IT und Produktion : Die Drehscheibe Mensch in der Produktion von morgen
Auf einmal setzt der Motor des Gabelstaplers aus. Doch der Servicetechniker kommt nicht. Denn er ist schon da. Kaum steht der Gabelstapler still, geht in der Datenbrille des Fahrers ein kleines Fenster auf und der Fahrer kann den Servicemann nicht nur hören, sondern auch sehen. Der Servicemann wiederum erkennt auch aus der Ferne, was mit dem gestrandeten Fahrzeug los ist. Ein paar Anweisungen später ist der Stapler wieder fahrtüchtig und die Arbeit im Zentrallager von Bechtle Logistik kann weitergehen. Während der Fahrer vorsichtig ein großes Paket aus dem obersten Regal holt, widmet sich der Techniker bereits seiner nächsten Aufgabe. Gut möglich, dass das Fahrzeug, das er nun flott machen soll, Hunderte von Kilometern weit weg ist. Oder gleich um die Ecke.
Mehr Kontrolle
"Die Möglichkeit, mit Hilfe von Datenbrillen und entsprechender Software lange Wege von Technikern einzusparen, ist nur ein Mosaiksteinchen aus dem großen Gebäude Fabrik der Zukunft", sagt Christoph Kränkl, Director Sales Industry bei SAP Österreich. Doch es ist ein Mosaiksteinchen, das gut zeigt, wie tiefgreifend die Veränderungen bereits sind. Und ein Mosaiksteinchen, das beweist, wie viele Facetten es dabei gibt. "Natürlich profitieren Unternehmen davon, wenn ein Techniker, der viel Geld kostet, seine Zeit nicht im Auto oder im Flugzeug versitzt, sondern die Kunden von einem Standort aus betreuen kann", sagt Kränkl. "Auf der anderen Seite ist das für den Techniker selbst auch ein Vorteil. Denn anstatt tagelang unterwegs zu sein, kann er bei Dienstschluss nach Hause gehen."
Dass mehr Vernetzung auch mehr Kontrolle des Einzelnen durch den Arbeitgeber bedeutet, streitet Kränkl nicht ab. Meist überwiegen allerdings für die Mitarbeiter die Vorteile, wenn die Fabrik der Zukunft Wirklichkeit wird.
Im Hafen der Zukunft
Der Hamburger Hafen ist kein Ort, wo es zu viel Platz gäbe. Er ist so lange größer geworden, dass am Ende alle Flächen, die irgendwie verwendbar waren, auch verwendet wurden. Sich physisch noch mehr auszuweiten, geht heute nicht mehr. Das Aufkommen der in Hamburg umgesetzten Container steigt dennoch beinahe von Tag zu Tag. Neun Millionen Standardcontainer pro Jahr werden heute abgefertigt, in zehn Jahre sollen es Prognosen zufolge beinahe drei Mal so viel sein. "Weil unser Platz sehr begrenzt ist, suchen wir neue Wege, um diesen Zuwachs zu bewältigen. Und da setzen wir vor allem auf IT-Lösungen", sagt Sascha Westermann vom Verkehrsmanagement des Hafens.
Die Lösungen, von denen Westermann spricht, sind ein weiteres Beispiel dafür, dass mehr Technik nicht zwingend weniger Mensch bedeuten muss. Im Wesentlichen basieren sie darauf, dass Verkehrsparameter, die teils über Sensoren, teils über Leitsysteme, manchmal auch von Hand in das System eingespeist werden, über die SAP HANA Plattform integriert werden und die Verkehrsströme im Hafen optimieren: "Da kann es sein, dass der Lkw-Fahrer per Display die Anweisung bekommt, in einen bestimmten Streckenabschnitt erst gar nicht einzufahren, weil dort sonst ein Stau entsteht. Oder weil man weiß, dass eine bewegliche Brücke in den nächsten Minuten gesperrt sein wird", sagt Kränkl. Statt im Stau zu stehen, kann der Fahrer solche Pausen dann für sich nutzen, etwa um einen Kaffee zu trinken.
Realtime macht's möglich
Dass eine solche Steuerung überhaupt möglich ist, liegt am wohl größten Game-Changer, den es im Umfeld der Smarten Fabrik bislang gegeben hat: der Möglichkeit, nicht nur unglaublich viele Daten zu verarbeiten, sondern das auch in Realtime zu tun. Für ein hochdynamisches System wie der Verkehr im zweitgrößten Hafen Europas es ist, eine unabdingbare Voraussetzung. Besonders bequem ist es für die Logistiker im Hamburger Hafen, dass die Daten dabei aus der Cloud kommen. Damit ersparen sie sich die Pflege und Wartung von unzähligen Servern und können auf ihre Kernkompetenz fokussieren: den Transport von Gütern.
Damit das System allerdings wirklich funktioniert, ist noch ein anderer Baustein notwendig: Hochkomplexe Datenstrukturen müssen in einfache, intuitiv zu bedienende Oberflächen übersetzt werden. Im optimalen Fall soll der End-User erst gar nicht merken, wie kompliziert das System ist, das er verwendet. Und: Die Oberflächen sollen rollenangepasst sein. Jeder soll exakt das finden, was er für seine Arbeit benötigt – nicht weniger, aber auch nicht mehr. Eine Aufgabe, die man bei der SAP für zentral hält. Wie das gelingen kann, darüber wollen SAP, Festo, Phoenix Contact und die Sick AG auch im Rahmen des Industry.Tech15-Kongresses erörtern, der am 22. und 23. September in Zell am See über die Bühne geht.
Noch individueller
Klar ist allerdings heute schon: Daten so zu strukturieren, dass auch der Nichtfachmann die Vorteile von Industrie-4.0-Entwicklungen nützen kann, ist ein Gebot der Stunde. Denn zum einen kann die Smarte Fabrik nur dann zu mehr Zufriedenheit bei den Mitarbeitern führen, wenn sie auch in ihrer Bedienung smart ist, und zum anderen hat das sogenannte Internet der Dinge längst auch den Endverbraucher erreicht. Und der braucht erst recht einfache Oberflächen.
Dass der Endnutzer schon heute bestimmte Produkte per App oder Web individualisieren kann, noch bevor die Produktion überhaupt begonnen hat, ist der Beginn einer Entwicklung, die die Software, die hinter der Smarten Fabrik steht, noch gewaltig herausfordern wird. Denn die Vielfalt von Produktvarianten, die sich im manchen Branchen praktisch von Jahr zu Jahr verdoppelt, muss einerseits so dargestellt werden, dass sie für den Bediener überschaubar bleibt, gleichzeitig müssen aber auch die sich daraus ergebenden Folgen für die Produktion möglichst einfach gesteuert werden.
Leicht steuerbar
Für Christoph Kränkl ist damit jene entscheidende dritte Stufe erreicht, die fast jede technische Entwicklung durchlaufen muss: "Am Anfang einer technischen Entwicklung sind die Lösungen primitiv, weil man es nicht besser kann. Dann werden sie immer komplexer, und irgendwann geht es darum, die Komplexität wieder zu vereinfachen oder besser gesagt: sie wieder nutzertauglich zu machen. Im Umfeld von Industrie 4.0 ist das die große Herausforderung für die Zukunft."
Im Denken vieler Software-Entwickler ist das Wissen um diese Herausforderung bereits spürbar. Gab es früher fast unüberwindbare Gräben zwischen einzelnen Programmiertraditionen, so holen sich die Programmierer heute aus jeder Tradition die Bausteine, die sie für die Bewältigung einer konkreten Aufgabe am besten brauchen können. Mehr als Treue zu einem bestimmten System zählt inzwischen der übergeordnete Gedanke, die Fabrik der Zukunft so leicht steuerbar zu halten wie nur irgendwie möglich.