Effizientere Arbeitsprozesse umsetzen : Zero-Based Work: Wie Unternehmen durch radikales Neudenken von Arbeit Freiräume, Effizienz und Innovation schaffen

Julian Mauhart, Partner beim Beratungsunternehmen Deloitte, über den Zero-Based-Work-Ansatz, die Rolle des mittleren Managements und warum echte Freiräume entscheidend für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit sind.

Julian Mauhart, Partner beim Beratungsunternehmen Deloitte, über den Zero-Based-Work-Ansatz, die Rolle des mittleren Managements und warum echte Freiräume entscheidend für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit sind.

- © feelimage/Matern

Lange To-do-Listen, endlose E-Mail-Ketten und immer neue Teams- oder Zoom-Meetings – für viele Beschäftigte bleibt gefühlt immer weniger Zeit, ihre eigentlichen Aufgaben, nämlich wirklich wertschöpfende Tätigkeiten, zu verrichten. Eine aktuelle Studie, die größte ihrer Art weltweit, zeigt: Fast die Hälfte der Arbeitszeit wird mittlerweile durch Reporting, Administration und andere ineffiziente Tätigkeiten verschwendet. Und über zwei Drittel aller Führungskräfte – darunter viele aus Österreich – sagen, dass ihnen die Zeit fehlt, sich auf strategisch wichtige Themen zu konzentrieren. Sie hetzen von Termin zu Termin, beantworten Mails, füllen Tabellen aus und fragen sich: Wann soll ich eigentlich arbeiten?

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Eine neue Deloitte-Studie zeigt: Fast die Hälfte der Arbeitszeit ist nicht produktiv. Zeit für Innovation? Viel zu wenig. Die Studie ist die weltweit größte ihrer Art – 13.000 Führungskräfte aus 93 Ländern, darunter mehrere Hundert aus Österreich, wurden befragt. Und das Ergebnis ist ernüchternd: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verbringen im Schnitt fast die Hälfte – rund 41 % – ihrer täglichen Arbeitszeit mit nicht wertschöpfenden Tätigkeiten. Mehr als zwei Drittel – rund 68 % – haben während des Arbeitstages sogar zu wenig Zeit, um sich auf die essenziellen Aufgaben zu konzentrieren.

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Zero-Based Work: Wie Führungskräfte durch Prozess-Neudenken Freiräume schaffen

Eine wachsende Anzahl von Führungskräften hat das Gefühl der Überforderung, denn alles ändert sich gleichzeitig: Märkte, Kundenbedürfnisse, Technologien. Hinzu kommt überbordende Bürokratie und administrative Aufgaben – zum großen Teil auch hausgemacht.

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Doch wie kann eine Lösung dafür aussehen? Eine Methode, die zu mehr Freiräumen führen kann, ist der sogenannte Zero-Based-Work-Ansatz. Dabei werden Arbeitsprozesse von Grund auf neu bewertet, um Ineffizienzen abzubauen und Kapazitäten freizusetzen. Dabei wird jede Tätigkeit hinterfragt: Was bringt wirklich etwas? Was ist Ballast? Was nicht zum direkten Zweck des Jobs beiträgt, schafft es nicht in die Aufgabenliste. Wichtig dabei: Die für Mitarbeiter freigespielte Zeit darf nicht gleich wieder mit neuen Aufgaben gefüllt werden – erst durch echte Freiräume entstehen kreative Lösungen.

Schlüssel zur Umsetzung ist dabei vor allem das mittlere Management. Mid-Level-Führungskräfte kennen die operativen Abläufe, haben das Ohr bei den Mitarbeitenden und das Potenzial, Veränderungen wirklich umzusetzen. Mehr Raum, um nachzudenken, mehr Zeit für Innovation und weniger Bürokratie – das sind keine Fragen von Idealismus, sondern zunehmend Fragen der Wettbewerbsfähigkeit.

Julian Mauhart zur aktuellen Studie über Überforderung im Management und den Zero-Based-Work-Ansatz

Inmitten wachsender Herausforderungen durch Bürokratie, Digitalisierung und Fachkräftemangel zeigt eine aktuelle Deloitte-Studie, wie der Zero-Based-Work-Ansatz neue Wege für mehr Effizienz und Innovationskraft eröffnen kann – darüber spricht Julian Mauhart, Partner bei Deloitte, im Interview mit INDUSTRIEMAGAZIN. 

INDUSTRIEMAGAZIN: Herr Mauhart, die Studie spricht von Überforderung und Ermüdung – ein Gefühl, vor lauter Arbeit nicht mehr zum Arbeiten zu kommen. Einer der Lösungsansätze ist Zero-Based Work. Wie gehe ich das als Führungskraft konkret an?

Mauhart: Der Gedanke ist angelehnt an das Zero-Based-Budgeting, das man aus dem Finanzbereich kennt. Das bedeutet, dass ich Tätigkeiten nicht einfach fortschreibe und mich damit immer weiter belaste, sondern dass ich mit einem weißen Blatt Papier beginne und mir die Frage stelle: Wozu ist der Job eigentlich da? Was ist das angestrebte Ergebnis? Und zweitens: Welche Tätigkeiten zahlen wirklich auf dieses Ziel ein? Die mache ich weiter. Alles andere lasse ich – ganz vereinfacht gesagt – weg.
Natürlich bleiben Tätigkeiten übrig, die an anderer Stelle in der Organisation als wichtig gelten oder wo jemand sagt: „Das kannst du nicht einfach streichen.“ Da muss ich dann prüfen: Kann ich diese Tätigkeiten vereinfachen, zentral bündeln oder automatisieren? Ziel ist es, die Aufgaben von Personen wegzunehmen, die dafür nicht spezialisiert sind – und so ihren Arbeitsalltag zu entlasten.

INDUSTRIEMAGAZIN: Das klingt ziemlich radikal, wenn man das auf eine ganze Organisation anwenden möchte. Wie weit sind Unternehmen in Österreich tatsächlich bereit, Arbeitsprozesse so grundlegend zu überdenken? Gibt es schon Pilotprojekte oder Best Practices?

Mauhart: Ja, dort, wo es wirklich strukturell passiert, sind es meist einzelne Unternehmensbereiche oder Funktionen. Neben den bereits genannten Einflussfaktoren kommen in Österreich drei große Herausforderungen hinzu: der demografische Wandel, die Digitalisierung und der steigende Kostendruck. Diese führen oft dazu, dass man sich grundsätzliche Fragen stellt: Welche Art von Jobs brauchen wir? Welche Personen? Und wie sieht eine zukunftsorientierte Personalplanung aus?
Ein Beispiel: Wenn ich sehe, dass in einem Bereich 40 % der Belegschaft in den nächsten fünf Jahren in Pension gehen, dann ist das ein Anlass, nicht einfach 1:1 nachzubesetzen, sondern zurückzutreten und zu fragen: Passen die Aufgaben noch? Passen die Kompetenzen? Oder: Wenn neue Software eingeführt wird, ist das ebenfalls ein Impuls, die Aufgaben grundlegend neu zu denken. Das passiert aktuell zwar noch punktuell, aber dort durchaus wirksam.

INDUSTRIEMAGAZIN: Dieser Lösungsansatz verlangt strukturelle Veränderungen. Wie realistisch ist das in einem Umfeld, das bereits unter Change Fatigue leidet?

Mauhart: In den Bereichen, in denen strukturelle Veränderungen stattfinden, gibt es durchaus realistische Ansätze – wie die genannten Beispiele zeigen. Gleichzeitig hat das Thema auch eine kulturelle Komponente: Es geht um Haltung und Zugang. Viele kleinere und mittlere Betriebe in Österreich machen das bereits sehr gut – aus einer pragmatischen Grundhaltung heraus. Auch einzelne Führungskräfte können viel bewirken. Sie sind nah an den Abläufen und können konkret fragen: Ist dieses Meeting sinnvoll? Muss dieses Ad-hoc-Reporting wirklich sein?
So entstehen Freiräume. Und genau darum geht es: Ein respektvoller Umgang mit der Arbeitszeit der Mitarbeitenden, nicht das Schaffen von noch mehr Effizienz um jeden Preis. Denn echte Innovation entsteht nicht in der Pause zwischen zwei vollgepackten Arbeitstagen, sondern in bewusst freigehaltenen Räumen.

INDUSTRIEMAGAZIN: Das Ziel ist also, Freiräume zu schaffen – nicht, neue Arbeit obendrauf zu laden. Eine interessante Erkenntnis aus der Studie ist der wachsende Fokus auf das oft unterschätzte mittlere Management. Welche konkreten Freiheiten oder Ressourcen fehlen diesen Führungskräften heute, um agiler handeln zu können?

Mauhart: Das fand ich auch spannend. Jahrzehntelang wurde das mittlere Management eher abgewertet oder sogar abgebaut. Doch heute zeigt sich: Sie sind der Schlüssel zu etwas, das viele Unternehmen wollen – nämlich eine dezentrale, reaktionsfähige Organisation.
Warum funktioniert das? Weil Mid-Level-Führungskräfte über tiefes Organisationswissen und Urteilskraft verfügen. Sie sind nah dran – an Kund*innen, an Produktionslinien, an Lieferketten. Damit sie diese Rolle gut erfüllen können, brauchen sie vor allem eines: Ernst genommen zu werden. Das heißt: echte Autonomie, Entscheidungsfreiheit – und Zeit.
Sie dürfen nicht mit Bürokratie und Administration überfrachtet werden. Ihre Stärken liegen in der Priorisierung, im Coachen, in der Entwicklung und Bindung von Mitarbeitenden. Genau dafür brauchen sie Freiräume.

INDUSTRIEMAGAZIN: Ein weiteres Thema – zwar kleiner in der Studie, aber mit großem Impact – ist der Einsatz von KI. Dadurch verschwinden viele Einstiegsjobs, die früher Lernräume boten. Wie kann man gegensteuern?

Mauhart: Das ist tatsächlich ein großes Problem für viele Unternehmen. Warum? Die Stärke des mittleren Managements ist die sogenannte Urteilskraft – das, was wir in der Studie als „Judgment“ bezeichnen. Und die entsteht nur durch praktische Erfahrung: durch Scheitern, Lernen, Reflektieren. Die Einstiegsjobs, in denen man genau das lernen konnte, verschwinden zunehmend – durch KI, aber auch durch Outsourcing. Die Lösung: Wir müssen solche Rollen gezielt wieder schaffen. Alle Unternehmen suchen Mitarbeitende mit drei, vier Jahren Erfahrung – aber kaum jemand gibt jungen Leuten die Chance, diese Erfahrungen überhaupt zu sammeln. In Schlüsselpositionen müssen wir neue Karrierewege schaffen, die diesen Einstieg ermöglichen. Zudem brauchen wir gezielte Lernkonstellationen: klassische Tandems wie „Young Corp – Old Corp“, anspruchsvolle Projektaufgaben mit Reflexionsmöglichkeiten – alles, um die Lernkurve zu beschleunigen. Es gibt weniger Talente – also müssen wir besser mit ihnen umgehen. Das ist aufwendig, aber notwendig.

Deloitte-Studie: So verschwenden wir 41 % unserer Arbeitszeit - Zero-Based Work als Antwort