EU Lieferkettengesetz : Lieferkettengesetz geschwächt: Warum Europas Industrie jetzt aufatmet

Die EU-Mitgliedstaaten setzen sich beim Lieferkettengesetz für weitere Zugeständnisse an die Wirtschaft ein.
- © N. Theiss - stock.adobe.comDie EU-Mitgliedstaaten haben sich beim geplanten Lieferkettengesetz auf weitreichende Zugeständnisse an die Wirtschaft verständigt. Bereits zuvor war beschlossen worden, den Start der neuen Regeln auf den 26. Juli 2028 zu verschieben – ein Jahr später als ursprünglich geplant. Nun folgte ein weiterer Schritt: Die Vorschriften sollen für deutlich weniger Unternehmen gelten als zunächst vorgesehen. Außerdem sollen Firmen künftig weniger Daten zu ihren Produktionsketten liefern müssen. Diese Entscheidungen trafen die Vertreter der 27 EU-Länder am Montagabend in Brüssel und markieren eine deutliche Abschwächung der ursprünglich ambitionierten Gesetzespläne.
>>> EU verschiebt Lieferkettengesetz: Was das für Österreichs Unternehmen bedeutet
Immer auf dem Laufenden bleiben zu den wichtigsten Entwicklungen rund um das EU-Lieferkettengesetz und die Industriepolitik in Europa? Abonnieren Sie unser Daily Briefing: „Was in der Industrie wichtig wird“ – werktäglich um 7 Uhr direkt in Ihre Inbox.
Lieferkettengesetz 2028: Neue Schwellenwerte für Konzerne
Nach dem ursprünglichen Entwurf sollten Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von mindestens 450 Millionen Euro verpflichtet werden, Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen und Umweltverstöße entlang ihrer gesamten Lieferkette zu übernehmen. Jetzt aber will der EU-Rat diese Schwelle deutlich erhöhen: Nur noch Unternehmen mit mehr als 5.000 Beschäftigten und mindestens 1,5 Milliarden Euro Jahresumsatz sollen künftig unter das Gesetz fallen. Diese Neuregelung würde sich am aktuellen französischen Modell orientieren. In Deutschland schreibt das bestehende Lieferkettengesetz derzeit Regeln für Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten vor. Die schwarz-rote Bundesregierung unter Friedrich Merz (CDU) will es jedoch abschaffen – ein Vorhaben, das bereits politische Spannungen ausgelöst hat.
Auch in Österreich beobachtet die Industrie die Entwicklungen rund um das EU-Lieferkettengesetz mit großer Aufmerksamkeit. Bisher existiert kein nationales Lieferkettengesetz, weshalb die heimischen Unternehmen stark von der EU-weiten Regelung betroffen wären. Mit der geplanten Anhebung der Schwellenwerte auf 5.000 Beschäftigte und 1,5 Milliarden Euro Umsatz wären nur wenige österreichische Großunternehmen direkt erfasst. Wirtschaftsvertreter in Österreich begrüßen die Entschärfung, während NGOs und Arbeitsrechtsexperten kritisieren, dass dadurch wichtige Hebel zur Wahrung von Menschenrechten und Umweltstandards auf internationaler Ebene verloren gehen könnten.
Weniger Transparenz in der Lieferkette: Fokus auf direkte Zulieferer
Neben der Anhebung der Schwellenwerte sollen auch die inhaltlichen Anforderungen gelockert werden. Künftig müssten Unternehmen nicht mehr die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards in ihrer gesamten Lieferkette prüfen, sondern nur noch bei ihren direkten Zulieferern. Auch die Berichtspflichten sollen deutlich entschärft werden: Statt umfassender Offenlegungspflichten sollen nur noch besonders risikobehaftete Lieferketten strengen Anforderungen unterliegen. Die EU-Regierungen möchten Unternehmen dadurch von bürokratischen Belastungen entlasten – was Kritiker jedoch als Rückschritt bei der Bekämpfung globaler Ausbeutung werten.
Keine EU-Haftung mehr: Zivilrechtliche Durchsetzung stark geschwächt
Ein besonders brisanter Punkt der aktuellen Revision ist die geplante Abschaffung der EU-weit harmonisierten zivilrechtlichen Haftung im Rahmen der Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD). Ursprünglich sah der Gesetzesentwurf vor, dass betroffene Unternehmen im Falle einer Verletzung menschenrechtlicher oder umweltbezogener Sorgfaltspflichten auch von geschädigten Personen oder NGOs EU-weit haftbar gemacht werden können. Mit dem sogenannten „Omnibus-Paket“ wird diese Regelung nun gestrichen. Stattdessen liegt die Verantwortung künftig ausschließlich bei den einzelnen Mitgliedstaaten, die eigene zivilrechtliche Haftungssysteme vorsehen oder nicht.
Human Rights-Advocacy-Gruppen wie OGP Global Rights warnen davor, dass durch diesen Schritt der Zugang zu Recht für Opfer grenzüberschreitender Menschenrechtsverletzungen massiv eingeschränkt wird. Sie heben hervor, dass ein fragmentierter Rechtsrahmen in vielen Fällen keine bessere Durchsetzbarkeit ermögliche, sondern das Gegenteil bewirke – weil national unterschiedliche Schwellen und Hürden bestehen, die den Weg für Klagen erschweren . Historische Präzedenzfälle, wie etwa toxische Abfalltransporte eines schwedischen Bergbauunternehmens nach Chile in den 1980er Jahren, zeigen deutlich, wie lückenhafte nationale Regelungen zu unzureichenden Entschädigungen führten.
>>> Weniger Pflicht, mehr Praxis: Wie Österreichs Industrie auf das EU-Lieferkettengesetz reagiert
Rechtsexperten kritisieren, dass die Streichung der EU-Haftung die ursprünglich angestrebte einheitliche Rechtsdurchsetzung unterminiert. Ohne EU-weite zivilrechtliche Ansprüche entstehe ein „Flickenteppich“ nationaler Verfahren mit stark variierenden Effektivitätsgraden und Rechtsklarheit . Beispielsweise muss jede nationale Gerichtsbarkeit nun individuell entscheiden, ob NGOs oder Gewerkschaften im Namen von Betroffenen klagen dürfen – eine Möglichkeit, die im ursprünglichen Entwurf noch ausdrücklich eingeräumt war.
Zudem entfällt die EU-Vorgabe, landesübergreifend Sammelklagen zuzulassen oder hohe finanzielle Sanktionen (wie bis zu 5 % des weltweiten Konzernumsatzes) zu verhängen – auch diese Anreize zur Durchsetzung werden gestrichen . Menschenrechtler*innen und NGOs kritisieren, dass damit aus einem sonst potenziell wirksamen Instrument zur Durchsetzung globaler Standards eine zahnlose Regelung wird, die vor allem wirtschaftlichen Interessen Rechnung trägt .
Insgesamt bedeutet die Streichung der EU-weit geltenden zivilrechtlichen Haftung eine deutliche Verschiebung zugunsten nationaler Souveränität – doch Kritiker warnen, dass dies auf Kosten verstärkter Gerechtigkeit für Opfer von Menschenrechtsverletzungen geht und die EU ihre ambitionierte Rolle als Garant für globale Unternehmensverantwortung aufs Spiel setzt.
Lieferkettengesetz: Österreichs Industrie begrüßt Entschärfung
Die Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) und die Industriellenvereinigung (IV) haben sich klar zu den jüngsten Rücknahmen beim EU-Lieferkettengesetz geäußert. Sie begrüßen grundsätzlich die geplanten Lockerungen, insbesondere die angehobenen Schwellenwerte (5.000 Beschäftigte / 1,5 Mrd. € Umsatz) und die damit verbundene Entlastung von KMU und mittelständischen Unternehmen – diese befänden sich sonst in einer angespannten wirtschaftlichen Lage.
WKÖ-Präsident Harald Mahrer betont, dass überbordende bürokratische Anforderungen die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs unter Druck setzen würden. Gemeinsam mit der WK-Oberösterreich und weiteren Landeskammern fordern sie eine klare, praxisorientierte Umsetzung der CSDDD-Vorgaben – ohne „Gold Plating“ und mit abgestimmten Berichtsanforderungen zwischen CSRD und der Lieferkettenrichtlinie .
Auch die IV geht mit deutlichen Worten vor. Kärntens IV-Präsident Timo Springer bezeichnete den ursprünglichen Entwurf als „Bürokratiemonster“, dessen volle Umsetzung KMU unmöglich wäre. Viele Betriebe in Branchen wie Logistik und Produktion führten bereits eigenständige Sorgfaltsprüfungen durch – deren Ausweitung auf die gesamte Zulieferkette sei jedoch schlicht unrealistisch