Ballistischer Schutz aus Seibersdorf : RHP-Technology: Warum Europas Schutz im Werkstofflabor beginnt

Kerami RHP

RHP-Chef Michael Kitzmantel mit Mitarbeiterinnen und ballistischer Keramik für sicheren Körperschutz: "Europas technologische Eigenständigkeit rückt ins Zentrum sicherheitspolitischer Strategien."

- © RHP-Technology

Als Michael Kitzmantel und Erich Neubauer 2010 den Schritt aus dem AIT Austrian Institute of Technology in die Selbstständigkeit wagten, war der Weg klar umrissen – wenn auch ambitioniert. „Wir haben sehr rasch erkannt, dass es wirtschaftlich tragfähige Anwendungsmöglichkeiten für das klassische Heißpressverfahren gibt, wenn man es mit moderner Anlagentechnik und kurzen Zykluszeiten kombiniert“, erinnert sich Kitzmantel. Die Technologie – Rapid Hot Pressing – war vorhanden, der industrielle Bedarf ebenso. Was fehlte, war ein marktorientierter Entwicklungspartner. Die RHP-Technology GmbH wurde gegründet.

Spin-off mit Tiefgang

Die Wurzeln der RHP reichen in die damalige Werkstoffentwicklungsgruppe am Standort Seibersdorf zurück. Nach einer internen Reorganisation im AIT war klar: Werkstoffe würden nicht länger eine eigenständige Säule im Forschungsinstitut darstellen. Kitzmantel und sein Team nutzten diese Chance. Aus einem Kernteam von fünf Personen entstand das Spin-off, das heute rund 40 Mitarbeiter beschäftigt und jährlich über 100 Kunden- und Forschungsprojekte bearbeitet. 

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„Anfangs hatten wir viel ausgelagert, von Fräsen und Schleifen bis zur Qualitätskontrolle“, erzählt Kitzmantel. Doch das änderte sich rasch: Heute deckt RHP 99 Prozent der Wertschöpfung intern ab. Eine eigene Bearbeitungsabteilung mit sieben Fachkräften und ein umfassender Maschinenpark ermöglichen es, von der Pulveraufbereitung über Halbzeugproduktion bis zur Serienfertigung von Einzel- und Kleinserien nahezu alles im Haus abzubilden. „Wir haben auch erfolgreich demonstriert, wie man Medizinprodukte in Millionenstückzahlen fertigen kann“, so Kitzmantel. Ein wesentliches Segment sind zudem Luft- und Raumfahrt sowie Verteidigungstechnik. Angesichts hybrider Bedrohungen, potentieller Angriffe auf kritische Infrastrukturen und rasantem Wandel rückt "Europas technologische Eigenständigkeit ins Zentrum sicherheitspolitischer Strategien", sagt Kitzmantel - es brauche also Player wie die RHP-Gruppe, die Forschung und industrielle Umsetzung vereinen. Ein Auszug aus dem Defence-Leistungsportfolio des Unternehmens.

Schutz auf molekularer Ebene: Verbund- und Nanokeramiken für ballistische Anwendungen

RHP leitet das von der European Defence Agency (EDA) unterstützte Projekt „CERAMBALL“. Dieses widmet sich einer der zentralen Fragestellungen moderner militärischer Schutztechnik: Wie lässt sich höchster ballistischer Schutz bei gleichzeitig geringem Gewicht realisieren? Eine Frage, die vor allem in dynamischen Gefechtslagen, bei mobiler Infanterie oder in luftgestützten Operationen entscheidend sein kann. Die RHP-Gruppe koordiniert diese Aktivität mit insgesamt 11 Partnern aus 6 Ländern und hat sich innerhalb dieses Projektrahmens auf die Entwicklung und Herstellung hochleistungsfähiger keramischer Werkstoffe spezialisiert. Diese sich in unterschiedlichen Anwendungen wie Schutzwesten, Helikopterverkleidungen oder Fahrzeugpanzerungen einsetzen.

Zentraler Bestandteil ist die gezielte Optimierung der Mikrostruktur keramischer Materialien. So werden nano-skalige Verstärkungen in Aluminiumoxid (Al2O3) zur Erhöhung der Risszähigkeit und ballistischen Performance eingesetzt. Diese Struktur erlaubt es dem Material, bei Beschuss die Energie des Projektils effizient abzuleiten, Rissausbreitung zu erschweren und somit die ballistische Schutzleistung erheblich zu steigern. Gleichzeitig bleibt die Materialdichte kontrollierbar, was für tragbare Schutzausrüstung essentiell ist. Ergänzend werden Werkstoffe auf der Basis von Borkarbid (B4C) eingesetzt, ein extrem harter, aber gleichzeitig sehr leichter Werkstoff. Dieser eignet sich besonders für die Abwehr von Hartmetallgeschossen, wie sie in hochpräziser Scharfschützenmunition vorkommen. Durch seine abrasiven Eigenschaften zerstört B4C die Projektilstruktur bereits beim Auftreffen. In Kombination mit von Projektpartnern entwickelten energieabsorbierenden Backing-Materialien kann die Endringenergie des Geschosses weiter reduziert werden, wodurch auch die Traumawirkung für den Schutzträger drastisch minimiert wird.

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Die Produktion dieser Hochleistungswerkstoffe erfolgt über modernste pulvertechnologische Verfahren und schnelles Heißpressen bei Temperaturen bis zu 2400 °C. Zur Validierung wurden umfangreiche Laboranalysen und mechanische Charakterisierungen durchgeführt, darunter Hochgeschwindigkeitsaufnahmen unter Beschuss sowie instrumentierte Aufprallversuche. Das Amt für Rüstung und Wehrtechnik ist als technisches Kompetenzzentrum des Bundesministeriums für Landesverteidigung in die Entwicklungen involviert. In sogenannten Round-Robin-Tests wurden die entwickelten Keramiken sowie kommerzielle Referenzwerkstoffe in mehreren europäischen Testeinrichtungen parallel getestet, um Vergleichbarkeit, Wiederholbarkeit und Zuverlässigkeit der Ergebnisse zu sichern.

Präzision im Orbit: Miniaturisierte Satellitenkomponenten für sichere Kommunikation

Mit dem Aufkommen von Schwarmkonstellationen im erdnahen Orbit (LEO) verändert sich die Architektur der Satellitenkommunikation grundlegend. Kleine, spezialisierte Satelliten übernehmen zunehmend Aufgaben in Datenübertragung, Navigation und sicherheitskritischer Kommunikation. Die RHP-Gruppe hat diesen Wandel früh erkannt und seit 2015 Komponenten für miniaturisierte Steuersysteme entwickelt, die eine präzise Regulierung von Antriebsgasen ermöglichen – essenziell für Lageanpassung und koordinierte Navigation im Verbund.

Die Technologie basiert auf einem extrem kompakten Aufbau mittels Metal-Sheet-Lamination: Mehrlagige Edelstahlstrukturen werden präzise bearbeitet, gefügt und halten Drücken bis nahezu 1000 bar stand – eine Voraussetzung für die verlustfreie Speicherung und Abgabe von Gasen im Vakuum. Dieses System ist trotz seiner Leistungsdaten nicht größer als ein Smartphone und stellt somit einen erheblichen Fortschritt gegenüber herkömmlichen Steuerbaugruppen dar, die ein Vielfaches an Volumen benötigen. Damit wird wertvoller Bauraum, Masse und Energie eingespart – zentrale Vorteile im Betrieb von Satelliten.

Materialseitig fiel die Wahl bewusst auf Edelstahl, obwohl alternative bzw. leichtere Werkstoffe wie Titan zwischenzeitlich evaluiert wurden. Ausschlaggebend war nicht nur die Festigkeit und Bearbeitbarkeit, sondern auch die Tatsache, dass Edelstahl bei kontrolliertem Wiedereintritt in die Erdatmosphäre zuverlässig verglüht und somit zur Einhaltung internationaler Weltraum-Entsorgungsrichtlinien beiträgt. RHP hat die Qualitätssicherung des Systems ebenfalls integrativ gedacht. Reparaturen im Weltraum „sind nicht vorgesehen“ – die Systemsicherheit muss vor dem Raketen-Launch garantiert sein. Mittlerweile sind mehr als 1000 Satelliten mit „RHP Technology inside“ im Orbit. Die RHP-Gruppe leistet damit einen Beitrag zur technologischen Autonomie Europas.

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Miniaturisierte Satellitenkomponente - © RHP-Technology

Unsichtbare Gefahren neutralisieren: Elektrochemische Filtersysteme für ABC-Schutz

Im militärischen Kontext stellen chemische, biologische und radiologische Bedrohungen eine besonders komplexe Herausforderung dar. Die Kontamination der Atemluft mit toxischen Substanzen kann innerhalb von Sekunden zur Einsatzunfähigkeit führen. Die RHP-Gruppe hat daher gemeinsam mit wissenschaftlichen Partnern wie der FH Wiener Neustadt ein elektrochemisch aktives ABC-Filtersystem entwickelt, das speziell für geschützte Fahrzeuge wie den DINGO des österreichischen Bundesheeres konzipiert ist. Im Unterschied zu herkömmlichen Aktivkohlefiltern bietet das System eine dynamische Schutzwirkung, bei der nicht nur Schadstoffe passiv gebunden, sondern aktiv neutralisiert werden.

Das System kombiniert eine modifizierte Aktivkohlebasis mit elektrochemisch erzeugten Oxidationsmitteln wie Natriumhypochlorit und Wasserstoffperoxid oder photochemisch in-situ generierten Radikalen. Diese Wirkstoffe entstehen direkt im Filtersystem an integrierten Redoxelektroden und entfalten dort ihre sofortige dekontaminierende Wirkung gegen chemische Kampfstoffe wie Chlor, Blausäure, Senfgas oder Nervenkampfstoffe. Gleichzeitig zeigt das System eine breite antimikrobielle Effektivität gegenüber Bakterien, Viren und Sporen, bestätigt durch unabhängige Labortests mit Modellorganismen.

Ein zentrales Element der Innovation liegt in der eingebauten Sensorik: Sie erfasst sowohl den Durchbruch von Schadstoffen als auch die Konzentration der erzeugten Dekontaminationsmittel und ermöglicht so eine Echtzeitüberwachung und automatische Regelung des Systems. In umfangreichen Testszenarien, unter anderem beim Amt für Rüstung und Wehrtechnik wurde die Leistungsfähigkeit des Systems bestätigt – mit deutlich reduzierten Schadstoffkonzentrationen bei gleichbleibendem Luftdurchsatz. 

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RHP-Mitarbeiter bei der Fertigung eines elektrochemischen Filtersystems - © RHP-Technology

Ersatzteile aus dem Container: Additive Fertigung für den militärischen Einsatz

In kritischen Situationen kann die Vor-Ort-Produktion von Ersatzteilen über Einsatzfähigkeit entscheiden. Die RHP-Gruppe adressiert genau diese Herausforderung mit der Entwicklung und dem Betrieb großformatiger additiver Fertigungssysteme, die auf Metallbasis arbeiten und unter der Bezeichnung M3DP firmieren. Diese Anlagen ermöglichen die Vor-Ort-Produktion funktionsfähiger Ersatzteile für militärische und zivile Fahrzeuge, Maschinen oder Infrastrukturen.

Im Zentrum steht das von RHP entwickelte Verfahren der Plasma Metal Deposition (PMD®). Dabei wird metallisches Pulver oder Draht durch ein Hochtemperatur-Plasmasystem gezielt aufgeschmolzen und schichtweise aufgetragen. Das Verfahren erlaubt eine kontrollierte Bauteilfertigung bei gleichzeitig hoher Energieeffizienz und ermöglicht die Verarbeitung unterschiedlichster Legierungen – von hochfesten Stählen bis hin zu korrosionsbeständigen Sonderwerkstoffen. Ergänzend kommen laser- und extrusionsbasierte Verfahren für die additive Herstellung von Struktur- und Funktionsteilen zum Einsatz.

Ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist dabei die werkstoffseitige Optimierung: RHP entwickelt eigene Legierungen, Komposite und Prozessparameter, um die durch additive Fertigung erzeugten Bauteile hinsichtlich ihrer mechanischen, thermischen und tribologischen Eigenschaften zu perfektionieren. Nur so kann gewährleistet werden, dass die Komponenten unter realen Belastungsbedingungen zuverlässig funktionieren. Neben der Fertigung spielt auch die Qualifizierung eine zentrale Rolle. RHP arbeitet daran, standardisierte Prüf- und Abnahmeverfahren zu etablieren, die eine schnelle, aber sichere Inbetriebnahme der Bauteile direkt am Einsatzort ermöglichen. Mit diesem Ansatz wird additive Fertigung zu einem aktiven Bestandteil zukunftsorientierter Einsatzlogistik.


Dieser Artikel entstand in Kooperation mit RHP-Technology.

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Mittels 3D Druck hergestellte Polspiegelabdeckung für Satelliten aus Magnesium - © RHP-Technology