KI in der Industrie : Autonome KI-Agenten bei Siemens: Neuer Schub für die industrielle Automatisierung?

"Mit unseren industriellen KI-Agenten gehen wir über das übliche Frage-Antwort-Paradigma hinaus und schaffen Systeme, die selbstständig komplette industrielle Workflows ausführen können", sagt Rainer Brehm, CEO Factory Automation bei Siemens.
- © SiemensMit der Einführung autonomer KI-Agenten will Siemens die industrielle Automatisierung auf ein neues Level heben. Was auf den ersten Blick wie ein weiterer Schritt in Richtung Digitalisierung wirkt, könnte sich als tiefer Einschnitt in die industrielle Praxis erweisen – mit weitreichenden Folgen für Produktion, Arbeitsorganisation und strategische Steuerung in der Fertigungswelt.
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Die neuen Softwareagenten, die Siemens kürzlich im Rahmen seines Industrieportfolios vorgestellt hat, arbeiten autonom, treffen Entscheidungen auf Basis von Datenanalysen in Echtzeit und sollen künftig ganze Produktionsprozesse selbstständig optimieren. Grundlage dafür sind maschinelles Lernen, digitale Zwillinge und eine kontinuierliche Vernetzung innerhalb des Fertigungsprozesses.
Das Konzept ist nicht neu – die Industrie experimentiert seit Jahren mit adaptiven Systemen und lernfähigen Maschinen. Doch Siemens verfolgt mit den autonomen Agenten einen radikaleren Ansatz: Die Systeme sollen nicht nur unterstützen, sondern aktiv eingreifen, steuern, priorisieren – ohne dass ständig ein menschlicher Operator eingreifen muss.
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Pragmatik statt Vision
Siemens geht es dabei ausdrücklich nicht um futuristische Szenarien, sondern um die Lösung konkreter Probleme in der Produktion: zunehmende Komplexität, steigende Energiekosten, Fachkräftemangel und fragile Lieferketten. Die Agenten sollen dort ansetzen, wo klassische Automatisierung an ihre Grenzen stößt – bei unerwarteten Abweichungen, sich rasch ändernden Anforderungen oder der dynamischen Steuerung mehrerer Produktionslinien in Echtzeit.
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Ein Beispiel: In einem flexiblen Fertigungssystem erkennt der KI-Agent, dass sich der Energieverbrauch einer Linie kurzfristig stark erhöht hat. Statt auf vordefinierte Schwellwerte zu warten, analysiert der Agent die Ursache, schlägt Änderungen im Produktionsplan vor oder leitet automatisch Umschaltungen ein – schneller, als ein Mensch es könnte, und auf Grundlage aller verfügbaren Daten.
Zwischen Anspruch und Realität
Noch ist der Begriff „autonom“ mit Vorsicht zu genießen. Auch Siemens betont, dass die KI-Agenten zunächst in klar definierten, abgeschlossenen Anwendungsfällen zum Einsatz kommen sollen. Vollautonome Systeme, die frei über Produktionsprozesse entscheiden, bleiben Zukunftsmusik. Die Agenten agieren unter Aufsicht, ihre Eingriffe sind nachvollziehbar und lassen sich durch Menschen übersteuern.
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Hinzu kommt: Der technologische Fortschritt allein genügt nicht. Die Einführung solcher Systeme setzt eine hohe Datenqualität, robuste IT-Infrastrukturen und das Vertrauen der Belegschaft voraus. Gerade in klassischen Industrieunternehmen herrscht Skepsis gegenüber Systemen, deren Entscheidungslogik schwer nachvollziehbar ist.
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"Mit unseren industriellen KI-Agenten gehen wir über das übliche Frage-Antwort-Paradigma hinaus und schaffen Systeme, die selbstständig komplette industrielle Workflows ausführen können."
Rainer Brehm, CEO Factory Automation bei Siemens
Offene Fragen bleiben
Offen ist auch, wie sich die zunehmende Autonomie von Maschinen auf die Rolle von Fachkräften auswirkt. Siemens spricht davon, dass der Mensch durch die KI „entlastet“ werde – ein Begriff, der in der Industriepolitik oft als Euphemismus für Arbeitsplatzabbau wahrgenommen wird. Experten fordern deshalb mehr Transparenz und eine klare Strategie, wie Mensch und Maschine künftig zusammenarbeiten sollen. Auch in puncto Datensicherheit und Haftungsfragen gibt es offene Baustellen. Wenn ein Agent eine fehlerhafte Entscheidung trifft – wer trägt die Verantwortung? Und wie lassen sich autonome Systeme gegen Manipulation oder Fehlverhalten absichern?
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Siemens bringt mit den autonomen KI-Agenten Bewegung in eine Industrie, die sich längst im Umbruch befindet. Die Technologie verspricht Effizienzgewinne, mehr Flexibilität und eine höhere Resilienz in Krisenzeiten. Doch ob sie den Anspruch erfüllt, die Automatisierung wirklich intelligenter und adaptiver zu machen, wird sich erst im Einsatz zeigen.
Für die Industrie bedeutet das: Wer von den neuen Möglichkeiten profitieren will, muss nicht nur in Technik, sondern auch in Organisation, Weiterbildung und Sicherheit investieren. Denn Autonomie in der Fertigung ist kein Selbstläufer – sie braucht Regeln, Verständnis und ein klares Konzept, wie der Mensch künftig Teil der Produktion bleibt.