EU-Grünbuch : Bilanzprüfung: Hochgradig dysfunktional
Michael Gschrei legt sich seit Jahren mit den Größen seines Faches an. Ziel der Attacken des streitbaren Wirtschaftsprüfers und Steuerberaters sind die Zustände in seiner Branche – und, dass die vier multinationalen Mitbewerber KPMG, Ernst&Young, Deloitte und PwC, diese Mißstände noch befördern. „Die Schaffung unseres Berufsstandes war in den 30er Jahren die Antwort auf die Bilanzfälschungen im Vorfeld der Weltwirtschaftskrise“ sagt Gschrei. Doch die Branche habe, getrieben von den „Big Four“, bei ihrer Aufgabe völlig versagt. Da wurden ungeprüft Papiere als Sicherheiten abgenickt. Blind Checklisten abgearbeitet. Und aus Textbausteinen am Fließband wertlose Prüfberichte produziert. „Es erstaunt nur Laien, dass 2007 mit hoch bezahlten Wirtschaftsprüfern exakt dasselbe möglich war, wie in den 20er Jahren ohne sie“ sagt Gschrei. Grünbuch. Lange Jahre stand Gschrei mit seiner vernichtenden Kritik allein. Doch heute wird seine Auffassung selbst in Brüssel geteilt: Am 13. Oktober erschien das mit Spannung erwartete EU-Grünbuch zur Abschlussprüfung – eine Art Diskussionsgrundlage für künftige Regulierungsbestrebungen. Das Papier hat es in sich: Der Markt für Unternehmensprüfung sei, so die EU-Kommission, hochgradig dysfunktional. Da ist einerseits die Abhängigkeit der Abschlussprüfer von ihren Kunden: Bilanzprüfer kontrollieren die Bücher genau jener Unternehmen, die gleichzeitig potenzielle Abnehmer ihrer Beratungsleistungen sind. „Es ist unklar, ob Abschlussprüfer angesichts dieses Umfeldes wirklich kritisch handeln“ formuliert EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier diplomatisch. Und da ist der Verdacht, von einer Oligopolstellung zu profitieren: Die vier großen Prüfkonzerne haben in der EU einen Marktanteil von 70 Prozent und sind damit eigentlich „Too Big To Fail“. EU-Kommissar Barnier: „Die Prüfgesellschaften sind quasi systemrelvant. Ein Scheitern wie jenes von Arthur Andersen vor zehn Jahren wäre in seinen Auswirkungen heute vergleichbar mit der Lehman-Pleite.“ Zu groß zum Scheitern? Wie stark die Marktmacht der vier großen Prüfgesellschaften im vergangenen Jahrzehnt gewachsen ist, lässt sich in Österreich beobachten: Waren im Jahr 2000 weniger als die Hälfte aller ATX-Unternehmen Kunden der „Big Four“ – so werden heute mit Ausnahme von Mayr Melnhof und der Voestalpine alle großen Börsenunternehmen von KPMG, Deloitte & Co geprüft. Der Grund dafür ist simpel: Mit dem Bilanztestat einer lokalen Kanzlei ist der Zugang zum Kapitalmarkt mittlerweile fast unmöglich. Ob Unternehmensanleihe, Kreditaufnahme oder Aktienbegebung: Banken drängen international tätigen Unternehmen einen ihrer„Big Four“ auf. „Dabei werden dann auch noch Apothekerpreise verrechnet“ klagt ein Vorstand, der in diesem Zusammenhang nicht genannt werden will. Unternehmensprüfer sehen das naturgemäß anders. „Dass internationale Investmentbanken bei Kapitalmaßnahmen Präferenzen beim Prüfer äußern, muss man auch unter einem gewissen Versicherungsaspekt sehen“ sagt Helmut Maukner, Geschäftsführer von Ernst & Young in Österreich und Präsident des Instituts Österreichischer Wirtschaftsprüfer. Genau diesen Versicherungsaspekt sehen offenbar auch Aufsichtsräte – und zementieren damit die Macht der „Big Four“ weiter: Ängstliche Firmenkontrollore, die Haftungsprobleme fürchten, schlagen der Hauptversammlung im Zweifel lieber einen Prüfer der Marke KPMG, Deloitte, Ernst&Young oder PwC vor. Und diese nickt den Vorschlag ab. „Hier spielt sicher auch die Angst mit, dass, wenn etwas schief geht, ein Auswahlverschulden konstruiert werden könnte“ räumt Michael Schober, Partner der Deloitte Wirtschaftsprüfungs GmbH ein. Wachstum auf Kosten der Kleinen. Wen wundert es, dass die Prüf-Umsätze der derart mit Unfehlbarkeit geadelten „Big Four“ im Bereich Wirtschaftsprüfung (Details siehe Kasten) selbst im Krisenjahr 2009 nicht gefallen sind. Und das, obwohl gerade im Bereich Wirtschaftsprüfung derzeit die Preise purzeln. „Es herrscht derzeit vor allem im Bereich Prüfung ein immenser Preisdruck“ klagt Michael Schlenk, Partner bei der KPMG Alpen Treuhand GmbH – dem Marktführer in Österreich. In dem Verdrängungswettkampf dem immer mehr kleine Kanzleien zum Opfer fallen werden selbst für Teamleiter der „Big Four“ – deren Tagsätze noch vor zwei Jahren im fünfstelligen Bereich angesiedelt waren – oft nur noch 1400 Euro pro Tag bezahlt. Neulinge tauchen in den Honorarnoten der Prüfer ohnehin nicht mehr auf. Wurden Beraterteams früher quasi ‚ungschauter’ akzeptiert, so nehmen Auftraggeber die Zusammensetzung der Dienstleister heute genau unter die Lupe. „Mit der Verrechnung von Tagsätzen für Hochschulabsolventen braucht man Unternehmern heute nicht mehr kommen“ sagt ein Brancheninsider. Systemrelevantes Dumping. Das Dumping im Prüfgeschäft hat System: Denn ist erst einmal ein Prüfauftrag ergattert, schließen sich fast immer lukrative Beratungsaufträge an. „Beim Preis für eine Prüfung ist mittlerweile fast immer mitkalkuliert, dass Verluste über Beratungsleistung wieder reingeholt werden “ sagt der Brancheninsider. In der Branche findet man diese Verquickung nicht verwerflich: „Unternehmen wünschen sich den Rat der Fachexperten. Das tiefe Know How und Verständnis, das ein Prüfer über das Unternehmen hat, muss sich ein externer erst einmal erabeiten“ sagt Helmut Maukner, Ernst & Young-Mann und Wirtschaftsprüfer-Präsident. Interessenkonflikte seien, so Maukner, schon über das gesetzlich vorgeschriebene „Selbstprüfungsverbot“ ausgeschlossen. Das Verbot sieht vor, dass ein Prüfer keinen Sachverhalt prüfen darf, an dessen Entstehung er wesentlich beteiligt war. Doch abgesehen davon, dass das Selbstprüfungsverbot oft eher großzügig ausgelegt wird, bleibt die wirtschaftliche Abhängigkeit der Prüfer vom potenziellen Beratungsobjekt bestehen. Prüfer, die zu viele Fragen stellen oder sich zu kritisch in äußern, verlieren den Prüfungsauftrag – und brauchen auf ein Beratungsmandat gar nicht zu hoffen. „Wer will es sich schon mit dem Vorstand verscherzen, wenn mit ein bisschen Augenzudrücken ein Millionen-Euro-Consultingauftrag winkt?“ sagt der Insider. Lesen Sie auf Seite 2: Unternehmensprüfung: Das plant die EU-Kommission
Ängstliche Aufsichtsräte, die auf die „sichere Bank“ setzen, Prüfer, die auf fette Beraterhonorare hoffen und Vorstände, die sich damit nötigenfalls Wohlwollen erkaufen können: Wie es scheint, haben es sich alle Beteiligten in diesem Spiel ganz gemütlich eingerichtet. Wären da nicht die Wettbewerbshüter in Brüssel. Denn diese wollen diesen Klüngel aufbrechen: Angedacht wird da etwa, Beratungsdienstleistungen für Prüffirmen komplett zu verbieten. Damit würden reine Wirtschaftsprüfungsunternehmen geschaffen – ein Plan, der bereits um die Jahrtausendwende in den USA – halbherzig – verfolgt wurde. Im Jahr 2002 haben sich nach dem völligen Versagen der Prüfer von Arthur Andersen im Rahmen der Enron-Pleite fast alle Wirtschaftsprüfer von Ihren Beratungstöchtern getrennt. Doch der Mammon lockte: Nach den obligatorischen Jahren Konkurrenzverbot bauen KPMG, Ernst&Young und PwC seit einigen Jahren ihre Beratungsarme wieder auf. Heute umschlingen diese schon wieder den Markt: So macht etwa in Österreich das Beratungsgeschäft fast 20 Prozent des Umsatzes und (nach Schätzung von Experten) fast 50 Prozent des Gewinnes der Bilanzprüfer aus. „Kein Tabu“. Doch die Vorschläge aus Brüssel gehen weit über das wohl schmerzhafte Beratungsverbot für Prüfer hinaus: So könnte zukünftig eine Rotation der Prüfer vorgesehen werden. Bislang ist ein langjähriges Prüfverhältnis eher die Regel als die Ausnahme. Weiterer Punkt in der Liste der Grausamkeiten: Möglicherweise teilt zukünftig eine staatliche Instanz Prüfer zu (und bestimmt die Höhe deren Honorare). Oder eine staatliche Prüfbehörde wird geschaffen, die zukünftig die Prüfung und die Testate erteilt. „Während der Wirtschaftskrise sind gravierende Mängel im Abschlussprüfungssektor zutage getreten. Daher darf in der Diskussion kein Thema tabu sein“ stellt EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier den Prüfern die Rute ins Fenster. Prüfer-Roulette. Und diese Rute wirkt. „Man muß sich schon die Frage stellen, ist es wirklich gewünscht, dass ich mich als Unternehmer verwehren muss, wenn ich vom Fachexperten Wirtschaftsprüfer mehr wissen will?“ fragt Helmut Maukner, Partner beim Prüfunternehmen Ernst&Young. Und gibt sich sogleich selbst die Antwort: „Ich halte es für eine Verschwendung von Ressourcen, auf dieses Know How zu verzichten.“ Als Präsident des Instituts Österreichischer Wirtschaftsprüfer hat Maukner auch ein Herz für die Kleinen: „Gerade in mittelständischen Prüfunternehmen ist solch eine Abgrenzung auch organisatorisch gar nicht zu machen.“ Vom Prüfer-Roulette – der zufälligen Zuteilung der Kontrollore, wie sie etwa in Italien galt, als die betrügerischen Vorgänge bei Parmalat unerkannt vor sich gingen – hält man noch viel weniger. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich als Aufsichtsrat Freude hätte, wenn mir ein Prüfer zugelost werden würde“ meint KPMG-Mann Michael Schlenk. Unfehlbare Vier. Ganz sicher Freude machen würde den angesprochenen Aufsichtsräten jedoch ein wenig mehr Auswahl bei den weltweit agierenden Prüfern. Zumal das Angebot gerade in Großkonzernen durch die Beauftragung von „Big Four“-Beratern, die damit für die Prüfung ausfallen, oft auf lediglich einen oder zwei Anbieter zusammenschmilzt. Und genau darauf zielen auch die Vorschläge des EU-Grünbuches: So wird etwa vorgeschlagen, den Wettbewerb durch Doppelprüfungen von zwei unterschiedlich großen Prüfungsgesellschaften anzuheizen. Dies würde kleinen Kanzleien Möglichkeit zum Wachsen geben – und die Kontrolle verstärken. Zudem sind Auslauf- und Entflechtungspläne nach dem Vorbild der Bankentestamente angedacht. Wenn klar ist, was mit dem Geschäft eines globalen Riesen im Falle des Scheiterns passiert, würde, so die Hoffnung der EU-Kommission, das Risiko in das Geschäftsgebahren der scheinbar unfehlbaren Vier zurückkommen.