KI-Einsatz in Unternehmen : Warum KI-Kompetenz jetzt zum Erfolgsfaktor für Unternehmen wird

Florian Hirner, Leiter der Austrian Standards Academy, über neue EU-Vorgaben, Chancen und Risiken von Künstlicher Intelligenz im Unternehmensalltag.
- © N-Universe - stock.adobe.comWährend KI in der öffentlichen Debatte als neue Revolution des digitalen Zeitalters gefeiert wird, bleibt ihre Anwendung in vielen Unternehmen erstaunlich rudimentär. Eine aktuelle Umfrage unter Führungskräften österreichischer Betriebe zeigt: Die Technologie ist zwar in Ansätzen angekommen – doch von einer strategischen, integrativen Nutzung kann kaum die Rede sein.
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Aktuell setzen rund zwei Drittel der befragten Unternehmen bereits auf KI, etwa im Kundenservice, Vertrieb oder bei der Datenanalyse. Doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass es sich in 74 Prozent der Fälle um einfache oder sehr einfache Anwendungsformen handelt. Dazu zählen etwa Chatbots im Kundenkontakt, automatisierte E-Mail-Sortierung oder grundlegende Textanalysen. Komplexere Projekte, etwa zur vorausschauenden Wartung („Predictive Maintenance“), in der Produktentwicklung oder im Bereich Natural Language Processing, wurden bisher nur von 17 Prozent realisiert.
Diese Zurückhaltung hat verschiedene Ursachen: Die Technologie ist oft erklärungsbedürftig, der Entwicklungsaufwand hoch – und nicht zuletzt fehlt es an spezialisierten Fachkräften. Laut einer internationalen Studie des World Economic Forum wird der Mangel an KI-Expertinnen und Experten in den kommenden Jahren weiter zunehmen. Der europäische Arbeitsmarkt kann den Bedarf derzeit nicht decken. So gaben laut Digital Economy and Society Index (DESI) der Europäischen Kommission rund 55 Prozent der Unternehmen an, Schwierigkeiten bei der Rekrutierung entsprechender Fachkräfte zu haben.
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Fehlende Strategie als Haupthemmnis
Ein besonders kritischer Punkt ist das Fehlen klarer strategischer Vorgaben. In der erwähnten Umfrage gaben 58 Prozent der Führungskräfte an, dass ihr Unternehmen keine definierte KI-Strategie verfolgt. Nur 36 Prozent setzen laut eigener Aussage KI systematisch, zielgerichtet und nachhaltig ein. Das bedeutet: In vielen Unternehmen bleibt der KI-Einsatz isoliert – es fehlt der übergeordnete Plan, der Technologieeinsatz mit konkreten Geschäftszielen verbindet.
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Gerade für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) stellt sich der Einstieg in KI oft als Herausforderung dar. Zwar existieren Förderprogramme auf nationaler und EU-Ebene – etwa „Digital Innovation Hubs“ oder das EU-Programm „Horizon Europe“ – doch deren Zugang wird oft als bürokratisch und wenig niedrigschwellig wahrgenommen.
AI Act: Zwischen Auflagen und Aufbruch
Der AI Act der EU – das erste umfassende Regelwerk zur Regulierung von Künstlicher Intelligenz – sorgt in vielen Unternehmen noch für Unsicherheit. Er verlangt eine Risiko-Kategorisierung für KI-Systeme. Besonders betroffen sind Hochrisiko-Anwendungen in der Industrie, etwa bei Qualitätskontrollsystemen, biometrischen Zugangslösungen oder automatisierten Entscheidungsprozessen.
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Zwar haben laut der Umfrage 77 Prozent der Führungskräfte vom AI Act gehört, doch nur 19 Prozent haben sich intensiv mit dessen Anforderungen befasst. Lediglich 9 Prozent haben bereits konkrete Maßnahmen zur Einhaltung der kommenden Vorgaben ergriffen. Dabei ist klar: Der AI Act wird nicht nur neue Pflichten mit sich bringen, sondern auch eine neue Form der Innovationslenkung – und potenziell hohe Strafen bei Nichtbeachtung.
Während Europa mit der Regulierung ringt, schreiten andere Wirtschaftsräume bei der KI-Integration deutlich schneller voran. In den USA etwa investieren Tech-Unternehmen und Start-ups massiv in generative KI-Lösungen. China hat sich in seiner Industriestrategie „Made in China 2025“ ebenfalls ambitionierte Ziele gesetzt, um bis zum Ende des Jahrzehnts weltweiter KI-Spitzenreiter zu werden.
Diese Dynamik erzeugt auch für europäische Unternehmen einen Handlungsdruck. Wer KI lediglich als Add-on oder technisches Experiment betrachtet, riskiert den Anschluss zu verlieren – nicht nur technologisch, sondern auch wirtschaftlich.
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"KI kann neue Geschäftsmodelle ermöglichen, interne Abläufe optimieren und den Zugang zu Innovation erleichtern. Sie eröffnet Perspektiven in nahezu allen Branchen – vom Gesundheitswesen über die Produktion bis hin zur öffentlichen Verwaltung."
Florian Hirner im Gespräch mit Industriemagazin-News
Florian Hirner, Austrian Standards Academy: „KI ist kein Selbstläufer – Unternehmen müssen Verantwortung übernehmen“
Florian Hirner, Leiter der Austrian Standards Academy, spricht im Interview über Chancen und Fallstricke beim KI-Einsatz, die Rolle internationaler Normen – und warum es keine flächendeckenden KI-Expert:innen braucht, wohl aber grundlegende KI-Kompetenz, Aufklärung und Offenheit.
Redaktion:
Herr Hirner, seit Februar 2025 gelten in der EU neue Regeln für den Umgang mit Künstlicher Intelligenz. Was bedeutet das konkret für Unternehmen – und welche Rolle spielen Normen dabei?
Florian Hirner:
Der sogenannte AI Act ist ein Meilenstein – denn erstmals gibt es klare Leitplanken innerhalb der Europäischen Union, wie KI rechtskonform und im Einklang mit unseren demokratischen Werten eingesetzt werden darf. Das ist wichtig, um Missbrauch vorzubeugen und Vertrauen zu schaffen. Unternehmen, die KI einsetzen, müssen sich ihrer Verantwortung bewusst sein. Sie müssen Risiken analysieren und bewerten – und genau hier können Normen unterstützen, indem sie einen strukturierten Rahmen bieten. Es geht darum, KI systematisch und sicher in die Organisation zu integrieren.
Redaktion:
Können Sie ein Beispiel für solche Normen nennen?
Hirner:
Ja, 2023 wurde eine Norm veröffentlicht, die dabei hilft, ein KI-Managementsystem aufzubauen – vergleichbar mit der bekannten ISO 9001 für Qualitätsmanagement. Diese Normen sind nicht nur technischer Natur, sondern geben Orientierung bei Prozessen, Zuständigkeiten und ethischen Fragen. Sie helfen Unternehmen dabei, KI verlässlich, transparent und verantwortungsvoll einzusetzen.

Redaktion:
Was sind Ihrer Einschätzung nach die größten Chancen – aber auch Risiken – wenn Unternehmen auf KI setzen?
Hirner:
Die Chancen sind enorm. KI kann neue Geschäftsmodelle ermöglichen, interne Abläufe optimieren und den Zugang zu Innovation erleichtern. Sie eröffnet Perspektiven in nahezu allen Branchen – vom Gesundheitswesen über die Produktion bis hin zur öffentlichen Verwaltung. Aber die Risiken sind real: Es kann zu Intransparenz in Entscheidungsprozessen kommen, zu Verzerrungen in Datenanalysen oder auch zur unbewussten Diskriminierung durch algorithmische Logiken. Unternehmen müssen hier besonders wachsam sein.
Redaktion:
Müssen jetzt alle Mitarbeitenden in einem Unternehmen zu KI-Expertinnen und -Experten werden?
Hirner:
Nein, definitiv nicht. Aber es braucht eine breite Aufklärung. KI-Anwendungen wie ChatGPT oder automatische Übersetzungstools sind heute schon Teil des Alltags. Die Menschen nutzen sie – oft, ohne zu verstehen, was im Hintergrund passiert. Deshalb brauchen wir KI-Literacy, also die Fähigkeit, Chancen und Grenzen der Technologie zu erkennen und verantwortungsvoll mit ihr umzugehen. Der AI Act schreibt diese Kompetenzbildung übrigens auch ausdrücklich vor.
Redaktion:
Wie können Unternehmen konkret zur Kompetenzbildung beitragen?
Hirner:
Unternehmen sollten vor allem eines tun: Neugier wecken. Sie sollten ihre Mitarbeitenden mitnehmen und aktiv dazu einladen, sich mit dem Thema KI auseinanderzusetzen. Dafür braucht es konkrete Angebote, die zum Mitmachen motivieren und den Zugang erleichtern. Denn oft begegnet man zwei Extremen: Auf der einen Seite wird KI überhöht und als Allheilmittel dargestellt, auf der anderen Seite wird sie verteufelt oder mit Angst betrachtet. Beides hilft nicht weiter. Was wir brauchen, ist eine offene, sachliche Auseinandersetzung mit den Potenzialen und Grenzen der Technologie. Genau hier wollen wir – bei Austrian Standards – unterstützen: als Begleiter, der Menschen auf ihrem Weg mit KI begleitet – vom Einsteiger bis zur Expertin oder zum Experten. Unser Ziel ist es, Mitarbeitende auf ihrem jeweiligen Wissensstand abzuholen und sie im beruflichen Alltag auf das nächste Level zu bringen.
Redaktion:
Was war denn Ihr ganz persönlicher Aha-Moment im Umgang mit KI?
Hirner:
Das war eigentlich ein ganz praktischer. Ich bin nicht gerade ein Held in deutscher Rechtschreibung und Grammatik – und da hat mir KI geholfen. Texte schreiben geht jetzt schneller, ist klarer, und ich habe mehr Freude daran. Solche kleinen Aha-Erlebnisse können viel bewirken. Es geht nicht immer um große Revolutionen – oft beginnt der Wandel im Alltag.
Florian Hirner – Leiter der Austrian Standards Academy
Seit April 2024 verantwortet Florian Hirner das Bildungsportfolio der Austrian Standards Academy. Der 34-jährige Oberösterreicher bringt langjährige Erfahrung in der Erwachsenenbildung mit, unter anderem in den Bereichen Innovationsmanagement, Führungskräfteentwicklung und digitales Lernen.
In seiner neuen Rolle setzt Hirner auf eine stärkere inhaltliche Fokussierung auf Zukunftsthemen wie Künstliche Intelligenz, Nachhaltigkeit und Compliance. Im ersten Halbjahr 2024 wurden unter seiner Leitung 16 neue Schulungsangebote entwickelt, darunter Formate zu EU-Regulierungen wie dem AI Act oder zur Ökobilanzierung von Baustoffen.
Hirner verfolgt das Ziel, das Bildungsangebot der Academy noch gezielter auf regulatorische Entwicklungen und gesellschaftliche Anforderungen auszurichten. Qualität und praxisnahe Wissensvermittlung stehen dabei im Mittelpunkt. Die Austrian Standards Academy erfüllt unter seiner Führung unter anderem die Anforderungen des Ö-Cert sowie der Bildungsnorm DIN ISO 21001.