Nach Rücktritt von CEO Tavares : Stellantis stellt sich neu auf - Management-Umstrukturierung und Suche nach neuem CEO

In Italien wächst die Sorge um die Zukunft der Produktionswerke des Autobauers Stellantis.

In Italien wächst die Sorge um die Zukunft der Produktionswerke des Autobauers Stellantis.

- © Stellantis Media

Nach dem unerwartet frühen Rücktritt von Stellantis-CEO Carlos Tavares im Dezember 2024 hat der internationale Automobilkonzern eine umfassende Umstrukturierung seines Managements eingeleitet. Verwaltungsratsvorsitzender John Elkann erklärte, dass die Suche nach einer dauerhaften Nachfolge in vollem Gange sei und bis zur ersten Jahreshälfte 2025 abgeschlossen werden soll. Übergangsweise hat Elkann selbst mit einem Interimsvorstand die Führung übernommen, um die Kontinuität und Stabilität des Unternehmens sicherzustellen.

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Nach der Ankündigung des Rücktritts von Tavares verzeichneten die Aktien von Stellantis einen Kursrückgang von 6,3 % an der Mailänder Börse. Die plötzliche Veränderung in der Führungsetage von Stellantis hat sowohl bei Investoren als auch bei Branchenanalysten für Unruhe gesorgt. Viele fragen sich, wie sich dieser Wechsel auf die zukünftige Ausrichtung des Unternehmens auswirken wird. Analysten betonen die Notwendigkeit einer klaren und stabilen Führung, um die aktuellen Herausforderungen zu meistern und das Vertrauen der Aktionäre wiederherzustellen.

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Hintergründe des Rücktritts von Carlos Tavares

Carlos Tavares, der seit der Gründung von Stellantis im Jahr 2021 als CEO fungierte, trat überraschend mit sofortiger Wirkung zurück. Offiziell wurden Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm, dem Vorstand und den Hauptaktionären als Grund genannt, doch Branchenexperten vermuten, dass die Entscheidung eng mit aktuellen wirtschaftlichen Schwierigkeiten zusammenhängt. So musste Stellantis im dritten Quartal 2024 einen Umsatzrückgang von 20 % hinnehmen, was den Druck auf die Führungsetage erhöhte. Zudem hatte Tavares eine strikte Kostensenkungspolitik verfolgt, die sich zwar in hohen Gewinnmargen von zehn bis zwölf Prozent niederschlug, aber auch für Unmut bei Händlern und Kunden sorgte. Seine Strategie beinhaltete erhebliche Preiserhöhungen, die insbesondere in den USA problematisch wurden. Bei der Stellantis-Tochter Chrysler führte dies zu einem dramatischen Anstieg der Lagerbestände, da die Nachfrage nach bestimmten Modellen sank. Gleichzeitig kam es zu internen Spannungen hinsichtlich der langfristigen Elektroauto-Strategie des Unternehmens. Während einige Führungskräfte einen aggressiveren Ausbau der E-Mobilität forderten, setzte Tavares auf eine eher konservative Vorgehensweise, um kurzfristige Rentabilität zu sichern.

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Unter der Leitung von Tavares hatte Stellantis ehrgeizige Ziele verfolgt, darunter Kostensenkungsmaßnahmen und eine beschleunigte Produktion von Elektrofahrzeugen. Diese Strategie stieß jedoch auf Kritik von Gewerkschaften, Händlern und internen Managern, insbesondere in Bezug auf Preiserhöhungen und hohe Lagerbestände, insbesondere bei der US-Tochter Chrysler. Diese Faktoren trugen zu seinem vorzeitigen Rücktritt bei.

Carlos Tavares Stellantis
Carlos Tavares - © Wikipedia

Interimistische Führung und Managementumstrukturierung

Nach dem Rücktritt von Tavares hat Stellantis eine Interimistische Führungsstruktur unter der Leitung von John Elkann eingerichtet. Das Interim Executive Committee (IEC) wurde gebildet, um die Geschäfte des Unternehmens bis zur Ernennung eines neuen CEO zu leiten. Dem IEC gehören mehrere hochrangige Führungskräfte an, darunter:

  • Xavier Chéreau: Leiter für Personalwesen und Unternehmensgeschichte
  • Ned Curic: Verantwortlich für Engineering und Technologie, Software und Free2move
  • Arnaud Deboeuf: Leiter für Produktion und Lieferkette
  • Antonio Filosa: Verantwortlich für die Regionen Nord- und Südamerika sowie die Marken Chrysler, Dodge, Jeep®️, Ram und das Design Nordamerika, einschließlich Maserati Design
  • Béatrice Foucher: Leiterin für Planung
  • Jean-Philippe Imparato: Verantwortlich für die erweiterte Europa-Region und die Marken Abarth, Alfa Romeo, Citroën, DS, FIAT, Lancia, Opel und Peugeot
  • Douglas Ostermann: Finanzchef
  • Maxime Picat: Leiter für Einkauf und Lieferantenqualität sowie die Regionen Naher Osten & Afrika, Indien & Asien-Pazifik und China zusammen mit Leapmotor International
  • Philippe de Rovira: Verantwortlich für Tochtergesellschaften

Diese Struktur soll die Entscheidungsprozesse straffen und die Reaktionsfähigkeit auf lokale Marktbedürfnisse verbessern. Durch die Stärkung der regionalen Führungskräfte in Bereichen wie Produktplanung, -entwicklung sowie industriellen und kommerziellen Aktivitäten soll die Effizienz gesteigert werden.

Die heutigen Ankündigungen werden unsere Organisation weiter vereinfachen und unsere lokale Agilität und Stringenz in der Ausführung erhöhen.
John Elkann

Ernennung von Antonio Filosa und weiteren Führungskräften

Antonio Filosa, der aus Italien stammende Leiter des Nordamerika-Geschäfts und als aussichtsreicher interner Kandidat für den CEO-Posten gilt, übernimmt zusätzlich die Rolle des weltweiten Qualitätsvorstands. Die Leitung der Marke Jeep gibt er an Bob Broderdorf ab. Mit Alain Favey bekommt auch Peugeot einen neuen Markenchef; er tritt die Nachfolge von Linda Jackson an, die in den Ruhestand geht.

Diese Personalentscheidungen zielen darauf ab, die Organisation weiter zu vereinfachen und die lokale Agilität sowie die Stringenz in der Ausführung zu erhöhen. Der Konzern möchte seinen Regionalleitern mehr Befugnisse bei der Produktplanung und -entwicklung sowie bei den industriellen und kommerziellen Aktivitäten einräumen, um schneller und effektiver auf Marktveränderungen reagieren zu können.

Ein weiterer wichtiger Schritt in der Umstrukturierung von Stellantis ist die Integration der Software- und Engineering-Aktivitäten unter der Leitung von Ned Curic, dem Chief Engineering and Technology Officer. Diese Maßnahme soll dazu beitragen, innovative Produkte und Dienstleistungen für alle Marken und Märkte schneller auf den Markt zu bringen. Durch die Bündelung dieser Bereiche erhofft sich der Konzern, Synergien zu nutzen und die Effizienz in der Produktentwicklung zu steigern.

Antonio Filosa
Antonio Filosa - © Stellantis

Stellantis im Wandel

Stellantis steht vor großen Herausforderungen, die über den Erfolg der kommenden Jahre entscheiden. Ein zentrales Thema ist der Wettbewerb in der Elektromobilität. Der Konzern hat sich ambitionierte Ziele gesetzt: Bis 2030 sollen 70 % der in Europa verkauften Fahrzeuge und 50 % der in den USA verkauften Fahrzeuge elektrisch sein. Doch der Markt für Elektroautos ist hart umkämpft, und insbesondere Tesla, BYD und Volkswagen üben starken Druck aus. Stellantis investiert daher massiv in den Ausbau von Batteriefabriken, den Aufbau einer besseren Ladeinfrastruktur und die Entwicklung neuer, kostengünstigerer E-Fahrzeuge. Neben der Elektrifizierung muss sich das Unternehmen auch mit Lieferketten-Problemen und steigenden Produktionskosten auseinandersetzen. Die weltweite Chip-Knappheit, hohe Rohstoffpreise und geopolitische Unsicherheiten haben die Automobilindustrie in den letzten Jahren stark belastet. Stellantis versucht, diese Risiken durch neue Lieferantenbeziehungen und eine effizientere Produktionsstrategie zu minimieren. Gleichzeitig verändern sich die Erwartungen der Kunden: Anstatt ein Fahrzeug zu kaufen, interessieren sich immer mehr Menschen für flexible Abonnement-Modelle oder Fahrzeuge mit Software-gestützten Funktionen wie Over-the-Air-Updates.

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Die Zukunftsstrategie von Stellantis umfasst drei zentrale Bereiche: die Digitalisierung, die Expansion in neue Märkte und eine konsequente Nachhaltigkeitsstrategie. Besonders im Bereich Software setzt der Konzern große Hoffnungen auf die Weiterentwicklung von software-definierten Fahrzeugen. Unter der Leitung von Ned Curic arbeitet Stellantis an verbesserten Infotainment-Systemen, autonomen Fahrfunktionen und neuen digitalen Geschäftsmodellen, die zusätzliche Einnahmequellen erschließen sollen. Parallel dazu verfolgt das Unternehmen eine ambitionierte Expansionsstrategie, um neue Märkte in Indien und Südamerika zu erschließen, während in Nordamerika neue Produktionsstätten entstehen, um Lieferkettenprobleme zu umgehen. In China will Stellantis stärker mit lokalen Partnern kooperieren, um sich gegen heimische Wettbewerber wie BYD behaupten zu können. Nachhaltigkeit spielt dabei eine entscheidende Rolle: Stellantis hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2038 CO₂-neutral zu sein, 100 % seiner Produktionsabfälle zu recyceln und durch neue Batterietechnologien die Reichweite von Elektrofahrzeugen deutlich zu erhöhen.

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