Prüf- und überaus einträglichem Beratungsgeschäft verordnen. Externe Rotation abgelehnt. Die Branche reagiert erwartungsgemäß verschnupft. Auf besonders wenig Gegenliebe stößt der Plan, dass Unternehmen die Prüfgesellschaft in regelmäßigen Abständen austauschen müssen (externe Rotation). „Das würde bedeuten, dass der Aufsichtsrat entmachtet wird“, meint Rainer Hassler, Geschäftsführer des heimischen Marktführers KPMG. „Ich würde mir schon selbst aussuchen wollen, ob ich alle drei, fünf oder sieben Jahre die Abschlussprüfung ausschreibe. Das bindet ja interne Ressourcen.“ Helmut Maukner, Geschäftsführer von Ernst & Young in Österreich und Präsident des Instituts Österreichischer Wirtschaftsprüfer, sekundiert: „In den ersten Jahren der Prüftätigkeit ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass Fehler übersehen werden.“ EU-Lobbyist Andreas Geiger sieht das anders: „Wirtschaftsprüfung ist nicht Rocket Science. So exorbitant unterschiedlich sind die Strukturen großer Konzerne im Einzelfall auch wieder nicht.“ Doch die Geprüften sind skeptisch: „Ich bezweifle, dass eine verpflichtende externe Rotation die Prüfungsqualität nachhaltig verbessern würde. Das derzeitige System der internen Rotation reicht völlig aus“, meint Patrick Prügger. In Österreich darf eine Person einem Unternehmen maximal fünf Jahre in Folge die Bilanz testieren und muss dann für mindestens zwei Jahre pausieren. Nicht gewechselt werden muss hingegen die Prüfgesellschaft. Prüfmandate können aber jedes Jahr neu ausgeschrieben werden. Mindestens zwei Jahresabschlüsse lang dauere es, bis ein neuer Prüfer eingearbeitet sei, schätzt Doris Bock, CFO bei Neudörfler Office Systems. In kleineren Gesellschaften sei der Prüfer zudem ein guter „Sparringpartner“. Bilanz und Bewertungen erstellt die Neudörfler-Finanzchefin mit ihrem Team selbst. „Aber der Prüfer steigt sehr tief in bestimmte Themen ein und sieht sofort, wo die Knackpunkte sind. Wir diskutieren das und einigen uns dann.“ Der Vorteil eines langjährigen Mandats liegt für sie auf der Hand: „Ich will keinen Prüfer, der einen Tag lang da ist und nur seine Unterschrift abliefert. Ich will von seiner Expertise profitieren.“ Teure Joint Audits. Die obligatorische Tandemprüfung großer Gesellschaften würde vor allem die Kosten treiben, sind die „Big Four“ überzeugt. „Das geht in Richtung doppelte Vollprüfung – weil jeder Prüfer auch für die Ergebnisse des anderen haftet“, schätzt Maukner – auch bei den Kosten. KPMG-Chef Hassler sieht das ähnlich: „Das ist nicht Prüfung durch zwei.“ Mittelgroße Netzwerke, wie Grant Thornton oder BDO, die von dem verbindlichen Paarlauf bei Großprüfungen profitieren würden, reagieren dagegen positiv. Walter Platzer, Partner von Grant Thornton Unitreu (er prüft unter anderem den voestalpine- Konzernabschluss), hält die nötige Koordination zweier Prüfteams für nicht allzu dramatisch: „Es entsteht zwar zusätzlicher Aufwand, aber man kann ihn minimieren. Das Handwerk beherrschen ja nicht nur die Big Four, sondern viele andere auch – in jedem Land gibt es mindestens zehn Kanzleien, die das können.“ Auf freiwilliger Basis werden Joint Audits längst praktiziert – zum Beispiel, wenn es in einem Unternehmen zwei starke Eigentümerkerne gibt und jeder „seinen“ Prüfer an die Bilanz setzt. Auch bei Unternehmen von besonderem öffentlichen Interesse – vom ORF bis zu den Firmen der verstaatlichten Industrie – ist es gang und gäbe, zwei Prüfgesellschaften zu beauftragen, die einander auf die Finger schauen. Kapazitätsprobleme. Bei Großprüfungen würden ganz kleine Prüf-Netzwerke ohnehin an ihre Grenzen stoßen, glaubt Platzer. „Ein Konzern wie die voestalpine mit mehr als 250 Gesellschaften – da eine Prüfung auf homogener Basis zu organisieren, schafft ein Kleiner einfach nicht.“ Das ist konzentrationsförderlich: Von früher an die hundert Prüfern im voestalpine-Konzern ist gerade mal eine Handvoll übriggeblieben. Auch Helmut Maukner sieht die Konzentration der Branche als Folge der Klientengröße: „Konzerne verlangen, dass das, was sie mit dem Wirtschaftsprüfer in Österreich besprechen, auch für die Niederlassung in Rio oder Schanghai gilt. Die wollen bei der Bilanzierung nicht 129 Mal die gleichen Fragen gestellt bekommen.“ Fortsetzung auf Seite 2: Billige Prüfung, teure Beratung

Prüfkosten um zwei Drittel gesunken. Zu wenig Wettbewerb im Prüfsektor vermögen weder die großen Vier noch ihre Konkurrenten aus der zweiten Reihe zu entdecken. „In Österreich sind die Prüfhonorare in den letzten zehn Jahren auf ein Drittel gesunken“, betont Grant-Thornton-Unitreu-Partner Christian Pajer. Der Preiskampf könnte noch härter werden, wenn, wie derzeit überlegt wird, die Schwellenwerte für Pflichtprüfungen angehoben werden. Die Zahl der verbindlich zu prüfenden Gesellschaften in Österreich stagniert seit geraumer Zeit. „Die Preisentwicklung in der Prüfung ist anachronistisch und irrational, nicht nur in Österreich, sondern global“, moniert Helmut Maukner. Bei 90 Prozent der heimischen Mandatsvergaben sei der Preis das einzig entscheidende Kriterium. Potenziell qualitätsbedrohlich finden das die Prüfer. Ihr Ausweg: noch mehr Automatisierung. Die allerdings nicht der Weisheit letzter Schluss sei. „Wenn man nur mehr mit extremen Stichproben und sehr hohen Wahrscheinlichkeitsgrenzen prüft, steigt das Risiko, dass gewisse Dinge unentdeckt bleiben“, stellt Pajer fest. Dabei steigen die Anforderungen. „Wir definieren Prüfungsqualität vor allem durch die Fähigkeit, komplexe internationale Geschäftsmodelle und die daraus resultierenden Risiken identifizieren und beurteilen zu können“, sagt B & C-Industrieholding-Finanzchef Prügger. Als Aufsichtsrat verlangt er von seinen Prüfern zusätzlich aktive Kommunikation: „Das ist mehr als ein- bis zweimal im Jahr dem Prüfungsausschuss berichten.“ Kein Deckungsbeitrag. Da das Prüfgeschäft den Big Four immer weniger einbringt, drängen sie umso aggressiver in den Beratungsmarkt – mit Erfolg (siehe Grafik). Dieses Geschäft wollen sie sich auch nicht wegnehmen lassen, zumal dort die Margen weitaus besser sind. An der Verschränkung von Prüfung und Beratung in derselben Unternehmensgruppe sieht KPMG-Chef Hassler nichts Verwerfliches: „Unsere Beratungsumsätze werden ja nicht ausschließlich mit Prüfkunden erzielt.“ Quersubventionierung zwischen Prüf- und Consultingsparte wird zwar geleugnet. „Aber es kommt vor, dass man die Prüfung unter Verzicht auf den Deckungsbeitrag anbietet, um einen wichtigen Kunden zu gewinnen oder in eine Branche hineinzukommen“, gibt Hassler zu. Diese Schuhlöffelfunktion wollen die reinen Consulter von Michel Barnier ausgehebelt wissen: „Man muss die Kunden von dem Druck befreien, sich ein Testat durch Beratungsleistung ‚kaufen‘ zu müssen“, sagt ein Branchenkenner. Wichtiger werde das Consultinggeschäft auch aus einem anderen Grund: „Keiner will mehr in der Prüfung arbeiten – die ist eine Commodity geworden, mit Tagsätzen unter 1000 Euro. Dafür geht ein Managementberater gar nicht erst zur Tür raus.“ Den Incentive-Charakter von Beratungstätigkeiten gibt Walter Platzer von Grant Thornton Unitreu unumwunden zu: „Nur prüfen ist nicht die Erfüllung des Lebens – unsere Mitarbeiter haben gerne Abwechslung.“ Unvereinbarkeiten, so der Tenor der Prüfer, schlössen Gesetz (kein Wirtschaftsprüfer darf einen Sachverhalt testieren, zu dem er wesentlich beigetragen hat – das so genannte „Selbstprüfungsverbot“) und interne Compliance- Regeln ohnehin aus. Unschärfen gestehen sie aber ein: Etwa wenn ein Konzern ein Unternehmen kauft, der Abschlussprüfer die Due Diligence samt Bewertung erledigt und den Kaufpreis auf Bilanzpositionen verteilt. Problematisch werde es, „wenn er sagt: Hier ist ein Goodwill von 100 Millionen Euro in Ordnung, und am Jahresende heißt es plötzlich: Da müssen wir ein Impairment machen“, erläutert Walter Platzer.Eine Einschränkung der Beratungsmöglichkeiten und daraus resultierende höhere Prüfkosten könnten letztendlich sogar die Prüfungsqualität verbessern. „Heute gehen die miteinander Kaffee trinken und ackern die Postenliste durch – die Prüfer sehen ja gar nichts mehr“, sagt ein Experte. Der Stempel der Big Four unter dem Konzernabschluss sei damit ein Qualitätsversprechen, „nicht mehr“. Fortsetzung auf Seite 3: Kapitalmarkt will Big Four-Testat

Oligopollastiger Kapitalmarkt. Nicht immer treiben Kampfpreise größere Klienten in die Arme der Big Four. Manchmal sind es auch Kapitalerfordernisse, wenn Banken und Investoren ausschließlich auf Testate mit globalen Markennamen vertrauen, wenn es um neue Kreditlinien, Anleihewürdigkeit oder Kapitalaufstockungen geht – bis hin zur vertraglich festgelegten „Big-Four-Only“- Klausel. Damit ist zumindest bei auf den internationalen Kapitalmarkt angewiesenen Klienten ein für KPMG & Co. kommodes Perpetuum mobile garantiert, während kleineren Konkurrenten ohne international zugkräftige Namen ein großes Marktsegment verschlossen bleibt. E&Y-Chef Maukner wiegelt ab: „Diese Klauseln haben die Big Four nicht erfunden.“Die vertragliche Einschränkung der Prüferwahl will Binnenmarktkommissar Barnier als Wettbewerbseinschränkung verbieten und wird dabei vom Europäischen Parlament unterstützt. Ob das internationale Investoren beeindrucken würde, bleibt dahingestellt. Lenzing- und Semperit- Aufsichtsrat Prügger gibt jedenfalls zu, dass diese Überlegung für die Auswahl der Prüfgesellschaft eine Rolle spielt: „Viele potenzielle Eigen- und Fremdkapitalgeber vertrauen auf die internen Qualitätsstandards der großen Abschlussprüfer.“ Nachsatz: „Wir entscheiden aber im Einzelfall, wer prüft, und arbeiten bei Sonderthemen, wie Umstrukturierungen, auch gern mit kleineren Kanzleien.“ Kuschelkurs mit Klienten. Auch die Geprüften müssen sich bei der Nase nehmen – viele beschäftigen über Jahrzehnte hinweg dieselbe Prüfgesellschaft. Ein daraus entstehender Kuschelkurs ist Binnenmarktkommissar Barnier ein Dorn im Auge: „Wenn der Finanzvorstand eines großen europäischen Unternehmens sagt, er erwarte vom Wirtschaftsprüfer, dass er gefügig ist, dann beschädigt das den Berufsstand.“ Die Prüfer sehen in den oft Jahrzehnte dauernden Geschäftsbeziehungen mit Stammkunden naturgemäß nichts Anrüchiges. Gäbe es doch immer wieder nicht oder nur eingeschränkt testierte Bilanzen. In der Praxis regiert bei der Bestellung des Prüfers in vielen heimischen Unternehmen der Schlendrian, weiß Richard Schenz, Vorsitzender der Qualitätskontrollbehörde für Abschlussprüfer und Prüfungsgesellschaften: „Oft delegiert der Aufsichtsrat die Frage, welcher Wirtschaftsprüfer genommen werden soll, an den Vorstand. Der macht dann eine Ausschreibung, präsentiert im günstigsten Fall eine Shortlist oder schlägt überhaupt nur einen einzigen Wirtschaftsprüfer vor, der von Aufsichtsrat und Hauptversammlung abgenickt wird.“ Ganz daneben findet Schenz das: „In Wirklichkeit müsste der Aufsichtsrat den Wirtschaftsprüfer selektieren – und zwar ohne Vorstand. Der sollte erst in der Hauptversammlung erfahren, wer der Prüfer ist.“ Aktiveren und für ihre Mühen besser kompensierten Aufsichtsräten stehe vielfach mangelnde Einsicht der Kleinanleger gegenüber, moniert Walter Platzer von Grant Thornton Unitreu: „Im Zweifel ist jeder Aktionär jedem Aufsichtsrat jeden Tausender neidig, den der bekommt.“ Eigentümerschelte gibt es auch von Maukner: „Angesichts des bei schwieriger Wirtschaftslage erhöhten Prüfaufwands verstehe ich nicht, wenn Aufsichtsräte in krisengeschüttelten Unternehmen auf ihr Honorar verzichten, wenn sie eigentlich extrem viel arbeiten sollten, und dafür auch noch von den Aktionären Applaus bekommen.“ Maike Seidenberger