Industriestandort in Schieflage : 10 Manager zum Industriestandort: Raus aus Österreich?
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Raus aus Österreich?
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VDMA Österreich: Davongaloppierende Lohnkosten: Ein Teufelskreis
Was seiner Heimatgemeinde Berndorf zur Stunde widerfährt, wie brutal das dort domizilierte Schaeffler-Werk dem Konzernsparkurs zum Opfer fällt, schmerzt Rudolf Vogl tief. Im niederösterreichischen Schaeffler-Werk hat der Industriemanager seine erste Ferialpraxis absolviert. Jahrelang waren dort Investitionen in Automatisierungstechnik die Antwort auf die davongaloppierenden Lohnkosten. "Ein echter Teufelskreis", meint Vogl, der Vorstandsmitglied des VDMA Österreich ist. Denn natürlich werde man so auf lange Sicht austauschbar zu osteuropäischen oder asiatischen Konkurrenzstandorten. Wie auch hier: Der Schaeffler Konzern verlagert die Arbeitsinhalte aus dem Triestingtal gen Osten.
Kein Wunder also, dass sich Vogl im dritten Jahr der Rezession seine Gedanken über den Industriestandort Österreich im allgemeinen und dessen Zukunft im besonderen macht. "Österreich schießt sich kostenmäßig aus dem Markt", meint Vogl. Die Lohnkostendynamik werde die heimische Industrie nicht überleben, wenn nicht gegengesteuert werde. "Und was wir alles in der Rechtssetzungspipeline haben, ist wirklich erstaunlich", sagt Vogl. Fast so, als nehme man stillschweigend in Kauf, dass Österreich "ein Industriemuseum wird".

IV: Durch überbordende Bürokratie massiv unter Druck gesetzt
Es ist ein Aufschrei der Besorgnis, die dieser Tage vermehrt zu hören ist. Überregulierung und Überbürokratisierung würden eine massive Deindustrialisierungswelle heraufbeschwören. Eine "existenzielle Herausforderung", heißt es auch bei der IV. Mit einem Wertschöpfungsverlust von 4,5 Prozent im Vorjahr und einem Anstieg der Arbeitslosigkeit im produzierenden Bereich um 17,8 Prozent war 2024 "ein weiteres Krisenjahr für unseren Industriestandort", sagt der Maschinenbauunternehmer und IV-Präsident Georg Knill. Auch er sieht die "hohen Arbeits- und Energiekosten sowie die überbordende Bürokratie als unheilbringend an. "Das setzt uns massiv unter Druck", so Knill.
So musste die steirische Automobil- und Zweiradindustrie zuletzt kräftig Federn lassen. Bei Stefan Pierers Lebenswerk, dem Motorradhersteller KTM, setzen die Sanierer den Rotstift an: Die Motorradproduktion soll zum Teil ins Ausland verlagert werden, über 300 Entlassungen stehen auf dem Plan und der Hauptstandort Mattighofen soll verkleinert werden. Selbst der erfolgsverwöhnte Technologiekonzern AVL List musste anpassen: 70 Mitarbeiter wurden im Vorjahr gekündigt, 130 Jobs nicht nachbesetzt. Dazu ertönen Hiobsbotschaften aus vielen Teilen Österreichs, wie etwa auch der Bundeshauptstadt: Die Verlagerung des Wiener Siemens-Werks für industrielle Stromversorgungen ist seit dem Jahreswechsel beschlossene Sache. Geht es 2025 also in der Tonart weiter, wenn die Märkte vergeblich ihrer Erholung harren? Wird der Ruf nach einer neuen Industriepolitik erhört? Und haben es die Unternehmer nicht auch selbst in der Hand, ihr Glück zu schmieden?
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Automobilcluster: "Die billigsten waren wir nie"
"Die billigsten waren wir nie und werden wir auch nicht mehr werden", sagt Florian Danmayr, Manager des Automobil-Clusters. Er glaubt, dass Österreichs Industrie jetzt vor allem Zuversichtsmanagement braucht. Speziell im Automotive-Bereich. "Unsere Qualität passt, die Technik passt, der Preis passt", sagt Danmayr. Keiner mache seinen Job schlecht, nicht der Arbeiter noch der Manager. Nur der konjunkturelle Rahmen habe sich eben dramatisch geändert. Jetzt müsse "ein positiver Impuls herkommen". Er ist überzeugt, dass der Standort langfristig mit hochinnovativen und komplexen Produktionsprozessen reüssieren wird können. Was ihn unmittelbar zuversichtlich stimmt: "Es ist zu hören, dass der Sales-Trichter in Automotive wieder etwas besser gefüllt ist als vor einem Jahr". Auch wenn - neben Automotive - auch andere Bereiche der Mobilität künftig mehr zum Wohlstand in Österreich beitragen werden. "Bei Luftahrt und im Bahnbereich haben wir uns gut in Stellung gebracht", so Danmayr. Und auch der Verteidigungsbereich sei interessant, auch wenn das viele vielleicht "nicht hören wollen". Es sei zu erwarten, dass die Rüstungsausgaben steigen. "Dazu sollten wir als Industriestandort immerhin einen Standpunkt haben", sagt Danmayr.
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AVL List: "Deutschland spielt weiterhin Schlüsselrolle in der globalen Automobilindustrie"
Einer, der Zuversichtsmanagement perfekt versteht, ist AVL-Chef Helmut List. „Österreich hat ein wirklich gutes Image. Wir müssen an dieses Land glauben und ich finde keine Gründe, es nicht zu tun", sagte er der "Kleinen Zeitung" zu seinem 80er. Davon rückte er zuletzt nicht ab: "Ich zweifle nicht daran, dass wir in Österreich und auch in Deutschland durch diese Phase durchkommen". Nur, wir werden uns anpassen müssen", so List, der nach den Kürzungen im Vorjahr für heuer keine größeren personellen Einschnitte sehe. An der eigenen Adaptionsfähigkeit zweifelt das Unternehmen nicht. "Der Transformationsdruck bringt zwar Herausforderungen mit sich, die aber mit der Fähigkeit einer flexiblen Reaktion auf die neuen Markt- und Kundenanforderungen als Chancen genutzt werden können", sagt CFO Yorck Schmidt dem INDUSTRIEMAGAZIN. So biete AVL List "im Gegensatz zu vielen Wettbewerbern" ein Spektrum an Technologien – von Digitalisierung und Software bis hin zu Lösungen für Verbrennungsmotoren, Elektrifizierung, Brennstoffzellen und Fahrerassistenzsysteme. Und die Anwendungsbereiche würden sich nicht nur über die Automobilindustrie erstrecken, sondern auch Sektoren wie Bahn, Luft- und Schifffahrt. In den Abgesang auf den "kranken Mann Europas" stimmt er nicht ein. "Deutschland spielt weiterhin eine Schlüsselrolle in der globalen Automobilindustrie", ist Schmidt überzeugt.
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Henn: "Super im Input und schlecht im Output"
Dennoch: Leidet Deutschland, leiden auch Österreichs Zulieferer. 2024 konnte der Vorarlberger Autozulieferer Henn das Vorjahresniveau halten. "Wir waren nicht unerfolgreich", sagt CEO Martin Ohneberg. Knapp 158 Millionen Euro Umsatz wurden erwirtschaftet. Wachstum in USA und Mexiko (plus 26 Prozent) sowie Korea (plus 18 Prozent) sorgten bei einem Dämpfer im Deutschland-Geschäft (minus 10 Prozent) unterm Strich für Wachstum im Segment Automotive. "Ergebnisseitig lagen wir aber hinter den Plänen", so der Unternehmer. Dafür führt er eine Kombination aus überhöhten Standortkosten in Westeuropa und Investitionen in die Produkttransformation ins Treffen. "Wir haben tolle Aufträge und tolles Kundenfeedback, was aber auch heißt, die neuen Mobilitätslösungen einmal industrialisieren zu müssen", sagt Ohneberg. Sprich: Trotz globaler Handelshemmnisse erfolgreich zu lokalisieren und Kostennachteile im Headquarter im Rheintal in den Griff zu bekommen. Dort wurde zuletzt Personal aufgebaut, während in Deutschland da und dort angepasst wurde und 20 Stellen wegfielen.
Der Staat müsse jedenfalls schlank werden. Dieser sei "super im Input und schlecht im Output". "Wir haben kein Einnahmenproblem", sagt Ohneberg. Der sich wundert: Vom Menschen verlange man eine Transformation, bei den Kammern, Parteien und Bünden selbst sei diese Überzeugung jedoch noch nicht angekommen", sagt er.
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Wenn Ohneberg dieser Tage in den Flieger steigt, ist das dennoch nicht Realitätsflucht. Mitte Jänner eröffnete Henn Indo-Pacific in Chennai einen neuen Montagestandort. Ein kleines, feines Werk mit 2000 Quadratmetern Fläche für 30 bis 40 neue Mitarbeiter. Produziert sollen hier für die Region einschließlich Thailands, Südkoreas oder Japans automobile Verbindungstechnologien - Kunststoffkupplungen für Anwendungen der E-Mobilität - werden. Ohnebergs Mannschaft wird das Projekt in wenigen Tagen feierlich eröffnen. Der Vertrieb ist schon vor Ort domiziliert. In einem ebenfalls neuen Technikzentrum in Pune wird gerade die Zahl der Entwickler in die Höhe geschraubt. Auch in Mexiko will das Unternehmen zum Ende des ersten Halbjahres 2025 mit einem Assemblingwerk vertreten sein. Internationalisierungsmaßnahmen, die Chancen böten, aber auch eine "Riesenchallenge" seien, sagt Ohneberg. "Local content" sei dort zwingend erforderlich".
HAI: Sozialpartnerschaft nicht glücklich agiert
Auf mehreren Standbeinen zu stehen war schon in so mancher Krise eine unbezahlbare Stärke von HAI. Im vorigen Sommer erlebte der geschäftsführende Gesellschafter des Aluminiumhalbzeugeherstellers aus Ranshofen jedoch die Grenzen der Diversifizierung. 250 Jobs, davon 100 im Innviertel, musste Rob van Gils abbauen. "Der Sparkurs war leider unvermeidbar und in seiner Konsequenz dennoch richtig", sagt der Manager heute. Denn in keinem der Kernmärkte des Unternehmens hätte es Licht am Ende des Tunnels gegeben. Und heute? "Wir hoffen, nicht weitere Einschnitte vornehmen zu müssen", sagt van Gils. Er erwartet sich nun von der Politik Signale, die Vertrauen zurückbringen. Bei der Entwicklung von Österreichs Standort etwa hätte die Politik große Aufgaben vor der Brust. Die Sozialpartnerschaft habe bei den KV-Verhandlungen nicht glücklich agiert. Die Margen in den Unternehmen würden nur so dahinschmelzen. "Wir haben 16, 17 Prozent Teuerung an der Backe, während wir immer noch Aufträge, denen die Annahme von drei Prozent Inflation zugrundeliegen, abarbeiten", sagt van Gils. Zugleich wurde "mit Rieseradau ein Green Deal festgezurrt, der OEM und deren Lieferketten unter Druck setzen, während jetzt die E-Mobilität schwächelt", sagt er.

Die lange Phase der Unsicherheit sei jedenfalls auch für Innovationsprojekte des Unternehmens Gift. So sei man bei der Digitalisierung "ordentlich auf die Bremse getreten". Was mittelfristig nach hinten losgehe, denn Innovation sei die "einzige Rettung für einen Standort, der nicht mehr viel günstiger zu werden droht.
Höhere Preise - oder womöglich sogar variable - würde man nur sehr begrenzt bei OEM durchsetzen können, selbst wenn die Partnerschaften schon lange währen. "Die Unsicherheit wird sich keiner freiwillig einkaufen", sagt van Gils. Auf der Lieferantenseite dagegen müsse er darauf vertrauen, dass die Inflation 2028 vielleicht bei nur zwei Prozent liegt und es bis dahin zu einer Entlastung der Energiepreise komme. "Wir müssen als Unternehmer derzeit positive Entwicklungen vorwegnehmen, die längst noch nicht ausgemachte Sache sind", sagt er.
Der Vorsprung auf Deutschland - wo er auf stabile Verhältnisse infolge einer raschen Regierungsfindung hofft - sei mittlerweile abgeschmolzen. "Jetzt müssen wir sehen, wie wir die Kuh vom Eis kriegen", sagt van Gils. Gar nichts hält er von einem Umbau Österreichs zu einer Festung. "Abschottung kann nicht die Zukunft sein, hier muss die ÖVP standhaft bleiben", sagt van Gils.
Wirtschaftskammer NÖ: Lohnabschlüsse als Todesstoß
Helmut Schwarzl, Obmann der Sparte Industrie der Wirtschaftskammer Niederösterreich und Präsidiumsmitglied der IV Niederösterreich, erwartet von den Regierungsparteien eine klare Kante zugunsten des angeschlagenen Wirtschaftsstandorts. Bis zuletzt hatte Helmut Schwarzl auf ein Zustandekommen der "Zuckerlkoalition" gehofft. Doch es sollte nicht sein. Was nach fast drei Jahren Rezession von Österreichs Industrie bleibe? Schwarzl spricht von einem ernüchternden Bild. Die Unternehmen werden einen langen Atem brauchen. "Wer nicht robust genug aufgestellt ist und Reserven geschaffen hat, wird es schwer haben", sagt er. Die Mischung aus gesunkenem Aufragsbestand und dem Abrutschen in den Standortrankings - vor allem internationale Konzerne schielen darauf - sei toxisch. Die rekordhohe Steuer- und Abgabenlast mit Lohnnebenkosten weit über dem EU-Schnitt, dazu die musterschülerhafte Rolle Österreichs beim Bürokratieaufbau - "das alles ist besonders für Mittelständler nicht mehr bewältigbar", sagt Schwarzl. Hohe Lohnabschlüsse, wie in den letzten Jahren, kommen in diesen Krisenzeiten außerdem einem "Todesstoß" gleich. Er fragt sich, warum es andere Länder geschafft haben, unter der Inflation abzuschließen und damit verantwortungsvoll für die Wettbewerbsfähigkeit ihres Standortes zu handeln.
Immerhin: Niederösterreich sei nicht so automobilindustrielastig und mithin weniger stark verflochten zur schwächelnden deutschen Automobilindustrie und deren herausfordernder Transformation zur E-Mobilität. "Allein die Idee, die Autoherstellerüber CO2-Flottenwerte zu massiven Investitionen für die Transformation zwingen zu können, obwohl die Rahmenbedingungen für einen entsprechenden Absatz noch nicht gegeben sind, gibt es nirgendwo sonst als in Europa", sagt Schwarzl.

3 Fragen an....Martin Zahlbruckner
„Die neue Bundesregierung ist in der Plicht, den Industrie- und Wirtschaftsstandort Österreich zu retten“
Wenn eine neue Bundesregierung den Haushalt in Ordnung bringt und unternehmerisches Handeln fördert, dann wird es auch in Österreich wieder nach oben gehen, meint der CEO der Delfort Gruppe und Präsident von Austropapier.
INUSTRIEMAGAZIN: Was erwarten Sie für 2025?
Martin Zahlbruckner: Die Weltwirtschaft und auch Teile Europas werden wirtschaftlich gesehen gar nicht so schlecht laufen. Wenn es gelingt, den Ukraine-Russland Konflikt zu beenden und wenn der Konflikt China – USA nicht eskaliert, dann können wir sogar mit einem enormen Aufschwung rechnen. An diesem Aufschwung werden aber weder Deutschland noch Österreich aufgrund schwerer wirtschaftspolitischer Fehler in den letzten Jahren teilhaben können. Die Rezessionsszenarien werden bestehen bleiben. Für den gesamten Industriestandort Österreich und natürlich auch die Papierindustrie in Österreich ist das eine schwierige Ausgangslage. Wenn eine neue Bundesregierung den Haushalt in Ordnung bringt, keine neuen Steuern einführt, unternehmerisches Handeln fördert, für Klarheit und Orientierung sorgt und uns einfach wieder Arbeiten lässt, dann wird es auch in Österreich wieder nach oben gehen. Dazu tragen wir gerne bei.
Was zeichnet den Wirtschaftsstandort Österreich aus – und welche Rahmenbedingungen müssen sich verbessern?
Zahlbruckner: Den Wirtschaftsstandort Österreich haben schon immer vor allen die sehr gut ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausgezeichnet. Die österreichischen Unternehmen waren standort-loyal, haben viel in Österreich investiert und immer weltoffen agiert. Damit konnten wir sehr produktiv und innovativ arbeiten. Die Rahmenbedingungen wurden aber aus unverständlichen und unverantwortlichen Gründen erschreckend verschlechtert. Regierungs-seitig erfolgten überraschend und unabgestimmt und wohl auch unbedacht zu hohe Einkommens-Abschlüsse. In der EU wehrte sich Österreich nicht gegen die überbordende Explosion des Verwaltungsaufwands für alle Teile der Wirtschaft (Klein-Unternehmen, Versicherungen, Banken, Industrie usw…) und aus doktrinären Gründen unterstützte (!) die österreichische Regierung den Anstieg der Energiekosten.
Welche neuen Wachstumssegmente identifizieren Sie für Ihre Branche?
In erster Linie tragen wir dafür Sorge, dass unsere Produktion immer sauberer, effizienter und kreislauffähiger wird. Hier sind wir international auf einer Alleinstellung. Dank jahrzehntelanger strategischer Investitionen in hochmoderne und umweltschonende Produktionsanlagen und bestmöglich ausgebildete Mitarbeiter:innen hat sich die heimische Branche hervorragend aufgestellt. Wir setzen auf nachhaltige Investitionen, die nicht nur den heimischen Standort stärken, sondern auch positive Auswirkungen auf Umwelt und die Gesellschaft haben.
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Flexibilität ist für Unternehmen und deren Belegschaften das Gebot der Stunde. "Fix an einem angestammten Arbeitsplatz zu arbeiten wird es in Zukunft nicht mehr geben", glaubt Schwarzl. Mitarbeitende werden multifunktional und zeitlich flexibler arbeiten müssen, damit Unternehmen über kritische Phasen und den volatilen Auftragseingängen ohne Freisetzungen hinwegkommen. Politisch bliebe zu hoffen, dass alle Beteiligten bei aller Unterschiedlichkeit der Lager und Interessen den Mut haben, über die nächste Wahl hinauszudenken und echte Reformen auf den Weg bringen", sagt Schwarzl. Sonst sehe er "schwarz". Es sei - wie nicht nur IV-Präsident Georg Knill sagte - fünf vor zwölf. "Es braucht politisches Leadership mit einer Gesamtverantwortung für unser Land".
Schlimpert: Engagement erhöhen
Die Unternehmer müssten sich aber auch selber an der Nase nehmen, meint der Berater und frühere Lenzing-Manager Marco Schlimpert. Gerade jetzt, wo der Standort herausgefordert sei, brauche es neben überzeugenden Produkten und Dienstleistungen jedoch auch ein Führungsverhalten, welches das Engagement und die Lösungskompetenz der Mitarbeiter erhöht, sagt Schlimpert. Laut einer Gallup-Studie sei die Rate engagierter Mitarbeiter ausbaubar: Acht von zehn Mitarbeitern machen Dienst nach Vorschrift. "Da gehen Milliarden in der Wertschöpfung verloren", sagt Schlimpert. Er bemängelt weiters, dass die großen Optimierungspotenziale in den Unternehmen oftmals nicht strukturiert angegangen würden.
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Evva: Tourismus wird Wohlstand nicht sichern
Die Wunschliste von Stefan Ehrlich-Adám, Geschäftsführer des Schließsystem-Herstellers Evva, an die neue Bundesregierung umfasst einige bekannte Forderungen der Industrie: "Die neue Regierung sollte sich mit Lohnstückkosten befassen und Rahmenbedingungen schaffen, damit die Industrie wieder positiv in die Zukunft schauen kann", sagt Ehrlich-Adám. Um die Budgetsanierung zu ermöglichen, kann die Förderquote auf das EU-Niveau zurückgeschraubt werden, aber das zarte Konjunktur Pflänzchen im sich hoffentlich bald abzeichnenden Aufschwung nicht gekillt werden. Sein Unternehmen Evva sei eng an die Baukonjunktur verknüpft, die Auswirkungen der verlangsamten Baukonjunktur "sind jetzt bei uns angekommen", sagt er. Im Unternehmen mussten Kostensparprogramme durchgezogen werden.
Die Bemühungen liefen jetzt in Richtung Restrukturierung: im Fokus steht die Stärkung der digitalen Fähigkeiten in der Belegschaft - etwa auch für das wachsende Segment der Softwareentwicklung. Was von Österreichs Industrie mittelfristig bleibt? "Es ist ein Irrglaube, dass der Tourismus allein Österreichs Wohlstand sichern wird, da war und ist auch heute noch die Industrie beteiligt", sagt Ehrlich-Adám. Damals, in den 70ern, aber waren Forderungen wie Arbeitszeitreduktion leichter umzusetzen, da Effizienzsteigerungen diese ausgleichen konnten. "Diese sind heute in der Form nicht mehr umsetzbar", sagt der Manager.

Erema: Wasser steht Industrie bei der Oberlippe
Manfred Hackl, der Chef des weltweit führenden Herstellers von Kunststoffrecycling-Lösungen Erema Group, berichtet von einem herausfordernden, im März endenden Geschäftsjahr 2024/25. Obwohl seine Branche als Lieferant von Nachhaltigkeitslösungen und grüner Technologien doch eigentlich alle Zutaten hat, die es braucht, um gruppenweites Wachstum zu erzielen, blieb dieses aus: "Wir werden 2024/25 bei knapp zehn Prozent Umsatzrückgang zu liegen kommen", sagt Hackl, der in den letzten Monaten auch personelle Anpassungen im Unternehmen vornehmen musste, die größtenteils durch natürliche Fluktuation und flexible Arbeitszeitmodelle umgesetzt wurden. Auch wenn das Unternehmen jetzt in der Talsenke angekommen sei und fortan mit einer Seitwärtsbewegung zu rechnen ist: Der Standort, das will Hackl in aller Deutlichkeit sagen, sei herausgefordert: "Das Wasser steht der Industrie in Europa bei der Oberlippe", sagt er. Die Teuerung durch Inflation in den letzten Jahren sei heftig. "Warum unsere Produkte plötzlich teurer sind, müssen Sie einem indischen oder chinesischen Kunden erst einmal erklären", so Hackl.
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Beim Green Deal, der letztlich auch ein Motor für das Geschäft der Ansfeldener darstellt, erwartet sich Hackl dagegen eine Tempodrosselung. Zu teuer für die Industrie, zu schnell in der Umsetzung sei dieser in seiner bisherigen Form. "Man kann einen Tanker wie die EU nicht plötzlich um 90 Grad einlenken", meint er. Manches in der Umsetzung sei einfach fragwürdig wie etwa der blinde Fleck bei CO2 in Scope 3. "Dort würde zwar der Strom zur Anlagenbedienung, nicht aber die 25-prozentige Co2-Ersparnis bei jedem produzierten Kilo Recyclingkunststoffs zugerechnet", beanstandet Hackl.
Damit macht man sich im internationalen Wettbewerb das Leben schwer. Denn nur mit Innovation und Technologie wird es für Europa dort immer schwieriger zu reüssieren. "Bei vielen Technologien, wie etwa Digitalisierung und AI haben Asien und andere Länder ihre Hausaufgaben gemacht", so Hackl. Noch ließe sich die Recyclingmaschinenindustrie als vergleichsweise "glückliche Branche" bezeichnen. Doch die Abstände zu Asien und der Türkei würden schmelzen. "Unser Ziel ist es, diesen Vorsprung zu bewahren, auch wenn der Wettbewerb zunimmt", sagt Hackl.
Die Antworten darauf können laut Hackl nur lauten, Europa an vielen Fronten zu stärken. Und als Unternehmen an neuen Geschäftsmodellen zu schrauben, die die aufstrebenden neuen Märkte adressieren. Kürzlich stellte Erema eine Erweiterung der ReadyMac vor, die in diese Kerbe schlägt. Die Maschine - Einstiegspreis ab 375.000 Euro für einen Durchsatz von 500 Kilo pro Stunde - kommt erstmals von der Stange. "Bei Preis-Leistung ist sie für Asien, Südamerika, aber eben auch den kleinen mittelständischen Familienunternehmer in Europa unschlagbar", sagt Hackl. Ebenfalls in Umsetzung: Produktentwicklung im Baukastensystem.
Blum: Im Produktionsumfeld über natürliche Fluktuation angepasst
Weit weg vom Niveau der Spitzenzeiten aus dem Jahr 2022, jedoch stabilisiert: So fasst Philipp Blum, geschäftsführender Gesellschafter des Beschlägeherstellers aus Höchst das aktuelle wirtschaftliche Bild zusammen. Das Unternehmen könne wieder etwas zuversichtlicher auf die nächsten Monate blicken. "Die Talsohle scheint durchschritten", sagt Blum. Wenn auch die Kaufzurückhaltung längst nicht überall in Europa positiveren Aussichten gewichen sei. Westeuropäische Märkte, etwa Skandinavien, würden aktuell extrem leiden, der Osten Europas dagegen entwickle sich recht positiv.
Bei den Überseemärkten zeige sich ebenfalls ein diverses Bild: "USA hilft uns massiv, in Asien läuft es ebenfalls gut", sagt Blum. Mit Ausnahme von China. Dort spüre Blum den massiven Marktbedarfsrückgang bei hochwertigen Beschlägen. "Chinesische Lieferanten kommen dort aktuell viel eher zum Zug als wir", sagt Blum. Wann sich die Situation drehe, könne er nur mutmaßen. "Mittelfristig wird China für uns weiterhin eine wichtige Rolle spielen", sagt der Manager, der das Unternehmen mit seinem Cousin Martin in dritter Generation führt. Einstweilen tue man, was das Unternehmen auszeichne: Die Kundennähe weiter zu erhöhen und in neuen - auch digitalen - Technologien und Services "Wertschöpfung zu generieren".

So seine Gedanken macht sich Philipp Blum dieser Tage über die Beschaffenheit des Wirtschaftsstandorts Österreich. Blum ist kein Krakeeler, der sofort mit Abwanderung droht. "Wir werden auch noch übermorgen hier sein", sagt er. Es liege ihm auch nichts ferner, als den Wirtschaftsplatz krankzujammern. Es gebe immer Möglichkeiten. So wurden an den Vorarlberger Standorten des Unternehmens in den letzten Monaten keine Kündigungen ausgesprochen, sondern es wurde im Produktionsumfeld über natürliche Fluktuation angepasst. Eine Maßnahme, die sich in einem großen Unternehmen doch bemerkbar macht. Die Zahl der Mitarbeiter liegt heute rund 400 unter der Zahl 2023.
Mit lokalen Lieferanten, die weniger flexible Masse hätten, um mit Auftragsrückgängen zu hantieren, würde Blum "versuchen, partnerschaftliche Lösungen zu finden", sagt der Manager. Man leiste in der Lieferkette "seinen Beitrag". Doch bei den Kostensteigerungen der letzten Monate - etwa den Rohmaterialpreisen und den um ein Drittel gestiegenen Lohnkosten - und dem auch innerhalb der EU vollzogenen Bürokratieaufbau müsse auch er schlucken, sagt Blum. So würde CBAM, das neue Klimaschutzinstrument der EU, Mitbewerber von Blum, die außerhalb der EU Beschläge fertigen und diese in die EU einführen, unverhältnismäßig begünstigen."Es würde schon helfen, wenn diese Unternehmen auch in die Bepreisung fielen", meint Blum.
"Faktenbasierte gute Lösungen" sind es also, die er sich auf europäischer Ebene wünscht. Und die er auch auf nationaler Ebene als erstrebenswert erachtet. "Mit Populismus, der Überhand nimmt und einfache Antworten suggeriert, die es so nicht gibt, tue ich mir schwer", sagt Blum. Jene Form der sozialpartnerschaftlichen Kompromissfindung, bei der die besten Ideen am Tisch liegen und verhandelt werden, habe Österreich immer gut gestanden. "Wir müssen aufpassen, dass klassenkämpferische Töne nicht das gesellschaftliche Klima vergiften", sagt Blum. Ein bloßes Lippenbekenntnis Österreichs zur europäischen Idee halte er für brandgefährlich. "Ohne EU können wir morgen gleich zumachen", so Blum.
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