Stahl- & Rüstungsindustrie : Börsengang, Jobabbau, Spartenverkauf – Was bleibt von Thyssenkrupp?

Für Miguel López läuft es derzeit glänzend: Erst verlängerte der Aufsichtsrat Ende Juni seinen Vertrag als Thyssenkrupp-Chef vorzeitig um fünf Jahre. Dann folgte ein fast einstimmiger Rückenwind von den Aktionären: Mit 99,96 Prozent stimmten sie auf einer außerordentlichen Hauptversammlung für López’ Plan, die Marinesparte TKMS abzuspalten. Künftig soll das Geschäft mit Standorten in Kiel, Wismar und Brasilien als eigenständige Tochter agieren – Thyssenkrupp behält nur mehr 51 Prozent, der Rest geht direkt an die Aktionäre proportional zu ihren Anteilen am Mutterkonzern. 

Der 59-jährige Deutsch-Spanier führt den Industriekonzern seit 2022. Zuvor war er für Siemens tätig, zuletzt als Chef des Spanien-Geschäfts. In Essen muss López seit seinem Amtsantritt immer wieder gegen Widerstände aus Betriebsräten und Gewerkschaften ankämpfen – allen voran im Dauerproblemfeld Stahl. Dort drohen massive Einschnitte: Allein in Duisburg sollen 11.000 Stellen wegfallen. 

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Vor wenigen Tagen legte CEO Miguel López die Zahlen für das dritte Quartal vor – und die Aussichten für das laufende Geschäftsjahr haben sich weiter eingetrübt. „Das schwache Marktumfeld in wichtigen Kundenindustrien wie der Automobilindustrie, dem Maschinen- und Anlagenbau und der Bauwirtschaft sind für uns deutlich zu spüren“, so López.

Einziger Hoffnungsträger bleibt die Marinesparte TKMS, die vor ihrer Abspaltung steht und sowohl Neugeschäft als auch Umsatz steigern konnte. Doch der Erfolg reicht nicht, um die Schwäche in anderen Segmenten auszugleichen. Für das Geschäftsjahr 2024/25 (per Ende September) rechnet Thyssenkrupp inzwischen mit einem Umsatzrückgang von fünf bis sieben Prozent – bislang war lediglich von Stagnation oder einem Rückgang um bis zu drei Prozent die Rede. Unter dem Strich weitete sich der Verlust deutlich aus: 278 Millionen Euro nach 54 Millionen Euro im Vorjahreszeitraum.

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Steel Europe ist das Herzstück von Thyssenkrupp – und zugleich sein größtes Sorgenkind. Rund 27.000 Menschen arbeiten in Duisburg, Bochum, Dortmund, Gelsenkirchen und Andernach für die Stahlsparte, deren Kunden von Siemens und Bosch bis zu Hochtief und RWE reichen. Trotz eines Umsatzanteils von 25 Prozent steckt das Geschäft seit Jahren tief in der Krise: sinkende Nachfrage, Billigimporte aus China und Indien, Preise auf Vierjahrestief.

Noch dazu verlangt die Transformation zur klimafreundlichen Produktion Milliardeninvestitionen. Allein die geplante wasserstoffbetriebene Direktreduktionsanlage in Duisburg verschlingt rund drei Milliarden Euro. Die Folge: hohe Verluste durch den anhaltenden Restrukturierungsdruck.

Bereits 2023 stieg der tschechische Milliardär Daniel Křetínský bei Thyssenkrupps kriselnder Stahlsparte ein. Der Unternehmer, der sein auf rund zehn Milliarden Euro geschätztes Vermögen mit Kohle und Gas aufbaute und inzwischen massiv in Energie und Handel investiert, hält seither 20 Prozent an Steel Europe.

Nun will Thyssenkrupp weitere 30 Prozent abgeben – Křetínský und der Konzern würden damit zu gleichberechtigten Partnern in einem 50:50-Joint-Venture. Noch aber hakt es: Strittig ist, wie viel Finanzpolster Thyssenkrupp der Stahlsparte bei der geplanten Ausgliederung mitgeben muss.

Fest steht: Der Sanierungskurs wird hart. 5.000 Stellen sollen in den kommenden fünf Jahren gestrichen, weitere 6.000 ausgelagert werden. Zwei der vier Hochöfen in Duisburg gehen vom Netz, die jährliche Rohstahlproduktion sinkt von elf auf neun Millionen Tonnen.

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Während andere Sparten schwächeln, erlebt Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS) einen Höhenflug. Angetrieben von geopolitischen Spannungen und dem europäischen Rüstungsboom stößt die Kieler Werft an ihre Kapazitätsgrenzen. Neue U-Boot-Aufträge aus Deutschland und Norwegen erfordern zusätzliche Kapazitäten – auch in Wismar, wo Thyssenkrupp 2022 eine insolvente Werft übernommen hat und bis 2030 rund 1.500 neue Jobs schaffen will.

TKMS baut U-Boote, Fregatten und Spezialschiffe, liefert Elektronik und Systemintegration und entwickelt Technologien zur Beseitigung von Munitionsaltlasten. Mit 8.000 Beschäftigten erzielte die Sparte 2023/24 rund 2,2 Milliarden Euro Umsatz (+30 %) und 125 Millionen Euro Gewinn. Der Auftragsbestand summiert sich auf 18 Milliarden Euro.

Anfang August segneten die Aktionäre den Börsengang ab. Thyssenkrupp behält eine Mehrheit von 51 Prozent, eine etwaige Staatsbeteiligung ist derzeit noch nicht beschlossene Sache. Damit ist der Spin-off offiziell besiegelt – Aktionäre erhalten zusätzliche TKMS-Anteile, die künftig frei handelbar sind.

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Ausgerechnet wenige Wochen vor dem Börsendebüt muss TKMS einen ersten Rückschlag hinnehmen: Im milliardenschweren Wettstreit um neue Fregatten für die australische Marine ging der Auftrag nach Japan. Canberra entschied sich für Mitsubishi Heavy Industries – ein Deal im Volumen von rund zehn Milliarden US-Dollar, einer der größten Marineaufträge in der Geschichte Australiens.

TKMS war mit der Fregatte Meko A-200 ins Rennen gegangen, unterlag jedoch der weiterentwickelten Mogami-Klasse aus Japan. Für Thyssenkrupp ist die Niederlage mehr als nur ein entgangenes Geschäft – sie trübt die Euphorie um den Börsengang der Marinesparte und zeigt, wie hart der internationale Wettbewerb im Rüstungssektor ist.

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Die Autozuliefer-Sparte galt lange als verlässlicher Umsatzbringer – jetzt steht sie vor der Zerschlagung. Unter dem Dach von Automotive Technology produziert Thyssenkrupp Fahrwerks- und Motorenteile, Lenkungen, Dämpfungssysteme sowie komplette Montagelinien für den Karosseriebau. Kunden sind fast alle großen Hersteller von VW, BMW und Mercedes bis Toyota und Hyundai. Mit rund 20 Prozent Anteil am Konzernumsatz war die Sparte bisher eine tragende Säule.

Doch der Druck wächst: Absatzflaute, steigende Energiekosten und Billigkonkurrenz aus China setzen die gesamte Branche unter Druck. Hinzu kommen die Milliardeninvestitionen in die Elektromobilität. Während Wettbewerber wie Bosch, ZF und Continental tausende Stellen streichen, zieht auch Thyssenkrupp Konsequenzen. Die Sparte wird in vier eigenständige Einheiten aufgespalten – ein Signal, dass man sie perspektivisch für Investoren und Partnerschaften öffnen will.

Die Zahlen sind ernüchternd: 2023/24 sank der Umsatz um 11 Prozent auf 7,5 Milliarden Euro, der Gewinn schrumpfte auf 245 Millionen Euro. Im ersten Quartal 2024/25 brach der bereinigte Gewinn sogar um 75 Prozent ein. Bereits im Frühjahr kündigte der Konzern harte Einschnitte an: 1.800 Stellenstreichungen, Schließung des Federnwerks in Hagen mit 300 Jobs bis 2026 sowie weitere Kürzungen an Standorten in Baden-Württemberg.

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Thyssenkrupps grüne Hoffnungsträger bleiben vorerst im Konzern. CEO Miguel López kündigte an, die junge Sparte Decarbon Technologies erst dann zu verselbstständigen, „wenn die Märkte für grüne Technologien ausreichend Fahrt aufgenommen haben“.

Das Segment bündelt Schlüsselunternehmen für die industrielle CO₂-Reduktion: Rothe erde liefert Großwälzlager für Windkraft und Wasserstofftanks, Uhde baut Anlagen für grünen Wasserstoff, Ammoniak und Methanol, Polysiusmodernisiert Zementwerke für Kunden wie Heidelberg Materials. Als einziges Unternehmen der Sparte ist Nucera bereits seit 2022 an der Börse gelistet, das Unternehmen entwickelt Elektrolyseure für die Wasserstoffproduktion.  Insgesamt arbeiten rund 12.700 Beschäftigte in Europa, Nordamerika und Asien an der grünen Transformation.

Wirtschaftlich ist das Geschäft aber noch nicht tragfähig: 2023/24 erwirtschaftete Decarbon Technologies 3,9 Milliarden Euro Umsatz, unterm Strich blieb jedoch ein Verlust von 54 Millionen Euro. Trotz politischem Rückenwind fehlt es dem Segment an Profitabilität – ein Börsengang ist daher auf unbestimmte Zeit verschoben.

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Ein massiver Auftragseinbruch, rote Zahlen und der überraschende Rückzug aus den USA setzen Thyssenkrupp Nucera massiv unter Druck.

Neue Aufträge sind im jüngsten Quartal um 77 Prozent eingebrochen – von 271 auf nur noch 63 Millionen Euro. Der Auftragsbestand hat sich nahezu halbiert, von 1,3 auf 0,7 Milliarden Euro. Der Umsatz sackte um 22 Prozent auf 184 Millionen Euro, unterm Strich stand ein Verlust von zwei Millionen Euro – nach sieben Millionen Euro Gewinn im Vorjahr.

Überraschend verkündete Nucera im August den Rückzug aus dem US-Markt. Nucera verabschiedet sich von Projekten, die wegen steuerlicher Änderungen und unsicherer Rahmenbedingungen nicht mehr rentabel erscheinen. Die Entscheidung wirft Fragen auf – und verstärkt den Druck auf ein Unternehmen, das die Wende dringend braucht.

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Trotz schwacher Zahlen und gesenkter Prognosen genießt Thyssenkrupp-Chef Miguel López weiterhin die volle Unterstützung der einflussreichen Krupp-Stiftung, die 21 Prozent der Anteile hält. „Die Vertragsverlängerung von Miguel López steht für Kontinuität und Verlässlichkeit in einer Phase, in der Stabilität entscheidend ist“, erklärte die Stiftung bereits im Juli. Nur ein gesunder Konzern könne langfristig ein verlässlicher Arbeitgeber sein – deshalb stehe man hinter den eingeleiteten Maßnahmen.

Auch die Abspaltung der Marinesparte TKMS begrüßte die Stiftung ausdrücklich. Schon 2022 hatte der Konzern seine Wasserstoff-Tochter Nucera an die Börse gebracht. Die nun beschlossene Verselbstständigung von TKMS sei „ein zentraler Schritt der strategischen Neuausrichtung“. Durch die eigenständige Aufstellung und die Mehrheit von Thyssenkrupp entstünden „neue Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten für TKMS und seine Beschäftigten“.

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