Klimaneutralität : "Unternehmen kompensieren CO2 anstatt ihre Prozesse zu verbessern"

Helioz-CEO Schmiedmaier: "Tatsächlich nehmen viele Unternehmen lieber Geld in die Hand, um ihren CO2-Ausstoß zu kompensieren, anstatt ihre Prozesse tiefgreifend zu verbessern."
- © HELIOZNiclas Schmiedmaier ist CEO des österreichischen Social Enterprise Helioz, das transparente Klimaprojekte für CO2-Kompensation betreibt. Im Interview erklärt er, was am Kompensationsmarkt gerade schiefläuft und worauf Unternehmen bei dem Erwerb von Zertifikaten achten müssen.
INDUSTRIEMAGAZIN: CO2-Zertifikate gibt es mittlerweile ja schon lang. Was hat sich denn im letzten Jahr am freiwilligen CO2-Markt verändert?
Niclas Schmiedmaier: 2022 hat sich einiges getan: Unter anderem sind die Preise für CO2-Zertifikate um 40 Prozent gestiegen und der Markt selbst ist um 20 Prozent auf 1,2 Milliarden US-Dollar gewachsen. Zudem hat sich die Zahl der Unternehmen, die sich Netto-Null-Emissions-Ziele gesetzt haben, mehr als verdoppelt. Auf den ersten Blick klingt das nach guten Neuigkeiten. Doch sieht man genauer hin, erkennt man schnell die Schattenseiten dieser Entwicklungen.
Ist es nicht gut, gerade für Ihr Geschäft, wenn mehr Unternehmen an CO2-Kompensation interessiert sind?
Schmiedmaier: Das würde man meinen. Tatsächlich aber nehmen viele Unternehmen lieber Geld in die Hand, um ihren CO2-Ausstoß zu kompensieren, anstatt ihre Prozesse tiefgreifend zu verbessern. Selbst mit dem Preisanstieg sind CO2-Zertifikate noch immer zu billig und machen es Unternehmen zu einfach, sich als nachhaltig zu positionieren. Dabei sollten in der gesamten Wertschöpfungskette Emissionen zuerst vermieden, anschließend reduziert und erst im letzten Schritt kompensiert werden – das tun allerdings nur die wenigsten.
Kompensation wäre also gar nicht notwendig, wenn Unternehmen ihre Wertschöpfungskette nachhaltig gestalten würden?
Schmiedmaier: Unternehmen können nicht von einen Tag auf den anderen die Klimaneutralität erreichen. In vielen Fällen fehlen hier die technischen Möglichkeiten. Was sie allerdings machen können, ist ihre Prozesse soweit wie möglich nachhaltig zu gestalten und die übrig gebliebenen Emissionen in Zusammenarbeit mit transparenten CO2-Zertifikats-Anbietern auszugleichen.
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Als wenig transparent haben sich zahlreiche Zertifikate nach VERRA Standards herausgestellt. Verschiedene Medienberichte sprechen davon, dass 90 Prozent der Regenwald-Kompensationsgutschriften wahrscheinlich „Phantomgutschriften“ sind und keine echten CO2-Reduzierungen darstellen. Was sagen Sie zu diesen Entwicklungen?
Schmiedmaier: Prinzipiell ist die Kompensation von Emissionen durch CO2-Zertifikate eine wichtige Finanzierungsquelle für Klimaschutzmaßnahmen und Projekte, die bedeutsamen Mehrwert für ländliche Gemeinschaften in betroffenen Ländern darstellen kann. Das Problem ist allerdings, dass der CO2-Markt auf internationaler Ebene noch immer nicht reguliert wird. Das führt dazu, dass viele Unternehmen dazu verleitet sind, billige Zertifikate zu kaufen, die nichts bewirken. Gerade im Fall von Waldschutzprojekten, die ohnehin geschützte Wälder betreffen, sind CO2-Zertifikate nicht nur wertlos, sondern könnten die globale Erwärmung noch weiter verschlimmern.
Dafür hat sich sogar ein eigener Begriff entwickelt, man nennt dieses Vorgehen „Treewashing“. Wir bei Helioz grenzen uns stark davon ab und haben einen ganzheitlichen Ansatz entwickelt. Mit solarer Wasserdesinfektion tragen wir zu 9 von 17 SDGs bei, indem wir nicht nur den CO2-Ausstoß von Familien im globalen Süden reduzieren, sondern auch sozialen Impact schaffen.
Und wie erkennen Unternehmen nun welche Anbieter es ernst mit der CO2-Kompensation meinen?
Schmiedmaier: Wie bei allen Produkten, ist auch bei dem CO2-Zertifikatserwerb darauf zu achten, was und wo gekauft wird. Im Idealfall werden sie direkt bei dem Projektanbieter erworben, da so der meiste Erlös direkt in die Projekte fließen kann. Als strengster Zertifizierungsstandard im Bereich der Kompensation gilt der Gold Standard. CO2-Einsparungen dürfen nicht profitgetrieben sein, sondern müssen nachhaltigen Kriterien entsprechen. Diese werden ständig überarbeitet und weiterentwickelt. Das führt dazu, dass die Qualität der Zertifikate stetig steigt.
Was erwarten Sie in Zukunft vom CO2-Handel?
Schmiedmaier: Auch in Zukunft muss das wichtigste sein, Impact zu schaffen statt Klimaneutralität zu Marketing-Zwecken zu missbrauchen. Das haben zum Glück schon viele Unternehmen erkannt, indem sie ehrliche Absichten verflogen und eigene CSR-Abteilungen, die sich mit dem Thema Sourcing von Zertifikaten beschäftigen, aufgestellt haben. So wächst die Nachfrage von qualitativ hochwertigen CO2-Zertifikaten und stellt trotz all der Schwierigkeiten am Markt eine positive Entwicklung dar.