Energieversorgung : Ökostrom: Warum die Energiewende auf sich warten lässt

Hinter dem Elbdeich bei Cuxhaven drehen sich Dutzende riesige Windräder in der steifen Nordseebrise. Andreas Dangl ist fasziniert, als er Anfang der 1990er Jahre im Sommerurlaub eher zufällig auf den deutschen Windpark stößt. „Das wollte ich auch in Österreich“, beschreibt der Vorstandsvorsitzende der Waldviertler WEB Windenergie seinen ersten Kontakt mit dem Alternativstrom. Vom seinem ersten, mit Freunden finanzierten 225-Kilowatt-Windrad in Michelbach bei St. Pölten ist Dangl heute weit entfernt. Die WEBWindenergie, die aus dem Kampf um die Windmühlen in Niederösterreich erwuchs, hat heute 5.000 Aktionäre, betreibt 135 Windräder, drei Wasserkraftwerke und vier Photovoltaik-Anlagen in Österreich, Deutschland, Frankreich, Italien, Tschechien und Bulgarien. Die Ausbeute 2010: 444.000 Megawattstunden oder Strom für 150.000 Haushalte. Heuer wird in Österreich und Frankreich ausgebaut, 2012 will Dangl den ersten Windpark in Kanada errichten: „Da gibt es gar keine Anrainer mehr, weil der nächste Nachbar 40 Kilometer weit weg ist.“ Die Ökostrombranche prosperiert, weil auch etablierte Energieversorger das Geschäft mit dem sauberen Strom für sich entdecken. Wolfgang Anzengruber, Verbund-Chef und Präsident des Branchenverbandes Österreichs Energie, glaubt, dass acht Milliarden Kilowattstunden zusätzlich aus erneuerbaren Energien zu gewinnen seien, das entspricht elf Prozent des heutigen Stromverbrauchs. Christian Schönbauer, Ökoenergie-Experte der Regulierungsbehörde E-Control, ist skeptischer. Er sieht die Ökostromproduktion selbst in Hochsubventions-Ländern wie Österreich oder Deutschland maximal um ein bis eineinhalb Prozent pro Jahr wachsen: „Mehr wird auch in Zukunft nicht darstellbar sein – aber das deckt nicht einmal den Verbrauchszuwachs von zwei Prozent in Jahren ohne Wirtschaftskrise.“ Fossil schlägt nuklear.Die japanische Nuklear-Havarie in Fukushima konterkariert den Öko-Boom sogar. Den deutschen Stopp von sieben alten Atommeilern kann der europäische Strommarkt locker nicht so ohne weiteres verkraften, sagt Anzengruber: „Das ganze System wird sich neu aufstellen müssen.“ Gehen damit doch 30 Milliarden Kilowattstunden Jahresleistung (oder 5 Prozent des deutschen Stromverbrauchs) vom Netz. Fossil schlägt nuklear: „Das ist realistisch nur substituierbar mit Gaskraftwerken.“ EU-weit werden dann thermische Kraftwerke mehr Kohlendioxid in die Luft blasen, weil sie den Ausfall kompensieren müssen. Erneuerbar statt Atom geht auch, dauert aber mindestens 15 Jahre, glaubt Anzengruber. Österreich ist dank seiner fluss- und gefällereichen Geographie ohnehin im Vorteil: Mehr als die Hälfte des heimischen Stromverbrauchs stammt aus Wasserkraft, 3,8 Prozent aus Biomasse und 3,6 Prozent aus Windkraft; andere erneuerbare Energieträger (wie Sonnenenergie oder Geothermie) kommen auf einen Anteil von 1 Prozent am Strom-Mix. Elf Prozent des Stroms im öffentlichen Netz sind mit insgesamt 340 Millionen Euro pro Jahr geförderter Ökostrom. „Damit liegt Österreich sicher unter den Top-4 der EU“, schätzt Schönbauer. Um die Förderungen, ohne die nur Strom aus Wasserkraft halbwegs marktfähig ist, wird alle Jahre wieder herzhaft gestritten. Betreiber alternativer Anlagen wünschen sich möglichst hohe Subventionen unter dem Titel Investition in eine nachhaltige Energieversorgung, Politiker stehen unter dem Diktat der leeren Kassen eher auf der Bremse. Förderung für ineffiziente Technologie.Allerdings wird ein Gutteil der Förderungen in ineffizienten Technologien versenkt: Nach dem aktuellen Entwurf des Ökostromgesetzes sollen jährlich neun von insgesamt 30 Fördermillionen für Neuanlagen für Biomasse und –gas reserviert werden. Wofür E-Control-Experte Schönbauer kein Verständnis hat: „Anlagen, in denen Biomasse verstromt wird, brauchen wegen des geringen Wirkungsgrades ewig Förderungen und können ohne Subventionen nicht einmal die Betriebskosten abdecken.“ In Zahlen: Biomasse verbraucht jedes Jahr insgesamt rund 160 Millionen Euro Ökostrom-Fördermittel, Windkraftanlagen bei fast der gleichen Stromproduktion 50 Millionen. Andreas Dangl glaubt, dass Windenergie demnächst vom staatlichen Fördertropf weg sein könnte: „2015 wird es so weit sein. 2008 waren wir wegen des hohen Ölpreises schon nahe dran.“ Fortsetzung auf Seite 2: Die negativen Folgen des Wind- und Wasserbooms.
Etablierte Energieversorger setzen hauptsächlich auf Wasser und Windkraft. Der niederösterreichische Landesversorger EVN etwa will bis 2020 4,5 Terawattstunden aus erneuerbaren Energieträgern erzeugen, drei Mal so viel wie heute. „Dafür investieren wir in den nächsten drei bis acht Jahren in Österreich bis zu 800 Millionen Euro“, steckt EVN-Sprecher Stefan Zach den Rahmen ab. Zwei Windparks in Statzendorf und Markgrafneusiedl um 60 Millionen Euro gehen heuer ans Netz. Bei der Wasserkraft setzt EVN auf Effizienzsteigerung vorhandener Kraftwerke und kleinere Neubauten an Ybbs, Erlauf und Kamp. „Wir denken auch kleinere Pumpspeicherkraftwerke im Donautal an“, sagt Zach. Was aber wegen der fünf- bis achtjährigen Vorlaufzeiten Zukunftsmusik ist. Die richtig großen Projekte finden im Ausland statt – in Albanien errichtet EVN gemeinsam mit dem Verbund am Fluss Ashta ein Laufkraftwerk und mit der norwegischen Statkraft am Fluss Devol eine Reihe von Speicherkraftwerken, andere an der bulgarisch-türkischen Grenze mit dem staatlichen bulgarischen Versorger Nec. Wüstenstrom 2050.Abseits des fossilen Kerngeschäfts streckt auch OMV zaghaft ihre Fühler in Richtung Ökostrom aus. Nicht immer freiwillig, wie etwa bei der 45 Millionen Euro teuren Abwärmenutzungsanlage der OMV Gas & Power-Gasverdichterstation in Weitendorf, die heuer in Betrieb geht. „Ihr Bau war eine Auflage für den Bau, der wir nachgekommen sind“, erläutert OMV-Sprecher Sven Pusswald. Bei Vollbetrieb der Gaskompressoren kann Strom für rund 28.500 Haushalte erzeugt werden. Im rumänischen Dorobantu errichtet die OMV-Tochter Petrom – ohne behördlichen Zwang - gerade den ersten Windpark des Konzerns, der ebenfalls heuer ans Netz gehen soll. Das Tempo bleibt eher gemächlich: „Weitere Projekte gibt es derzeit nicht“, so Pusswald „aber die Kombination mit Erdgaskraftwerken macht Windkraft für uns interessant.“ Die Zukunft jenseits von Öl und Gas wird bislang eher konzeptionell bearbeitet: Seit 2010 ist OMV assoziierter Partner der Desertec Industrial Initiative. Das Konsortium aus europäischen Industrieunternehmen, Banken und Energieversorgern beschäftigt sich mit der großflächigen Nutzung von Sonnen- und Windenergie in den Wüsten Nordafrikas. Wichtigste Aktivität der letzten Zeit: Die Eröffnung eines Büros in Tunis. OMV bringt Know-how im Leitungsbau und Kenntnisse des nordafrikanischen Lokalkolorits ein. Konkretes Geschäft gibt es noch keines – der Umsatzplan des Desertec-Konsortiums reicht bis ins Jahr 2050 Negativer Strompreis.Die Expansion der Ökostrom-Kapazität zeitigt auch schon unerwünschte Nebeneffekte. Ein großes Angebot, dem die zeitgleiche Nachfrage fehlt, beschert den Strombörsen bisweilen negative Spotpreise von 500 Euro pro Megawattstunde und mehr. Zu einem solchen Zeitpunkt müsste eigentlich der Erzeuger für das Verursachen von Überproduktion bezahlen. Seit 1. Juli 2008 gab es in Österreich insgesamt 106 Stunden lang negative Strompreise. Die bisher längste Periode zu Weihnachten 2009 dauerte elf Stunden am Stück. Tendenz vermutlich steigend, wenn wie geplant in den nächsten Jahren Windpark um Windpark ans Netz geht. „Das ist schon ein Alarmzeichen dafür, dass diese Förderprogramme nicht völlig abgehoben von der Nachfrage nach dem Produkt Strom entwickelt werden dürfen“, sagt Walter Boltz, Vorstand der E-Control. Fortsetzung auf Seite 3: Hält der Netzausbau mit neuer Ökostrom-Kapazität Schritt?
Die Ökostrom-Nahversorgung braucht vor allem leistungsfähige Netze, weil die Produktion stark schwankt. Pumpspeicherkraftwerke verwenden akut nicht benötigten Wind- (oder Atom-)strom zum Pumpen des Wassers in ihre Speicherseen. Österreich hat aktuell etwa 7.000 Megawatt installiert, Tendenz steigend. Versorger von Verbund bis Tiwag planen neue Pumpspeicherkraftwerke. Dafür fehlt allerdings noch einiges an Infrastruktur. In ganz Europa wären rund 35.000 Kilometer neue Leitungen notwendig, um beispielsweise aus den gerade entstehenden Offshore-Windparks in der Nordsee Strom zu Verbrauchern im Süden oder Speicherkraftwerken im Gebirge zu bringen. Kostenpunkt: 25 Milliarden Euro. Heinz Kaupa, Vorstand der Verbundtochter Austrian Power Grid, beschreibt die Dimension:„2010 waren über 80.000 Megawatt Windkraft installiert, 2020 sollen es mehr als 200.000 Megawatt sein. Mit dieser Entwicklung müssen wir Schritt halten.“ Der Masterplan der Mutter Verbund sieht bis 2020 für den Ausbau der Übertragungsleitungen eine Milliarde Euro vor. Zu wenig, zu spät.Wenig und spät, kritisiert Windkraft-Pionier Andreas Dangl: „Seit der Strommarktliberalisierung 2001 haben die Versorger kaum in die Infrastruktur investiert.“ Europas große Energiekonzerne müssten dringend umdenken: „Sie tun sich schwer damit, in Richtung kleinerer, verbrauchsnäherer Anlagen zu gehen.“ Die einen Vorteil hätten: Man bräuchte nicht ganz so viele riesige Hochspannungstrassen kreuz und quer durch Europa zu ziehen und fast überall hinhaltenden Widerstand von Bürgerinitiativen überwinden. Dafür müsse man in Kauf nehmen, dass nicht jede Ökostromerzeugung hocheffizient sein könne, zum Beispiel Windparks in Ungunstlagen weniger Ertrag bringen – und die ertragsschwächeren etwas höher subventionieren. „Aber das ist sicher billiger, als um eine Nord-Süd-Höchstspannungsachse zu kämpfen“, sagt Dangl. Außerdem: „Die Abnahme schwankte immer schon, und die Energieversorger haben gelernt, damit umzugehen.“ Jetzt müsse man das Gleiche eben bei der Einspeisung lernen. Die alternativen Versorger wollen ihr Scherflein beitragen – Dangl hat schon in ein Unternehmen investiert, das neue Konzepte für Pumpspeicherkraftwerke entwickelt. „Die kann man auch ohne Staumauern dezent und Umwelt schonend in den Berg hineinbauen.“ Fortsetzung auf Seite 4: Was aus dem Industriedeckel der Ökostromförderung wird.
Energieintensive Industrieunternehmen , die für Ökostrom mehr als 0,5 Prozent ihres Nettoproduktionswertes bezahlt haben, durften für 2008 bis 2010 bei der Finanz eine Energieabgabenrückvergütung beantragen.Sie bekamen von der abwickelnden E-Control bis zu 500.000 Euro pro Unternehmen zurück. Für 2008 wurden Großverbrauchern rund 35 Millionen Euro erstattet. Diesen „Industriedeckel“ kippte die Europäische Kommission im März wegen Verstoßes gegen das EU-Beihilfenrecht. Repariert werden soll der EU-Rüffel in der aktuellen Novelle des Ökostromgesetzes. Künftig sollen Förderungen nicht mehr wie bisher vorwiegend über Verrechnungspreise finanziert werden, bei denen die Energieversorger den Öko-Mehraufwand (0,4 bis 0,6 Cent pro Kilowattstunde) an die Endabnehmer weiterreichen. Stattdessen werden die Stromkunden einen prozentuellen Zuschlag auf die Netzinfrastrukturkosten zahlen. Der Industriedeckel würde so durch die Hintertür wieder eingeführt: Großabnehmer haben bezogen auf den Kliowattstunden-Preis niedrigere Netzkosten als Kleinverbraucher. Laut Energieminister Reinhold Mitterlehner geht sich so eine Kostenersparnis in Höhe des ursprünglichen Deckels aus. Maike Seidenberger