Stahlmarkt : Cognor Stahlhandel: Entscheidung bis Jahresende?

Cognor
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Das Gelände am Stadtrand von Wels wirkt gespenstisch leer. Die Rollläden der LKW-Zufahrt von Bogner Edelstahl, seit Wochen geschlossen, rosten vor sich hin. Die notdürftige Kunststoffabdeckung der Verladestation ist längst eingerissen und flattert im Wind. Die Maschinen sind abtransportiert. Sie sägen jetzt Bleche in den Werken eines Mitbewerbers im tschechischen Olmütz und im slowakischen Senec. Ein Schild an der Zufahrt erinnert an bessere Zeiten: „Im Zusammenhang mit der Wachstumsfinanzierung dient dieses Warenlager als Sicherungseigentum.“ Und darunter, in alphabetischer Reihenfolge, die lange Liste der Pfandgläubiger.Konsolidierungswelle Insgesamt 132 Arbeitnehmer haben mit der Liquidation der Bogner Edelstahl Ende Oktober ihren Job verloren. Die Insolvenz markiert den Beginn einer Konsolidierung am heimischen Stahlmarkt, die längst nicht vorüber ist. Der Handel, das Groschengeschäft an der untersten Sprosse der Stahl-Nahrungskette, leidet am stärksten unter der herrschenden Überkapazität am Markt. Zwar fahren die europäischen Stahlwerke angesichts der Absatzkrise reihenweise ihre Hochöfen herunter (siehe Teil 7 dieses Artikels). Doch selbst wenn dadurch die Margen wieder steigen würden, dürfte dies für so manchen Händler am wettbewerbsintensiven österreichischen Markt zu spät kommen. Im Mittelpunkt von Gerüchten Das schwer defizitäre Traditionsunternehmen Cognor Stahlhandels GmbH, ehemals voestalpine Stahlhandel, mit rund 125.000 Quadratmetern Lagerfläche und fast 500 Mitarbeitern einer der ganz großen Player in Österreich, steht derzeit im Mittelpunkt vieler Gerüchte: Der Eigentümer von Cognor, der russische Stahlkonzern Mechel OAO, bietet (INDUSTRIEMAGAZIN berichtete exklusiv) seine gesamte europäische Handelssparte (und damit auch die Österreich- und Osteuropa-Tochter Cognor) seit September zum Kauf an. Interessenten dürften, wie von Cognor inoffiziell zu hören ist, nach der Absage von ThyssenKrupp keine existieren. Rafft die Konsolidierung am Markt mit Cognor jetzt den Nächsten dahin? Teil 2: Die Finanzierungskosten steigen

Die Zukunftsperspektiven für Cognor waren schon seit 2007 nicht besonders rosig. Welch traumatisches Erlebnis die damals erfolgte Abtrennung der Handelssparte der voestalpine vom Mutterkonzern für die Handelstochter jedoch tatsächlich würde, war kurz vor der Wirtschaftskrise noch nicht allen im Handelshaus klar: Der polnische Stahlhandelsriese Zlomrex, der in zwei Schritten 2007 und 2008 den Stahlhandel übernahm, erwarb mit dem Deal ausgerechnet die konjunktursensibelsten Teile der ehemaligen Handelssparte: Die reichlich groß dimensionierte Distribution in Österreich und Osteuropa. Finanzierungskosten steigen Die voestalpine behielt dagegen die größten Teile der Wertschöpfung, wie etwa die Servicecenter, in denen Stahl angearbeitet wird. Fast noch wichtiger jedoch in den Jahren nach der Finanzkrise war die schlagartig verschlechterte Finanzierungssituation: Abgeschnitten von der finanziellen Potenz der Mutter – und einem internen Finanzierungszinsfuß von unter zwei Prozent – musste man im Handelshaus jetzt die kapitalintensiven Lagerbestände mit fast acht Prozent Zinsen am Markt finanzieren. Zwischenlösung? Was im Rückblick als wenig gelungener Schritt in die neue Zukunft hätte gelten können, verschärfte sich durch die neuen Eigentumsverhältnisse: Der neue Mutterkonzern Zlomrex war für die Finanzierung eher Mühlstein als Heliumballon: „Die Polen waren bereits bei der Übernahme stehend k.o.“, erzählen Mitbewerber übereinstimmend.Mit dem Zukauf von veralteten Stahlwerken – und Schwierigkeiten beim Schrotthandel – hatte sich die polnische Mutter von Cognor 2008 eine blutige Nase geholt. Insider vermuteten schon damals: Der Verkauf an Polen sei nur eine Zwischenlösung gewesen. Der Stahlproduzent voestalpine hätte seine Handelstochter nie direkt an einen Mitbewerber verkauft – zuletzt hätte allerdings nur noch Zlomrex Interesse am voestalpine Stahlhandel gehabt. Teil 3: Mechel übernimmt - aber ist das die Lösung?

Ende 2009 verschärfte sich die Situation für Cognor. Das Bankenrating der Linzer wird dramatisch gesenkt – und die Kreditinstitute, allen voran die Raiffeisengruppe, fahren Bankgarantien zurück, die als Voraussetzung für den kapitalintensiven Lagerbestand gelten. In Linz steht man vor dem Abgrund: Für einen unabhängigen Stahlhersteller ist man zu groß. Und zu teuer finanziert, immerhin mussten große Läger unterhalten werden. Für einen herstellerabhängigen Händler fehlte indes Entscheidendes: Ein Eigentümer mit Stahlproduktion. Mechel übernimmt Ein solcher wäre Mechel, jener riesige Koks- und Stahlkonzern, der gerade dabei ist, ein westeuropäisches Handelsnetz aufzubauen. Mechel verspricht Zugang zu riesigen Stahlkapazitäten ohne Finanzierungsvorbehalte. Über zwei Beteiligungsvehikel namens EFF eins und EFF zwei werden der heimische Stahlhändler Cognor und seine Osteuropa-Töchter in die Mechel Industrial Services BV mit Sitz in Holland eingegliedert. Was damals noch keiner ahnen konnte: Der Vorteil – Zugang zur nahezu unerschöpflichen Stahlproduktionsquelle – wandelt sich binnen weniger Monate zum Nachteil. Russische Lieferungen ohne Bestellung Denn Mechel will Marktanteile gewinnen. Immer größere Mengen russischen Stahls werden ohne Gewinn in den europäischen Markt „gedrückt“, wie Mitbewerber berichten. In Westeuropa stapelt sich unverkaufter Mechel-Stahl: So sollen alleine in Antwerpen riesige Mechel-Lagerbestände von über 100.000 Tonnen auf Absatz von den europäischen Handelstöchtern (darunter prominent: Cognor) warten. Ein ähnliches Bild im Kremser Hafen: Rund viertausend Tonnen Mechel-Stahl liegen dort auf Halde. Teil 4: Mechel hat selbst Finanzierungsprobleme

Doch die Versorgung durch Mechel offenbart auch weitere Schwächen. Der neue Mutterkonzern von Cognor produziert nicht alle Sorten selbst – und angesichts geringer Margen fällt es den Linzern zunehmend schwerer, fehlende Qualitäten zur Abrundung der Produktpalette in Italien oder Polen zuzukaufen. Das Sortiment der Linzer konzentriert sich immer weiter: „In den Lägern sind nur noch ein Drittel der Dimensionen lagernd. Aber in so hohen Mengen, dass sie nur durch extreme Preisnachlässe abgesetzt werden können“, erzählt ein Insider. Ein wenig nachhaltiger Zustand, wie man im September auch in Moskau zu erkennen scheint: Hat die Strategie, in Westeuropa ein (schwer defizitäres) Handelsnetz zu unterhalten, noch Zukunft? Banken setzten Mechel zu Im September dann die Entscheidung. Die gesamte europäische Handelssparte Mechel Industrial Services (und damit auch Cognor) soll "deinvestiert" werden, wie es gegenüber INDUSTRIEMAGAZIN heißt. Die Entscheidung von Mechel, sich von den defizitären europäischen Handelstöchtern zu trennen, dürfte auch auf Druck der Banken zustandegkommen sein. Erst vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass der Stahl- und Kokskohlekonzern Mechel OAO, im Mehrheitsbesitz des russischen Oligarchen Igor Sjusin, offenbar massive Finanzierungsprobleme hat. Eine Anleihenrückzahlung in der Höhe von 409 Millionen Dollar, die eigentlich für Dezember vorgesehen war, wurde vor wenigen Tagen auf Juli 2013 verschoben. Statt 6,5 Prozent Zinsen bezahlt der Konzern jetzt über eine neue Kreditkonstruktion 11,88 Prozent Zinsen, wie Finanzmedien berichten. Mechel fährt Kapazitäten zurück Außerdem fährt der russische Stahlgigant jetzt auch massiv Produktionskapazitäten zurück. So wurde Ende November die Metallhütte Donezk (Ukraine) und einige rumänische Hochöfen, wie die Elektroschmelzöfen in Targoviste und in Rosu stillgelegt. Teil 5: Übernimmt Evraz? Oder ein chinesischer Stahlproduzent?

Nicht erst seit bekannt wurde, dass der Cognor-Mutterkonzern in Finanznöten ist und Kapazitäten zurückfährt, brodelt die Gerüchteküche. Finanzmedien berichten, dass sich Mechel-Mehrheitseigner Igor Sljusin gegenüber den Banken verpflichtet hat, die Schulden des Unternehmens binnen Jahresfrist dramatisch herunterzufahren. Der Verkauf der europäische Handelstochter bis zum Jahresende dürfte ein erster, wichtiger Schritt zum Ziel sein. Doch an wen könnte der Stahlkonzern sein europäisches Handelsunternehmen verkaufen? Ein Verkauf des Europageschäftes in Bausch und Bogen an ein anderes Handelsunternehmen gilt aus ausgeschlossen. Als Käufer käme nur ein großer Stahlproduzent selbst in Frage, der sich damit die Wertschöpfungskette verlängert. Gerüchte Könnte vielleicht, wie es heißt, ein chinesischer Anbieter an dem gesamten europäische Handelsnetz von Mechel interesse haben? Das klingt nicht ganz unplausibel: Die Überkapazitäten chinesischer Hersteller sind – bezogen auf die Gesamtgröße des Marktes – noch größer als in Europa. Die Versuchung daher groß, die europäische Marktbereinigung auszunutzen. Übernimmt Evraz? Aber auch eine andere Fama kursiert. Das gesamte europäische Handelsnetz soll einfach nur den Oligarchen wechseln – um einen Dollar. Kann es sein, dass Alexander Abramovs Stahlkonzern Evraz an Mechels Handelsnetz interessiert ist? Das dürfte weniger wahrscheinlich sein: Der Stahlkonzern des Chelsea-Eigentümers Abramov fährt ebenfalls die Kapazitäten zurück und ist noch weitaus höher verschuldet als Mechel. Im November kündigte das an der Londoner Börse notierte Unternehmen zudem an, durch umfassende Veräußerungen von Unternehmensteilen die Schuldenlast des Unternehmens (derzeit rund sechs Milliarden Euro) dramatisch senken zu wollen. Teil 6: Wie wahrscheinlich ist ein Bogner-Szenario?

Die weitaus höchste Wahrscheinlichkeit hat wohl die Theorie, dass die Einzelteile der Mechel Service Global B.V. (sie ist in den Niederlanden domiziliert) en Detail angeboten werden. Die heimische Cognor Stahlhandels GesmbH (und deren Töchter in Osteuropa) dürften dabei eher die Ladenhüter sein. Verlustträchtiger als viele anderen europäischen Töchter, geben Mitbewerber dem Handelshaus einem Überleben im Szenario Einzelverkauf keine Chance. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass das jemand kauft“, meint ein Mitbewerber. „Die Versorgung mit Stahl für die heimische Industrie ist übererfüllt – und einen Kundenstock kauft man da ohnehin nicht mit“, so ein anderer. „Am wahrscheinlichsten ist ein Bogner-Szenario“ sagt ein Dritter. Im Klartext: Kauf der Maschinen und des Lagers – und die Insolvenz. Noch ist das Gelände am Stadtrand von Linz nicht gespenstisch leer. Teil 7: In Europa erlöschen die Hochöfen

- Anfang 2012 ArcelorMittal schließt 9 seiner 25 Hochöfen in Europa, darunter das belgische Ougrée und Seraing, das deutsche Eisenhüttenstadt. - Anfang August 2012 ThyssenKrupp kündigt drei Monate Kurzarbeit für seine Werke im Ruhrgebiet an. - 17. August 2012 Riva schließt das Riesenwerk im italienischen Ilva, das jährlich 8,5 Millionen Tonnen Stahl produziert. - 5. Oktober 2012 ArcelorMittal schließt einen weiteren Hochofen im lothringischen Florange. - 3. November 2012 Kurzarbeit bei ThyssenKrupp wird für 1700 Mitarbeiter verlängert. - 15. November 2012 Der indische Stahlproduzent Tata Steel will in Großbritannien im Zuge einer Umstrukturierung der Produktionswege 12 Standorte schließen und insgesamt 900 Stellen streichen. Betroffen ist hauptsächlich ein Werk in Port Talbot in Wales, weitere Standorte in England werden auch geschlossen.