Digitalisierung : Die SVA erfindet sich neu

Das Ambiente passt zum angekündigten Umbau. Erst vor wenigen Tagen hat die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft – die SVA – ihr vorübergehendes Headquarter am Donaukanal bezogen. Obmann-Stellvertreter Alexander Herzog räumt ein, sich gelegentlich noch im Haus zu verlaufen, aber die generelle Richtung kann er benennen: „Wir wollen die erste voll digitalisierte Versicherung Europas werden.“

Als die SVA im Jahr 2016 das Programm „SVA 2020“ startete, war die Ausgangslage nur bedingt zukunftsträchtig. Auf knapp 20 Kilometer Länge summierte sich das haptische Akten-Archiv, mit starker Tendenz zur Verlängerung. Für eine Neuanmeldung mussten Kunden bis zu 15 ziemlich redundante Formulare ausfüllen, und die klassischen Öffnungszeiten kamen einer Klientel mit notorisch wenig Zeit ebenfalls nicht entgegen. Der Druck erhöhte sich nicht zuletzt infolge gesellschaftlicher Veränderungen. Alleine Neudefinitionen in den Pflegeberufen brachte der SVA über 60.000 neue Kundinnen und Kunden, die demografischen Entwicklungen kommen hinzu. „Die Versicherten werden immer mehr“, sagt Generaldirektor Hans Aubauer, „und sie werden auch immer anspruchsvoller. Wir müssen also dringend mehr Mitarbeiter für die Kundenbetreuung freispielen.“ Helfen mag auch, dass die Verantwortlichen die Welt der Privatwirtschaft kennen: Hans Aubauer hat unter anderem Accenture-Vergangenheit, Alexander Herzog ist selbstständiger Unternehmensberater.

Erste Ergebnisse des 2020-Programms werden für die SVA-Kunden seit Sommer 2017 sukzessive spürbar. So ist etwa die Anmeldung zur Versicherung komplett online durchführbar, können fotografierte oder gescannte Verordnungen und Arztrechnungen online eingereicht werden und über das Online-Beitragskonto sämtliche Informationen zu Beiträgen abgerufen werden. Das so genannte SVA-Dashboard bietet nach dem Einloggen alle wesentlichen persönlichen Daten auf einen Blick. Mitte 2018 soll eine App folgen, über die man etwa Arztrechnungen fotografieren und ohne Medienbruch an die SVA schicken kann. Sämtliche Online-Angebote, sagt Alexander Herzog, sind optional. Angepeilter Nutzungsgrad allerdings: 100 Prozent.

Kulturwandel

Das Konzept impliziert einen Kulturwandel nach innen wie nach außen. Wie im Bereich der Banken schon lange zu sehen, zielt auch das 2020-Programm der SVA letztlich auf selbstständige Kunden, die sich proaktiv um ihre gesundheitlichen Themen kümmern.

Spannender dürfte die Wirkung nach innen werden. Zwar ist Hans Aubauer kein negatives Wort über die bisherige Arbeitsweise zu entlocken, doch scheint naheliegend, dass die genialen „Stromberg“-Autoren nicht zufällig eine Versicherung als Setting gewählt haben. Die Papier-Akte, das Sinnbild von „Versicherung“, soll in der SVA bis 2020 verschwunden sein. Die Beschlagwortung des Posteingangs übernimmt bereits heute (noch im Testbetrieb) künstliche Intelligenz. Trefferquote: 93 Prozent und steigend. Die Landesstellen der SVA werden Shared-Service-Centers weichen. Dass die Mitarbeiter den von Hans Aubauer als „Menschen statt Akten“ definierten Wandel in Richtung Service vollziehen können, wird noch zu beweisen sein.

„Mitarbeiter freispielen“

Für das Digitalisierungsprojekt steht ein Budget von rund 15 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung. Hinterlegt mit einem Business Case, wie Alexander Herzog betont: „Wir können und wir wollen nicht so viele neue Mitarbeiter einstellen, wie wir angesichts des Kundenwachstums bräuchten. Die bestehenden Mitarbeiter freizuspielen, ist neben dem Servicegedanken auch definitiv kostengünstiger.“

A propos Mitarbeiter: Der reflektorischen Assoziation Digitalisierung=Jobabbau setzt Herzog ein klares Nein entgegen. Die SVA werde nur weniger neue Mitarbeiter aufnehmen müssen als ohne dieses Programm. Die aktuellen Diskussionen um mögliche Fusionen – Stichwort: SVB – schrecken ihn nicht: „Was auch immer hier passiert: Unser Digitalisierungs-Projekt ist skalierbar. Und daher auch in keinem Fall gefährdet.“

„Digitalisierung“, sagt Hans Aubauer, „ist kein IT-Projekt, es ist die Transformation einer Dienstleistung.“ Vielleicht kann die SVA ihre Appendix „Anstalt“ bis 2020 ja tatsächlich vergessen.