Logistik : Lieferkettengesetz: “Viele unterschätzen nach wie vor den Aufwand”

"Experten erwarten, dass die flächendeckende europäische Lösung strenger, weil detailierter, ausfallen wird."
Marianne Schulze, Social Sustainability Expertin, PwC Österreich
Künftig endet die Verantwortung von Unternehmen nicht länger am eigenen Werkstor, sondern besteht entlang der gesamten Lieferkette. Mit der Corporate Sustainability Due Diligence Directive, kurz CSDD Richtlinie, nimmt die EU Großunternehmen in die Pflicht.
Lesen Sie hier, was die Industriellenvereinigung zum Lieferkettengesetz sagt.
Künftig sollen sie für die Achtung der Menschenrechte in ihren weltweiten Lieferketten, aber natürlich auch im eigenen Betrieb, verantwortlich sein. Ein Blick nach Deutschland zeigt, wie dieses neue Lieferkettengesetz aussehen könnte. Ab 2023 sind dort Unternehmen ab einer Größe von 3.000 Mitarbeitenden verpflichtet, für die Einhaltung der Menschenrechte entlang der gesamten Lieferkette zu sorgen. Ab 2024 wird die Regelung auf Firmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden ausgeweitet.
Das INDUSTRIEMAGAZIN hat mit Marianne Schulze, Social Sustainability Expertin bei PwC Österreich, gesprochen.

Vorausschauend agieren als Vorteil
INDUSTRIEMAGAZIN: Frau Schulze, was schreibt das deutsche Lieferkettengesetz vor?
Marianne Schulze: Das Gesetz konkretisiert, in welcher Form Unternehmen ihre menschenrechtliche Sorgfaltspflicht, also ihre „Due Diligence“, zu erfüllen haben. Dazu zählt das Analysieren der menschenrechtlichen Risiken, das Umsetzen von Präventions- und Abhilfemaßnahmen und das Einrichten von Beschwerdemöglichkeiten. Allem voran müssen Unternehmen über ihre Aktivitäten berichten, das soll zur Transparenz beitragen.
Tipp der Redaktion: Hören Sie im IM-Podcast: Andreas Fill vs. Josef Zotter im Streitgespräch zum Lieferkettengesetz
Wie haben sich deutsche Unternehmen auf die Vorgaben vorbereitet? Was können österreichische Unternehmen daraus lernen?
Schulze: Menschenrechtliche- und umweltschützende Fragen werden quer durch die Unternehmen zum Thema und im Risikomanagement verankert sowie sukzessive in Berichtspflichten integriert.
Dort, wo es bereits einen Code of Conduct gibt, werden Aktualisierungen vorgenommen, die oft auch mit einer internen Diskussion über die wichtigsten menschenrechtlichen Fragen innerhalb des Unternehmens einhergehen. Vorausschauend zu agieren und bereits bestehende Standards intern etablieren - wie die UN Guiding Principles - ist definitiv ein Vorteil.
Inwieweit betrifft das deutsche Gesetz österreichische Unternehmen?
Schulze: Bei entsprechender Größe eines Tochterunternehmens, bei einer Verbundenheit iSd Aktienrechts bzw. einer bestimmenden Einflussmöglichkeit im Sinne des Unternehmensrechts. Sofern diese zutrifft, sind die Vorgaben zur Prävention, Etablierung von Risikomanagement, Beschwerdemöglichkeit, Benennung einer verantwortlichen Person, entsprechende Policy und jährliche Berichtspflichten schlagend.
Die deutsche Vorgabe gilt als Vorgeschmack für die EU-weite Lösung. Wo liegen die Unterschiede zur CSDD Richtlinie?
Schulze: Experten erwarten, dass die flächendeckende Lösung strenger, weil detailierter, ausfallen wird: Im Vergleich zum deutschen Lieferkettengesetz bezieht sich die CSDD Richtlinie auch auf mehr Menschenrechtsverträge der Vereinten Nationen sowie den Menschenhandel oder Klimarisiken wie Abholzung oder den Einsatz von Pestiziden.
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Was erwartet die CSDD Richtlinie von Firmen konkret?
Schulze: Von Unternehmen mit 500 Mitarbeitenden und einem Umsatz von 150 Millionen - oder mit 250 Mitarbeitenden und 40 Millionen Umsatz, wenn sie bestimmte Textilprodukte erzeugen oder Lebensmittel- oder Agrarproduktion betreiben oder Mineralien fördern - wird erwartet, dass sie ihre Leistung in Bezug auf Themen wie Kinderarbeit, Ausbeutung von Arbeitnehmer:innen, sichere Arbeitsbedingungen, Verlust der Biodiversität und Umweltverschmutzung überwachen und optimieren. Bei nicht Einhalt drohen Unternehmen Strafen, die sich je nach Größe der Firma auch am Jahresumsatz orientieren können
Wie sind österreichische Unternehmen darauf vorbereitet? Müssen sie bereits jetzt handeln?
Schulze: Unternehmen mit entsprechender Größe bzw. Umsatz müssen sich mit den Vorgaben auseinandersetzen; die EU-Kommission schätzt, dass das erst knapp über ein Drittel getan haben. Viele unterschätzen nach wie vor den Aufwand. Wieder andere haben bereits freiwillige Vorarbeit geleistet und sind jetzt mit einigen Adaptierungen gesetzeskonform.
Wie zielführend ist der EU-Vorschlag? Oder ist die Regelung nur erheblicher Mehraufwand für Unternehmen?
Schulze: Die EU will ihre Klimaschutz Bemühungen auf allen Ebenen umsetzen, da sind größere Unternehmen ein logischer Teil. Neben mehr Nachhaltigkeit und Regionalität, soll damit auch wesentlich mehr Transparenz und im Ergebnis auch Vergleichbarkeit geschaffen werden.
Ist die EU-Lieferketten-Richtlinie der Start in eine faire Wirtschaft?
Schulze: Diese Bemühungen gibt es ja schon länger, die Richtlinie baut auf den UN Guiding Principles und den OECD Leitlinien für multinationale Konzerne auf; es ist also eine Bestärkung dieser Vorhaben.
ZUR PERSON
Marianne Schulze, 47 ist Social Sustainability Expertin bei PwC Österreich. Seit März 2022 berät die Juristin mit Menschenrechtsfokus namhaften Kund:innen unter anderem bei der Risiko-Analyse ihrer globalen Lieferketten und der damit verbundenen Sorgfaltspflichten. Zuvor war die Austro-Australierin u.a. in die Beschlussfassung der SDGs - Sustainable Development Goals - involviert. Soeben wurde sie in den Universitätsrat der Paris Lodron Universität Salzburg gewählt.