Automobilzulieferer : Zulieferindustrie: Kalte Dusche

Die Welt der Autobauer ist mancherorts zum Standbild gefroren. Als Dietmar Bahn vor wenigen Wochen von einer Geschäftsreise aus Turin zurückkehrte, hatte er einen Besuch auf der dunklen Seite des Wirtschaftsglobus hinter sich. „In Italien werden nur mehr Luxusmarken und Spitzenweine verkauft. Investitionen liegen auf Eis.“ Der Geschäftsführer und Miteigentümer des Trauner Spezialmaschinenherstellers Anger Machining hatte an einem „Suppliers‘ Innovation Day“ bei Fiat teilgenommen: „Da waren 30 hochinnovative Unternehmen, die viel zu zeigen hatten. Und keinen der Einkäufer hat es wirklich interessiert“, kommentiert Bahn unmittelbar nach seiner Rückkehr unwirsch. Seine Erklärung: „Die Stimmung ist in Italien am Nullpunkt.“ Es gibt derzeit aber auch sonnigere Plätzchen fürs Geschäft. Im Jänner organisierten die heimischen Autocluster einen vergleichbaren Zuliefertag bei BMW in München. Dietmar Bahn war auch dort dabei: „Wenn jemand etwas besser, leichter oder schneller fertigen konnte, dem wurde zugehört. Von Apathie keine Spur.“ Absatzminus in Europa Nach den Einbrüchen in den mediterranen Automärkten ist die Kaufzurückhaltung aber auch im größten Automarkt Europas angekommen. Die durchwachsenen Befindlichkeiten der Zulieferer wurzeln in den miesen Zulassungsstatistiken, die im wichtigen Markt Deutschland und dem kleinen, aber bislang stabilen Österreich zu verzeichnen waren (jeweils minus 9 Prozent für das 1. Quartal). Bislang unantastbare Marktgrößen wie VW und Daimler kündigten an, sich für den Rückgang am Heimmarkt zu rüsten. Dazu treten angekündigte oder diskutierte Werkschließungen bei den europazentrierten Herstellern PSA, Opel und Fiat. Roland Berger und Partner spricht in einer aktuellen Studie von 75.000 Zulieferjobs, die in den kommenden fünf Jahren auf der Kippe stehen.Lesen Sie weiter: Die Nervosität steigt

Vorzeichen, die unter den heimischen Autozulieferern für nervöse Stimmung sorgen. „Das ist wie beim Segeln, wenn bei tollem Wetter eine Schlechtwetterwarnung ausgegeben wird“, erklärt Wolfgang Komaz, Geschäftsführer des oberösterreichischen Automobil-Clusters. Und das, obwohl die Auftragslage derzeit „unverändert gut bis sehr gut“ sei. Für Kollege Peter Kuen, Geschäftsführer der Austrian Automotive Association, sind sogar „keine aktuellen Krisen absehbar“. Dennoch machen sich die Firmen bei guter Auslastung sturmfest. „Fliegen auf Sicht“ nannte dies ein Unternehmer bei einer Tagung: Investitionen werden aufgeschoben, Arbeitskapazitäten so weit wie möglich flexibilisiert, Verkaufsbemühungen diversifiziert, Partnerschaften geschmiedet – und Innovationen weitergetrieben. Technologievorsprung scheint dieser Tage das sicherste Mittel zu sein, sich aus der Krise zu ziehen. Volle Auftragsbücher bis 2016 Das macht der Trauner Maschinenbauer Anger Machining vor. Für Geschäftsführer Dietmar Bahn sind Krisen nichts Neues. Als der gelernte Unternehmensberater gemeinsam mit seinem Kompagnon Klaus Dirnberger bei Anger 2005 eingestiegen ist, war das Unternehmen pleite. Das einzige Asset lag in der von Unternehmensgründer Anton Anger entwickelten Technologie der Transferzentren. Die beiden Neo-Chefs machten sich daran, mit der Unterstützung von Private-Equity-Fonds und staatlichen Förderinstitutionen die Technologie für die Autoindustrie nutzbar zu machen. Sie waren erfolgreich: Heute gibt es 165 Mitarbeiter – bis Jahresende sollen es 180 sein. Anger-Maschinen bauen hochpräzise Ventil- und Getriebegehäuse aus Aludruckguss, die bei Daimler, Chrysler, VW und ZF in Automatik- und Doppelkupplungsgetriebe eingebaut werden. ZF etwa hatte in einem ersten Los mit 1,5 Mio. neuen Automatikgetrieben gerechnet. Produziert wurden drei Millionen – mit Maschinen aus Traun. Dietmar Bahn klingt leicht euphorisch, wenn er erklärt: „Unsere Auftragsbücher sind voll bis 2016.“Lesen Sie weiter: Verhaltener Jahresauftakt

Ähnlich klingt es, wenn der Vertriebsvorstand der Miba Sinter-Group, Michael Niedersüß, über seine Erwartungen des Geschäftsjahres 2013 spricht: „Wir gehen in der gesamten Miba-Gruppe von weiteren Umsatzsteigerungen aus dem automotiven Geschäft aus.“ Dabei war 2012/13 mit einem Umsatzplus von 2,4 % (606 Mio.) und einem EBIT- Zuwachs von 4,2 % (70 Mio.) schon sehr passabel. Niedersüß berichtet zwar von „Branchenevents, die schon mal lustiger waren“, der Absatz von Sparmotoren- und effizienten Getriebekonfigurationen sei aber unverändert stark – und damit auch die Nachfrage nach gesinterten Miba-Komponenten: „Wir wachsen mit unserer Technologie, auch wenn der Autoabsatz in manchen Märkten rückläufig ist.“ Verhaltener Jahresauftakt Die rosarote Gefühlswelt der Miba- und Anger-Manager wird derzeit aber nicht von allen Branchenkollegen geteilt. Peter Felsbach, Sprecher der Voestalpine, beklagt eine „sehr gedämpfte Nachfrage, auch aus dem Automobilbereich.“ Die Linzer Blech- und Pressspezialisten machen knapp 30 Prozent ihres 12-Milliarden-Euro-Umsatzes (2011/2012) im automotiven Bereich und repräsentieren nach Magna die Speerspitze der österreichischen Automobilwirtschaft. Die Karosserieteile der Voestalpine sind einer wesentlich volatileren Nachfrage ausgesetzt als Getriebe- und Motorenteile. Peter Felsbach sieht für die Produkte seines Unternehmens kurzfristig wenig Luft nach oben: „Entgegen den Herbstprognosen erkennen wir seit Jahresbeginn keine wesentliche Besserung. An dieser Situation wird sich unserer Einschätzung nach auch nichts bis 2014 ändern.“Selbst Zulieferprimus Magna vermag nicht länger zu dementieren, dass die Auftragsfertigung in Steyr und Graz an Auslastungsproblemen leidet. Donald Walker, Chef der Magna-Gruppe, ließ in einem Interview mit der deutschen „Wirtschaftswoche“ keinen Zweifel, dass „wir für den Standort Graz weitere Aufträge brauchen, etwa mit Stückzahlen von 20.000 bis 30.000, aber auch von 70.000“. Graz müsse effizienter werden, denn „Österreich ist ein Hochlohnland“.Lesen Sie weiter: Schrumpfende Fertigungstiefe

Für Lars Stolz, Zulieferexperte des internationalen Consulters Oliver Wyman in München, wurden die automotiven Manager aus Schaden klug: „Die Erfahrungen aus 2008 und 2009 haben zu flexibleren Strukturen und besser ausbalancierten Märkten geführt.“ Die Abhängigkeit von einzelnen Marken und Märkten wurde reduziert. „Wer nur für Opel oder Fiat gearbeitet hat, hat heute ein Problem. Wer heute nur für BMW oder nur für VW arbeitet, kann morgen ein Problem haben.“ Gleiches gelte für Märkte: „Die Hersteller und Tier-1-Zulieferer erwarten, dass ihre europäischen Partner ihren Job auch in China, USA und Brasilien machen. Das gilt heute auch bei mittelständischen und kleinen Betrieben.“ Chinaerlöse tonangebend Die Globalmarktstrategie der deutschen Premiummarken und von VW ist verantwortlich, dass die Konzerne aus München, Stuttgart oder Wolfsburg sich stark präsentieren wie nie. Sie verdienen in den USA und China so richtig Geld. Da sind die Absatzdellen in Europa verschmerzbar. Das Prinzip greift auch bei den mittelständischen Zulieferern. Der Karlsteiner Schiebedach-Spezialist Pollmann hat 2007 ein Werk im chinesischen Kunshan eröffnet, das Türschließsysteme im Auftrag von Magna International und Schiebedachmechaniken für alle gängigen Marken herstellt. Die chinesischen Erlöse waren in der Krise 2009 „entscheidend“, die damals hagelnden Stornos zu überbrücken, wie der geschäftsführende Gesellschafter Robert Pollmann einmal dem INDUSTRIEMAGAZIN erzählte. Heute arbeiten 350 Mitarbeiter in Kunshan für die Waldviertler (Gesamtmitarbeiterstand von 1200 in Österreich, Tschechien, den USA und China). Miba-Manager Michael Niedersüß lässt an sechs Standorten auf der ganzen Welt arbeiten: „Internationalisierung ist keine Flucht aus Österreich. Wir wachsen in Vorchdorf, gerade weil wir weltweit im Geschäft sind.“ Schrumpfende Fertigungstiefe Für Berater Lars Stolz ist die notwendige Expansion der Zulieferer eine Wachstumsschwelle für unternehmergeführte KMU: „Es sind die Managementkapazitäten und Organisationsstrukturen, die den Firmen Schwierigkeiten beim Aufbau globaler Standorte machen.“ Der Sprung vom chefzentrierten Unternehmen zur international agierenden Gruppe ist für viele mittelständische Unternehmen schwieriger als die Mobilisierung des notwendigen Kapitals. Trotz des aktuellen Zyklustals bleibt die Zulieferbranche für ihn aber eine Wachstumsbranche, von der auch Europa profitieren wird. Der Trend zur schrumpfenden Fertigungstiefe ist bei den Herstellern ungebrochen: „Im Produktionsbereich steigt der Wertschöpfungsanteil der Zulieferer bis 2025 von 65 auf über 70 Prozent. Für schnelle und kluge Unternehmen gibt es da jede Menge zu tun.“Sehen Sie hier: Die 10 größten Automobil-Zulieferer der Welt