Frequentis Defence Sky Shield : Frequentis-Chef Haslacher: "Ich glaube nicht, dass sich Europa das traut"
Norbert Haslacher, CEO Frequentis: "Wir erwarten eine stetig wachsende Pipeline über die nächsten Jahre"
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INDUSTRIEMAGAZIN DEFENCE: Herr Haslacher, die Industriellenvereinigung hat kürzlich eine Taskforce eingerichtet, die die österreichische Politik bei Verteidigungs- und Sicherheitsfragen stärker in Bewegung bringen soll. Haben Sie das Gefühl, dass in Österreich Reformbedarf besteht – etwa bei Genehmigungen oder Exportregeln für Defence-Unternehmen?
Norbert Haslacher: Etwa 20 Prozent unseres Umsatzes entfallen auf Defence, und wir haben 98 Prozent Exportquote. Das heißt, wir sind von diesen Regelungen direkt betroffen. Unsere Produkte sind aber Dual-Use-Güter – sie können zivil wie militärisch genutzt werden – und fallen daher nicht unter das Kriegsmaterialgesetz. Trotzdem ist die Rechtslage unklar. Es gibt unterschiedliche Listen zwischen Innen- und Außenministerium, was nun als Dual Use gilt. Dazu kommen das Neutralitätsgesetz und europäische Verpflichtungen – all das ergibt ein Regelgeflecht, das derzeit viel Interpretationsspielraum lässt.
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Für Unternehmen ist das problematisch, weil es keine Rechtssicherheit gibt. Die Grenzen zwischen Dual Use, Neutralität, Kriegsmaterial und EU-Verpflichtungen sind nicht sauber definiert. Wir müssen vieles über Gespräche klären, statt auf eine klare gesetzliche Grundlage zu bauen. Das erschwert Investitionen und langfristige Entscheidungen.
Wollen Sie das an einem Beispiel festmachen?
Haslacher: Ein klassisches Beispiel ist die Frage, ob Österreich in Kriegsgebiete liefern darf. Im Neutralitätsgesetz steht dazu nichts Konkretes. Wir liefern derzeit nicht in die Ukraine, weil die rechtlichen Risiken zu groß sind. Aber es stellt sich eine zweite Frage: Wenn innerhalb der EU ein Land in einen Konflikt gerät – darf Österreich dann liefern oder nicht? Wenn ich als EU-Mitglied vertraglich verpflichtet bin, gilt dann die Neutralität oder der EU-Vertrag? Diese Unklarheit führt dazu, dass manche europäischen Partnerländer sagen: „Von Österreich kann ich nichts kaufen, die liefern im Ernstfall nicht.“ Das zeigt, dass unsere Neutralität innerhalb der EU neu interpretiert werden müsste. Sonst verlieren wir industrielle Glaubwürdigkeit – und am Ende auch Aufträge.
Wie wirkt sich die geopolitische Lage auf Ihr Geschäft aus?
Haslacher: Wir sehen ein zunehmendes Interesse, keine explosionsartige Steigerung. Nach dem deutschen Sondervermögen von 100 Milliarden Euro haben viele Länder zwar Budgets aufgestellt, aber bis diese Gelder tatsächlich in Ausschreibungen und Projekte fließen, vergeht Zeit. Diese Verfahren sind öffentlich, komplex und rechtsgebunden. Oft muss erst geklärt werden, ob bestehende Verträge genutzt oder neue Verfahren gestartet werden. Das dauert. Wir erwarten daher keinen plötzlichen Sprung, sondern eine stetig wachsende Pipeline über die nächsten Jahre. Positiv ist: Es gibt neue europäische Regularien, die europäische Anbieter bevorzugen. Das stärkt Firmen wie Frequentis gegenüber außereuropäischen Wettbewerbern.
In den USA werden Beschaffungsprozesse im Verteidigungsbereich oft beschleunigt. Wäre das auch in Europa denkbar?
Haslacher: Ich glaube nicht, dass sich Europa diesen Zugang traut. In den USA ist das System der sogenannten „Direct Awards“ – also der direkten Vergabe – seit Jahrzehnten etabliert. Unter dem Titel National Security werden Ausschreibungsverfahren ausgehebelt, um schnell reagieren zu können. In Europa herrscht eine andere Kultur: Hier will man alles perfekt machen – die „eierlegende Wollmilchsau“ definieren, bevor man entscheidet. Das ist demokratisch und rechtsstaatlich richtig, aber extrem langsam. Wenn die geopolitische Lage sich weiter verschärft, wird man in Europa allerdings beschleunigte Verfahren einführen müssen. Sonst verlieren wir zu viel Zeit.
Stichwort Sky Shield. Wo steht Frequentis bei diesem Projekt?
Haslacher: Sky Shield ist im Moment in erster Linie ein Beschaffungsprogramm für Flugabwehrsysteme – also Patriots, Arrow 3 und ähnliche Technologien. Mit uns hat das auf dieser Ebene zunächst wenig zu tun. Aber: Wenn man den europäischen Luftraum schützen will, reicht der Kauf solcher Systeme nicht. Man braucht ein gemeinsames Lagebild, um Bedrohungen zu erkennen und Entscheidungen zu treffen – etwa, ob eine Abwehr aus Osteuropa mit Short Range oder aus Westeuropa mit Long Range erfolgen soll. Dafür braucht man eine Vernetzung von Radar- und Sensordaten über alle Länder hinweg. Genau dort kommt Frequentis ins Spiel: Wir bauen die Datendrehscheiben, die diese Informationen sammeln, prüfen und weiterleiten. In Deutschland haben wir dazu bereits den Zuschlag für ein Projekt erhalten, das 22 Radarstationen zu einem redundanten Netz verbindet. Wenn eine Station ausfällt, übernimmt automatisch eine andere – die Datenverfügbarkeit bleibt gewährleistet. Ein ähnliches Konzept wäre auch für Europa denkbar: Ein zentrales Datenverteilungsnetz, vielleicht sogar mit Servern in einem neutralen Land wie Österreich. Momentan wird darüber aber noch nicht entschieden – Sky Shield ist derzeit ein reines Beschaffungsprogramm ohne gemeinsame Dateninfrastruktur.
Fehlt es an Koordination?
Haslacher: Zusätzlich zu den Datenverteilungssysten auf NATO-Ebene braucht es aufgrund der zusätzlichen neue Bedrohungen wie Drohnen und der damit größeren Komplexität zusätzliche Technologien , andere Sensortechnologien: optisch, akustisch oder auf Mikrowellenbasis. Manche Systeme erkennen Drohnen sogar anhand ihrer Geräuschsignatur.
Und Frequentis sammelt die Daten dieser Sensoren?
Haslacher: Wir sind die Datendrehscheibe zwischen Sensoren und Entscheidungsinstanzen. Unsere Systeme verarbeiten die eingehenden Signale, gleichen sie mit Flugsicherungsdaten ab – denn manche Drohnen fliegen legal mit Flugplan – und unterstützen dann den Entscheidungsprozess: Soll eine Abwehr eingeleitet werden oder nicht? Die Entscheidungskette muss juristisch nachvollziehbar sein, weil jemand die Verantwortung trägt, wenn eine Drohne abgeschossen oder gestört wird. Wir liefern dafür die technische Grundlage. Die anschließende Bekämpfung – ob durch Jamming, Netze, Abfangdrohnen oder andere Mittel – erfolgt dann durch die militärischen Effektoren.
Ein solches flächendeckendes Drohnenerkennungssystem wäre teuer.
Haslacher: Ein europaweiter Drohnenschutz ist nicht finanzierbar. Aber man kann kritische Zonen definieren: Flughäfen, Kasernen, Energieinfrastruktur. Dort lassen sich Sensoren und Kommunikationssysteme aufbauen. Das Entscheidende ist die Interoperabilität – also, dass nationale Systeme miteinander sprechen können. Solche Projekte entstehen derzeit auf NATO- und EU-Ebene. Wir wissen, dass technisch alles machbar ist, aber politisch und organisatorisch sind noch viele Fragen offen.
Wie stellen Sie sicher, dass bei NATO-Projekten nicht ausschließlich amerikanische Firmen zum Zug kommen?
Haslacher: Über das europäische Vergaberecht. Viele Ausschreibungen verlangen heute bereits 51 Prozent europäische Ownership. Das ist eine neue Entwicklung der letzten zwölf Monate. Europa will seine Souveränität in der Verteidigungsindustrie stärken – und das ist gut so. Wenn Europa ein gemeinsames Air-Defence-System aufbaut, dann muss auch die Dateninfrastruktur aus Europa kommen.
Neben den Radar- und Kommunikationssystemen engagiert sich Frequentis auch in neuen Technologien. Welche Projekte sind relevant?
Haslacher: Ein großes Thema ist der Remote Tower – ursprünglich für die zivile Flugsicherung entwickelt. Dabei werden Tower-Funktionen digitalisiert und können von einem zentralen Standort aus betrieben werden. Wir haben diese Technologie in Deutschland, Australien, Neuseeland, Brasilien und Großbritannien im Einsatz. Die US Air Force und die US Marines nutzen sie inzwischen ebenfalls – mit militärischen Anpassungen. Wir haben eine verlegefähige Version entwickelt, die innerhalb von drei Stunden betriebsbereit ist – einsatzbereit auf jedem Flugfeld. Das ist besonders wichtig, weil Flugplätze im Konfliktfall zu den ersten Angriffszielen gehören. Mit Remote-Tower-Technologien können Fluglotsen in sicheren Bunkern sitzen, während sie per Video und Sensorik den Flugverkehr steuern. Das ist ein enormes Sicherheitsplus.
Gibt es weitere Bereiche, in denen Frequentis zulegt?
Haslacher: Ja, etwa im Bereich MCX – Mission Critical Services over LTE/5G.
Heute nutzen Polizei, Feuerwehr, Rettung und Militär noch TETRA-Funksysteme. Die sind 30 Jahre alt und können nur Sprache, kaum Daten übertragen. In einer Welt, in der Kommunikation zunehmend datengetrieben ist, reicht das nicht mehr. MCX ermöglicht, die bestehenden Mobilfunknetze sicherheitskritisch zu nutzen – also priorisiert, verschlüsselt und unabhängig von zivilen Überlastungen. Im Krisenfall bekommen Einsatzkräfte so Vorrang im Netz. Wir sind bereits Teil des ersten europäischen MCX-Projekts in Großbritannien, gemeinsam mit IBM. Mehrere Länder schreiben derzeit aus. Das wird ein Zukunftsthema für die nächsten zehn bis 15 Jahre.
Wie stark ist Frequentis international vernetzt?
Haslacher: Wir liefern in 150 Länder und betreiben über 40 Landesgesellschaften. Unser Vertrieb war früher Wien-zentriert, heute arbeiten wir regional, mit lokalen Teams. Vertrauen und Nähe sind entscheidend, weil unsere Kunden Behörden sind – und Behörden im Sicherheitsbereich sind besonders risikoavers. Wir müssen zeigen, dass unsere Systeme funktionieren, dass wir zuverlässig sind. Vertrauen und Reputation zählen mehr als aggressive Vertriebsstrategien.
Wie wichtig ist der Standort Österreich?
Haslacher: Wenn wir im Ausland verkaufen, lautet eine der ersten Fragen: „Hat euer Heimatmarkt das System im Einsatz?“ Wenn nicht einmal die eigenen Behörden die Technologie nutzen, ist sie international schwer zu verkaufen. Daher ist es essenziell, dass österreichische Behörden mit heimischen Firmen zusammenarbeiten. Das schafft Referenzen, Arbeitsplätze und Exportfähigkeit. Dieses Bewusstsein ist noch nicht überall vorhanden, aber es beginnt sich zu verändern.
Was wäre aus Ihrer Sicht ein sinnvoller nächster Schritt der österreichischen Politik?
Haslacher: Mehr strategische Kooperation mit der Industrie. Österreich könnte gemeinsam mit Partnerländern im Rahmen des European Defence Fund Projekte initiieren – Command- und Kontrollsysteme, Kommunikationslösungen, Datensicherheit. Das Fördervolumen in diesem Bereich ist derzeit so hoch wie nie, aber man braucht dafür mindestens drei beteiligte EU-Länder. Wenn man das systematisch angeht, könnte Österreich seine Rolle als Technologie-Standort deutlich ausbauen.
Und wie steht Frequentis zum European Sky Shield selbst?
Haslacher: Wir haben ein klares Commitment dazu. Das österreichische Verteidigungsministerium hat mehrfach bekräftigt, dass es Teil des europäischen Systems sein will. Noch geht es vor allem um den Kauf von Flugabwehrsystemen, aber irgendwann wird es um die Vernetzung dieser Systeme gehen – und genau dort sehen wir unsere Rolle. Wir sind in Gesprächen mit europäischen Stellen und auch mit österreichischen Behörden über die Radar-Datenvernetzung. Die Notwendigkeit, ein gemeinsames Lagebild zu schaffen, ist erkannt. Wir liefern die Technologie, die Behörden definieren die Einsatzkonzepte – das ist eine gute Arbeitsteilung.
Wie wichtig ist der Standort Wien für Frequentis?
Sehr wichtig. Wir fühlen uns hier wohl. Der Standort ist stabil, die Lebensqualität hoch, Wien zieht Fachkräfte an – wir beschäftigen Menschen aus über 35 Nationen. Mehr als 1.000 unserer 2.500 Mitarbeitenden sitzen in Wien, der Rest weltweit. Der Eigentümer steht klar zum Standort. Frequentis bleibt ein österreichisches Unternehmen – mit globaler Verantwortung.