Produktion in Europa : Frisches Denken ist gefragt: Produzieren in Zeiten von volatilen globalen Machtverhältnissen

Stephan Martineau, Fraunhofer Austria
- © Fraunhofer AustriaJahrzehntelang wurde unsere Wirtschaft immer globalisierter und viele Vorteile gingen damit einher. Hochspezialisierte und bis ins letzte Detail optimierte Fabriken produzierten Waren an günstigen Standorten billig und effizient für die gesamte Welt, Transportkosten waren niedrig, Distanzen daher kein Thema und hohe Zölle oder Einfuhrverbote gab es nur in Ausnahmefällen. Dieses System hat lange hervorragend funktioniert. Doch jetzt will US-Präsident Trump vermeintliche Handelsdefizite ausgleichen und wieder vermehrt in den USA produzieren. Als Resultat irritieren Zölle und Gegenzölle den Weltmarkt und globale Wirtschaftsbeziehungen verändern sich schneller, als wir es aus den letzten Jahrzehnten gewohnt sind. Es stellen sich essenzielle Fragen: Kann man sich weiterhin darauf verlassen, dass Warenströme fließen? Kann mein Unternehmen weiterhin in die USA exportieren? Werde ich weiterhin die nötigen Rohstoffe und Bauteile einkaufen und importieren können, die ich für meine Produktion benötige? Sollte meine Fabrik nicht doch lieber einige essenzielle Komponenten selbst fertigen, statt sich in Zeiten unsicherer Lieferketten auf weit entfernte Lieferanten zu verlassen? Können und wollen wir in Europa wieder mehr selbst produzieren?
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Europas Produktionspotenzial: Wie wir unsere Abhängigkeit reduzieren und strategisch vorsorgen können
Gleich vorweg: Rein technisch gesehen können wir in Europa alles, was wir brauchen, selbst produzieren. Natürlich müsste man sich im Fall des Falls genau ansehen, zu welchen Rahmenbedingungen und zu welchen Preisen dies machbar wäre und vor allem, wie man an die nötigen Rohstoffe gelangt, denn hier sind wir derzeit durchaus abhängig. Was auch immer getan werden soll, es muss natürlich wirtschaftlich Sinn ergeben. Schließlich befinden wir uns absolut nicht in einer Notlage, die uns zwingen würde, kompromisslos und nach dem Motto „Koste es, was es wolle“ alles vor Ort zu produzieren. Doch selbst eine solche Extremsituation könnten wir in Europa, wenn es sein muss, bewältigen, daher lautet meine Botschaft ganz klar: Keine Panik!
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Um im Fall des Falls nicht Hals über Kopf agieren zu müssen, schadet es aber sicher nicht, sich damit auseinanderzusetzen, wie Europa seine systemerhaltenden Produkte selbst herstellen könnte und dies dann zumindest für einige wirklich essenzielle Dinge auch ohne den Zwang einer Krise jetzt schon umzusetzen. Im Normalfall braucht die Realisierung einer Fabrik etwa drei Jahre. Auch wenn es im Krisenfall schneller gehen kann, so wie wir es in der Covid-Pandemie beobachten konnten, sollte man dennoch proaktiv mit einer Risikobewertung und einer Planung beginnen.
Bei aller Liebe zur globalisierten Wirtschaftsweise sollte dieser Ratschlag jedenfalls befolgt werden, denn für eine weltweite Zusammenarbeit müssen auch die anderen mitspielen. Und dass das nicht immer der Fall ist, wird uns gerade vor Augen geführt. Es kann also sinnvoll sein, Abhängigkeiten zu reduzieren und die Fertigungstiefe um einen gewissen Grad zu erhöhen. Für mehr Liefertreue und bessere Qualität kann dabei je nach Risikoprofil auch eine kleine Preissteigerung akzeptabel sein.
Resiliente Produktion in Zeiten globaler Unsicherheit: Warum Risikoanalysen und Innovationsgeist jetzt entscheidend sind
Was ist aber nun im Allgemeinen zu tun, um die Auswirkungen globaler Fluktuationen abzufedern? Leider gibt keine magische Formel, die für jeden Produktionsbetrieb gilt, aber sicher ist: In diesen Zeiten muss man sich auf die eigenen Beine stellen und eine sorgfältige Risiko-Analyse durchführen. Man sollte sich also die grundsätzlichen Fragen stellen: Wo liegen meine Kernkompetenzen? Was macht mein Produkt einzigartig? Und was darf es am Markt kosten? Von da ausgehend muss dann noch mal alles aufgerollt werden: Welche Summe steht zur Verfügung – und was müssten wir tun damit sich das lohnt?
Ich rufe dazu auf, hier ohne Restriktionen zu denken. Statt immer nur zu sagen „wir sind ohnehin zu teuer“ müssen die Fragen lauten: Was muss passieren, damit sich das rentiert? Was bräuchte man technologisch, um das Produkt billiger herstellen zu können? Prozessinnovation und technologische Innovation müssen Hand in Hand gehen. Wie die konkrete Lösung aussieht, ist bei jedem Produkt anders. Wir müssen Produktion und Fabrik völlig neu denken lernen und wenn ich auf unsere Innovationskraft in Europa schaue dann denke ich mir: wer, wenn nicht wir?
Bei der Fabrikplanung ist es heutzutage auch Pflicht, sich alle großen Megatrends anzusehen. Die Zeiten, in denen man Fabriken nur auf Effizienz getrimmt hat, sind vorbei. Wir bei Fraunhofer Austria planen seit unserer Gründung, also mittlerweile seit etwa 15 Jahren, Fabriken und wir sehen, wie das Bild sich wandelt. Fabriken müssen heute effizient, aber auch agil, flexibel und resilient sein. Bei der Planung ist es essenziell, alle großen Megatrends zu berücksichtigen – vom demographischen Wandel, der den Fachkräftemangel verstärkt, über die politische Großwetterlage bis hin zum Klimawandel und den mit ihm einhergehenden Risiken. Wir bei Fraunhofer Austria bieten hier eine stufenartige Vorgehensweise: Im ersten Factory-Check machen wir Potenziale ausfindig und identifizieren Handlungsfelder. In vertiefenden Projekten können Lösungen darauf aufbauend im Detail ausgearbeitet werden.
Klar, wir können alles: aber haben wir auch die Rohstoffe dafür?
Bleibt die Frage, woher die Rohstoffe kommen, wenn weltweite Lieferketten erschüttert werden. Neben Diversifikation im Einkauf bietet sich unter anderem die Kreislaufwirtschaft für eine Win-Win Situation an. Im Sinne der Nachhaltigkeit kann Abfall vermieden werden, zugleich lassen sich Rohstoffe direkt hier in Europa aus den Abfällen gewinnen. Grundsätzlich sind die Dinge, die wir brauchen, bereits hier, das ist für einige Rohstoffe auch schon durch Studien belegt. Probleme beim Rohstoffimport sind also höchstens kurzfristig ein Show-Stopper, lang- und mittelfristig sollten sie keine größere Rolle spielen.
Fazit: Panik ist nicht angebracht, jedoch sollte man Risiken und im weiteren Vorgehen auch die Fabriken analysieren. Wir helfen gerne dabei!