Energiewirtschaft : Tauziehen um Stromnetz-Entgelte hat begonnen

Spätestens 2019, nach Ende der Anreiz-Regulierung, soll die Tarifreform gelten, dazu muss man sich auf eine "faire" Lastenaufteilung einigen, orientiert am Kostenverursacher-Prinzip. Dass das schwierig ist, zeigte eine Diskussion am Mittwochabend. Vor einer Woche hatte E-Control angekündigt, an einer neuen Struktur der Stromnetz-Entgelte zu arbeiten. Das fast 20 Jahre alte Modell sollte an künftige Anforderungen angepasst werden. Der Hintergrund sind die vielfältigen Herausforderungen an eine zukunftstaugliche Netzentgelt-Struktur. Die vermehrte Dezentralisierung und die zunehmende, schwer planbare und damit variable Einspeisung der Erneuerbaren Energien führen zu größeren Lastschwankungen im Netz. "Anderseits werden künftig den Netzbetreibern neue Rollen zugestanden, um als zentrale Plattform in einem veränderten energieeffizienten und erneuerbaren Energiemarkt zu fungieren. Das Stromnetz ist das Rückgrat und gleichsam die 'Versicherung'", betont Control-Vorstand Martin Graf.

"Dieses Thema zu lösen wird nicht trivial", steht für den Präsidenten des E-Wirtschafts-Verbandes Oesterreichs Energie, Verbund-Chef Wolfgang Anzengruber, fest. Klar sei aber, dass die acht Milliarden Euro an Investitionen in das heimische Stromnetz - gut 2,5 Milliarden Euro davon für das APG-Übertragungsnetz - bis zum Jahr 2020/22 "im wesentlichen der Konsument tragen" müsse.

IV-Vize-Generalsekretär Peter Koren sagte, die Industrie sei bereit, das Thema auf Basis von Daten und Fakten in den kommenden Monaten mitzudiskutieren: "Wir sind am Beginn eines langen Weges." "Man kann aber die Industrie nicht mit Kosten überfrachten", hielt er bei einer "Trendforum"-Debatte von Oesterreichs Energie fest. Netzinvestitionen seien nötig, bei den Kosten müsse es aber Transparenz geben.

"Die Industriebetriebe wissen, dass die Netze in Österreich sehr gut und sicher sind und siedeln sich daher gern hier an", hielt dem der Spartensprecher Netze der Strombranche, Netz-Steiermark-Geschäftsführer Franz Strempfl, entgegen. Seit 2001 hätten sich die seinem Unternehmen vorgegebenen Netztarife "mehr als halbiert". Und nun, 2015, bei der Erhöhung um im Schnitt 5,5 Prozent, habe es einen "Aufheuler" gegeben, obwohl Haushaltskunden pro Monat im Schnitt nur 90 Cent mehr bezahlen müssten, "das sind vier Seidel Bier im Jahr". "Ich glaube nicht, dass das ein großes Problem ist", meinte Strempfl: "Und wenn jemand mit den zwölf Euro im Jahr ein soziales Problem hat, dann hatte er es auch schon vorher."

Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) verwies darauf, dass die Haushalts-Kunden derzeit 55 Prozent der Netzkosten tragen müssten, obwohl sie nur 25 Prozent des heimischen Stroms verbrauchen. "Das ist eine Relation, wo es irgendwo einmal aus ist für die Haushalte", meinte der für Konsumentenschutz zuständige Ressortchef. Es gebe sehr wohl schutzbedürftige Kunden, denn "ein paar 100.000 Menschen in Österreich sind armutsgefährdet".

Menschen in mehrgeschoßigen Wohnbauten könnten bei den Netzentgelten nicht so einfach Einsparungen lukrieren, wie sie etwa Eigentümern von Einfamilienhäusern möglich sind, wenn sich diese eine PV-Anlage installieren lassen und Strom ins Netz auch einspeisen. Hundstorfer: "Wir haben beim Photovoltaik-Ausbau ein massives Stadt-Land-Gefälle. Hier muss ein Nenner gefunden werden, dass das einigermaßen 'fair' aufgeteilt wird."

"Gibt eine Verteilungsfrage bei Netzentgelten"

Berechnungen der Energieagentur (Austrian Energy Agency) haben nämlich ergeben, dass den heimischen Netzbetreibern bei einem weiteren starken PV-Ausbau einiges an Netzentgelten entgehen könnte - obwohl die Kosten für die Leitungen praktisch gleich blieben, da sie fast ausschließlich durch Fixkosten bestimmt seien.

Sollte etwa in Wien die installierte PV-Leistung von im Vorjahr 33 MW bis zum Jahr 2020 auf 300 MW steigen, wie eine konservative Prognose lautet, so könnten sich bezogen auf Haushaltskunden die Netzentgeltzahlungen für den lokalen Verteilnetzbetreiber um 3,8 Millionen Euro jährlich reduzieren. Zusätzlich würden sich durch die Kostenvorteile für die PV-Betreiber die Steuern, Abgaben und Zahlungen zugunsten der Ökostromförderung um 5,9 Millionen Euro reduzieren. Käme es sogar zu 500 MW PV-Zubau (mit ebenfalls 30 Prozent Eigenverbrauchsanteil), so würden die Netzentgeltzahlungen um 3,8 Prozent oder um 6,4 Millionen Euro sinken, die Steuern und Abgaben um 9,8 Millionen Euro, erläuterte Günter Pauritsch von der Österreichischen Energieagentur.

"Ja, es gibt bei den Netztarifen eine Verteilungsfrage", konstatierte E-Control-Vorstand Martin Graf, "aber auch in Richtung Industrie, die mitfinanzieren muss, und auch in Richtung Erzeuger." Derzeit würden die Erzeuger nur für rund 50 Millionen Euro von insgesamt zwei Milliarden Euro aufkommen. Die Regulierungsbehörde wolle mit der Branche und den Sozialpartnern einen transparenten Diskurs führen, um 2016 zu wissen, wohin künftig die Reise bei der Struktur der Netztarife gehen solle.

"Es geht um die künftigen Aufgaben der Netzbetreiber und deren Bepreisung", so Graf. Dabei werde man sich auch die Entwicklung in Deutschland "sehr gut ansehen". Ob man bei der neuen Netztarif-Struktur einfach die Grundgebühr erhöhen könne, sei "eine soziale Frage", denn Kleinkunden mit einem niedrigen Stromverbrauch wären davon überproportional stark betroffen.

Die Energiewende - eigentlich eine "Stromwende" - könne nicht gelingen, wenn es Konsumenten gebe, die ohne Chance seien, daran teilzunehmen und die überproportional viel zahlen müssten, warnte die Generalsekretärin von Oesterreichs Energie, Barbara Schmidt. Bei der Tarifstruktur-Reform sollte es aus ihrer Sicht möglichst wenig Gewinner und dadurch auch möglichst wenig Verlierer geben.

Das geltende ElWOG biete eine gute Basis für die Neuregelung der Gebührenbelastung, so Schmidt. Denn das Gesetz sehe vor, dass das Systemnutzungsentgelt dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Systembenutzer, der Kostenorientierung und der weitestgehenden Verursachergerechtigkeit entsprechen müsse. Durch den aktuellen Trend werde dieses Prinzip aber nicht abgesichert: Wer Strom selbst produziere, zahle heute aufgrund der überwiegend von der verbrauchten Menge abhängigen Netztarife weniger für die Nutzung des Stromnetzes. Diese entfallenden Erlösanteile müssten von jenen Haushalten mitbezahlt werden, die selbst keinen Strom produzieren - entweder weil sie es sich nicht leisten können oder weil sie aufgrund der örtlichen Situation keine Möglichkeit haben. Erste Verschiebungen bei der Netzfinanzierung seien schon sichtbar, in einigen Jahren könnten sie aber spürbare Ausmaße annehmen und die Energiewende gefährden. (apa)