Kampf um Seltene Erden : Rohstoffrisiko Seltene Erden: Chinas Griff nach Europas Industrie

RUSSIA, KACHKANAR - JUNE 18, 2016: extraction of bauxite by open method in the quarry of the Kachkanarsky ore mining and processing enterprise, Sverdlovsk region.

Aufwändiger Abbau: Die Förderung von Seltenen Erden erfordert massive Eingriffe in die Landschaft – oft mit erheblichen ökologischen Folgen.

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Deutschlands Industrie schlägt Alarm: Die Abhängigkeit von chinesischen Rohstoffen wird zunehmend zur strategischen Schwachstelle – besonders bei seltenen Erden. Peking nutze die Marktmacht gezielt als geopolitisches Druckmittel, warnt der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).

„China hält den Export knapp, um politischen Einfluss zu nehmen“, erklärt Stefan Steinicke, Rohstoffexperte beim BDI. Während China den Aufbau westlicher Reserven durch künstliche Verknappung erschwert, könne es die Preise jederzeit durch plötzliche Marktflutung abstürzen lassen. Ein riskantes Umfeld für Investitionen in unabhängige Förderstrukturen – und eine Herausforderung für die Industriepolitik Europas.

Die Konsequenzen sind bereits spürbar: Hersteller aus dem Maschinenbau und der Autoindustrie melden Engpässe bei Metallen wie Neodym oder Dysprosium – unverzichtbar für Sensoren, Elektromotoren und Windkraftanlagen. Der Genehmigungsprozess für Exportlizenzen sei intransparent und langwierig, klagen Unternehmen. Auch in Deutschland wächst die Sorge vor Fertigungsstopps.

Zwar begründet China die Exportkontrollen offiziell mit dem „Dual-Use“-Charakter der Rohstoffe – also der zivilen wie militärischen Nutzbarkeit. Doch in der Praxis trifft die Regulierung auch europäische Firmen empfindlich. Die Reaktion: zögerlich. Trotz milliardenschwerer Förderprogramme kommt der Aufbau eigener Lieferketten in Europa kaum voran.

Klar ist: Ohne gezielte Industriepolitik, strategische Rohstoffpartnerschaften und öffentliche Investitionsanreize bleibt Europa im Spiel der Rohstoffmächte Zuschauer – und seine Schlüsselindustrien verletzlich.

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Geschmolzene Chloridsalze, kristallisierte Sedimente und Verbindungen seltener Erden – chemische Grundstoffe, die in der Industrie zur Produktion zahlreicher Hightech- und Elektronikkomponenten eingesetzt werden.

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Schlüsselrohstoffe der Zukunft: Warum Seltene Erden so begehrt sind

Seltene Erden zählen zu den kritischsten Rohstoffen der modernen Industrie. Gemeint sind 17 Metalle aus dem Periodensystem – darunter Neodym, Cer, Lanthan oder Yttrium –, die in Hochtechnologien nahezu unverzichtbar sind. Sie stecken in Elektromotoren, Windrädern, Lasern, Katalysatoren, Glasfasern und Halbleitern.

Ihr Name ist irreführend: Viele dieser Elemente kommen in der Erdkruste gar nicht so selten vor wie etwa Gold oder Platin. Doch sie liegen oft nur in winzigen Konzentrationen vor – und in komplexen Mischungen, die schwer zu trennen sind. Die Gewinnung ist technisch anspruchsvoll, energieintensiv und ökologisch problematisch.

Technologisch werden sie in zwei Gruppen unterteilt: leichte und schwere Seltene Erden. Beide haben besondere Eigenschaften – magnetisch, optisch, katalytisch – und sind damit für Schlüsselindustrien unersetzlich.

Ob in der E-Mobilität, der Luftfahrt oder der Verteidigungstechnologie: Ohne Seltene Erden geht wenig. Ihre Bedeutung macht sie zum geopolitischen Machtfaktor – und zum Prüfstein für Europas industrielle Souveränität.

>>> Auch die Autoindustrie warnt: Durch Chinas verschärfte Exportkontrollen bei Seltenerdmetallen geraten Lieferketten zunehmend unter Druck. Erste Produktionslinien stehen bereits still – die Sorge vor weitreichenden Fertigungsstopps nimmt zu.

Rohstoffmacht China: Wer weltweit das Sagen bei Seltenen Erden hat

Seltene Erden sind auf der ganzen Welt geologisch verbreitet – wirtschaftlich nutzbar sind jedoch nur wenige Lagerstätten. Weltweit lagern schätzungsweise rund 120 Millionen Tonnen an wirtschaftlich abbaubaren REO (Rare Earth Oxides). Den größten Anteil halten derzeit China (etwa 37 %), Vietnam und Brasilien (je rund 18 %) sowie Russland (15 %). Der Rest verteilt sich auf kleinere Förderländer.

Als wichtigste Ausgangsminerale gelten Bastnäsit, Monazit, Xenotim, Loparit und die sogenannten Ion-Adsorptions-Tone – letztere vor allem in Südchina bedeutend. Diese Lagerstätten liefern unterschiedliche Kombinationen von leichten (LREE) und schweren (HREE) Seltenen Erden. Bastnäsit ist eine Hauptquelle für Neodym und Cer, Monazit enthält insbesondere schwere REE und Thorium.

China dominiert den Markt seit Jahrzehnten: 2010 stammten über 95 % der globalen Produktion aus der Volksrepublik. Heute liegt der Anteil bei rund 70 bis 85 % – trotz wachsender Konkurrenz aus Australien, den USA und Myanmar. Der Schlüsselstandort ist die Lagerstätte Bayan Obo in der Inneren Mongolei.

>>> Auch geopolitisch wächst der Druck: Die USA unter Präsident Trump zeigten früh Interesse an Vorkommen Seltener Erden in Grönland und der Ukraine. Doch Chinas Vormachtstellung in Abbau und Verarbeitung bleibt vorerst unangefochten – und schwer zu durchbrechen.

Dreckige Förderung: Warum Seltene Erden ein Umweltproblem sind

Die Förderung ist aufwändig und ökologisch belastend. Um eine Tonne REO zu gewinnen, müssen teils über 1.000 Tonnen Gestein bewegt und mit Chemikalien wie Schwefelsäure aufbereitet werden. Zurück bleibt hochgradig belasteter Abraum – häufig mit Uran oder Thorium kontaminiert. In Ländern mit laxen Umweltstandards, etwa in Teilen Chinas oder Malaysias, entstehen dadurch gravierende Umwelt- und Gesundheitsprobleme. Ein Beispiel: Die stillgelegte Anlage in Bukit Merah (Malaysia), deren Sanierung über 100 Millionen US-Dollar kostete.
 

Rennen um Unabhängigkeit: Wie Länder sich vom China-Monopol lösen

Angesichts geopolitischer Unsicherheiten, wachsender Nachfrage und ökologischer Risiken drängen viele Länder auf neue Förderquellen. Australien baut mit Projekten wie Mount Weld und Browns Range seine Kapazitäten aus. Die USA reaktivieren die Mountain Pass-Mine, inklusive lokaler Verarbeitung. In Norwegen wurde 2024 mit Telemark die bislang größte europäische REE-Lagerstätte entdeckt – mit geschätzten 8,8 Mio Tonnen REO. Frühester Förderstart: 2030.

Auch Kanada, Brasilien, Südafrika, Tansania, Vietnam und Grönland prüfen Förderoptionen. Parallel gewinnt das Recycling – Stichwort „Urban Mining“ – an Bedeutung. Aktuell liegt die globale Recyclingquote jedoch bei unter 1 %. Neue hydrometallurgische Verfahren könnten künftig helfen, insbesondere aus Elektroschrott wie alten Magneten Neodym oder Dysprosium zurückzugewinnen.

Der Zugang zu Seltenen Erden entwickelt sich zur strategischen Industriefrage. Wer liefern kann – und dabei Umweltstandards einhält – sichert sich geopolitischen Einfluss und technologische Souveränität. Europa steht dabei erst am Anfang.

>>> Nachhaltigkeit in der Industrie: Warum sie unverzichtbar ist – und woran sie oft scheitert.

Herkunft der Rohstoffe: Ein Großteil der globalen Lieferungen seltener Erden kommt aus den BRICS-Staaten – Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika.

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Europa am Scheideweg: Eigene Förderung oder dauerhafte Abhängigkeit?

Seltene Erden zählen zu den kritischsten Rohstoffen für Europas Industrie – und werden von der EU-Kommission als Hochrisiko-Material eingestuft. Ihr Bedarf steigt rasant: Um Klimaziele zu erreichen und Technologien wie Windkraft, Elektromobilität oder digitale Infrastrukturen zu skalieren, wird der globale Bedarf an bestimmten Seltenerd-Oxiden – etwa für Magnete oder Katalysatoren – bis 2030 voraussichtlich um rund 40 % wachsen.

Der Haken: Europa ist nahezu vollständig auf Importe angewiesen. Laut einer Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) stammen 94 Prozent der EU-Importe aus geopolitisch sensiblen Staaten – allen voran China, das den Weltmarkt für Förderung und Weiterverarbeitung weitgehend kontrolliert. Diese einseitige Abhängigkeit birgt Risiken für Lieferketten, Preise und industrielle Souveränität.

Andere Länder reagieren längst: Die USA sind nach Jahren des Rückzugs wieder in den REE-Abbau eingestiegen – auch als Reaktion auf Chinas Dominanz. Australien treibt den Ausbau mit gezielten Investitionen voran. Die EU dagegen steht erst am Anfang: Noch fehlen industrietaugliche Abbauprojekte, politische Klarheit und ein wirtschaftlich tragfähiger Rahmen.

Ein eigenständiger Abbau innerhalb Europas – etwa in Norwegen, Schweden oder Portugal – wäre daher nicht nur eine industriepolitische Option, sondern ein strategischer Imperativ: für Versorgungssicherheit, technologische Unabhängigkeit und die Resilienz der grünen Transformation.

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Blick auf den Erzberg in Österreich: Der Abbau seltener Erden rechnet sich in Europa bislang nur in Ausnahmefällen

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Hoher Preis für Schlüsselmetalle: Die unsichtbaren Kosten der Förderung

Seltene Erden gelten als Schlüsselrohstoff für die Energiewende – doch ihre Gewinnung ist mit erheblichen Umwelt- und Gesundheitsrisiken verbunden. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) warnt vor problematischen Nebenwirkungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette: vom Tagebau bis zur Raffination.

Bereits beim Abbau entstehen giftige Stäube sowie radioaktiv belastete Rückstände, da im Erz oft Thorium und Uran enthalten sind. Die chemische Aufbereitung – ein mehrstufiger Prozess mit starker chemischer Belastung – setzt zusätzlich schwefelhaltige Abgase sowie Rückstände mit Schwermetallen frei. Die Raffination verursacht zudem hohe CO₂-Emissionen, da sie besonders energieintensiv ist.

Neben der Umweltbelastung ist auch der Ressourcenverbrauch enorm: Für die Verarbeitung werden große Mengen Wasser und Strom benötigt – häufig unter Bedingungen, die in Förderländern mit schwachen Umweltstandards kaum kontrolliert werden.

„Es gibt ein gewisses Gefährdungspotenzial – und das will man nicht unbedingt im eigenen Land haben“, bringt es Urs Peuker von der TU Bergakademie Freiberg auf den Punkt. Genau das erklärt, warum Europa bislang bei der Rohstoffgewinnung auf Distanz bleibt – und gleichzeitig seine Abhängigkeit zementiert. Doch wer Versorgungssicherheit will, wird sich der ökologischen Realität stellen müssen.

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