Was Österreichs Top-Manager sagen : Wirtschaftselite warnt: Arbeiten wir Österreicher wirklich zu wenig?
Inhalt
- „Überstunden lohnen sich nicht mehr“ – HAI-Chef warnt vor falschen Anreizen
- Weniger Feiertage, mehr Leistung?“ – Fill fordert mehr Nettoarbeitszeit
- Arbeitskultur im Wandel – Warum der Koenig & Bauer-Chef Alarm schlägt
- "Das rechnet sich nicht mehr“ – IV-Präsident warnt vor Wohlstandsverlust
- Banner-Chef: „Arbeiten wir wirklich weniger – oder nur anders?“
- Flexibilität ja, aber...“ – Siemens-Chefin über Lohnkosten und Realität
- Rübig: „Feiertage sind ein Standortnachteil“ – Industrie in der Zwickmühle
- Pandemie-Folge: „Krankenstände explodieren“ – Geislinger über Produktivität
- Nicht vorbereitet“ – Andritz-Personalchef über verpasste Chancen im Arbeitsmarkt

Zu viel Komfortzone? Die Debatte um die Arbeitszeit in Österreich ist ein Dauerbrenner - 10 Manager beziehen Stellung
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„Überstunden lohnen sich nicht mehr“ – HAI-Chef warnt vor falschen Anreizen
Rob van Gils sieht den Standort Europa im Rückwärtsgang. Nicht wegen mangelnder Technologie. Vielmehr wegen einer gefährlichen Kombination aus politisch verursachten Marktverwerfungen, steigenden Lohnstückkosten und sinkender Leistungsbereitschaft. „Wir haben aus der Wohlstandshistorie heraus eine gewisse Bequemlichkeit entwickelt“, sagt der CEO von Hammerer Aluminium Industries (HAI). „Jetzt kommt die Rechnung.“
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Für van Gils ist klar: Die Diskussion über Teilzeit, Homeoffice und verkürzte Arbeitszeiten verkennt die Realität der Industrie. „Es wurde den Leuten suggeriert, sie könnten mehr verdienen, indem sie weniger arbeiten. Das hat die Haltung zur Arbeit verändert.“ Leistungsbereitschaft sei nach wie vor vorhanden – aber nicht mehr im breiten Maß. „Immer weniger ziehen den Karren, und genau die werden überproportional belastet.“
Reformversprechen?
Ohne strukturelle Reformen – etwa bei Steuern, Arbeitszeitmodellen und Lohnnebenkosten – sei die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs langfristig nicht zu halten. Van Gils sieht Europa an einem Scheideweg: „Die Welt wartet nicht auf uns. Wenn wir es nicht schaffen, aus dieser Komfortzone herauszukommen, dann erledigt das der Markt.“ HAI misst Produktivität klassisch: Produktionsmenge pro Zeiteinheit, kalkulierte vs. reale Projektkosten, Nachkalkulationen. Van Gils ist mit der Leistung seiner Leute nicht unzufrieden – im Gegenteil: „Unsere Innviertler sind fleißig. Es gibt viele, die freiwillig mehr arbeiten würden – aber sie tun es nicht, weil die steuerliche Belastung jede Motivation zunichtemacht.“ Das System schrecke sie ab. Wer nach der Pension weiterarbeitet, wird steuerlich bestraft. Auch für Überstunden gelte eine „absurde Überbelastung“.
Der CEO fordert daher einen Systemwechsel: Überstunden und verlängerte Lebensarbeitszeiten müssten entlastet werden. „Wer länger arbeitet oder über das gesetzliche Maß hinausgeht, darf nicht bestraft werden.“ Das aktuelle System verhindere nicht nur Flexibilität, sondern blockiere auch wirtschaftlich dringend nötige Zusatzleistungen.
Van Gils hält wenig von der Idee einer 32-Stunden-Woche. „Das ist ein Irrweg. Wir haben in allen europäischen Rankings zuletzt auf den Abstiegsplätzen abgeschnitten. Das sagt alles.“ Wohlstand sei nicht gesichert – er müsse täglich neu erarbeitet werden. HAI beschäftigt im Headquarter in Ranshofen sowie an den Standorten in Deutschland, Polen und Rumänien mittlerweile über 40 Nationalitäten. Die Unterschiede im Arbeitsverständnis seien frappant. „In Rumänien arbeiten die Leute so viel, wie sie gebraucht werden – Überstunden sind selbstverständlich.“ In Österreich hingegen dominiere die Diskussion über Work-Life-Balance und verkürzte Arbeitszeiten. Für van Gils ein klarer Standortnachteil.
Weniger Feiertage, mehr Leistung?“ – Fill fordert mehr Nettoarbeitszeit
"Aktuell wird in Österreich zu wenig gearbeitet“, sagt Andreas Fill, der Geschäftsführer des oberösterreichischen Maschinenbauunternehmens Fill. Zwar sei das gegenwärtige Projektumfeld vielerorts von Zurückhaltung geprägt, was auch den Fachkräftemangel relativiere. Doch mit Blick auf die Zukunft sei die Lage eindeutig: „Wenn wir den Standort Österreich wettbewerbsfähig halten wollen, müssen wir bereit sein, die Meile mehr zu gehen – und zwar alle, vom Shopfloor bis ins Management.“ Der Unternehmer spricht sich für eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Nettoarbeitszeit aus. Feiertage, Kuren, Krankenstände und Urlaube summieren sich in seinen Augen zu einer Belastung für den Standort. „Warum sollte ein dreiwöchiger Kuraufenthalt nicht eine Woche Urlaub kosten?“, fragt er rhetorisch. Auch eine Reduktion der Feiertage um ein bis zwei Tage im Jahr hält Fill für zumutbar – ebenso wie eine differenziertere Betrachtung von Langzeitkrankenständen. „Wenn man Wohlstand erhalten will, muss man auch bereit sein, einen Beitrag zu leisten.“
Dass Österreichs Lohnkosten im internationalen Vergleich kaum noch zu argumentieren sind, ist für Fill offenkundig. Die Lohnabschlüsse der vergangenen Jahre seien durch hohe Inflationsanpassungen in eine gefährliche Richtung gegangen. „Wenn wir die Inflation voll abgelten, dann muss auch mehr Leistung kommen – beispielsweise durch eine Reduktion von Freizeitansprüchen.“ Den Fokus ausschließlich auf zusätzliche Kosten zu legen, ohne strukturelle Gegenleistungen, hält er für fahrlässig.
Produktivität: 110 Prozent
Fill kennt die Effekte von Unterauslastung wie von Volldruck. „Unser Unternehmen funktioniert am besten, wenn wir bei 110 Prozent laufen“, sagt er. „Da entsteht Dynamik, Effizienz, Teamspirit.“ In der aktuellen Rezession – „wir fahren derzeit eher mit 90 Prozent“ – sei das deutlich schwerer spürbar. Gleichzeitig ortet er wieder eine wachsende Bereitschaft unter Mitarbeitenden, Verantwortung zu übernehmen und sich einzubringen. „Die Wahrnehmung von Arbeitsplatzsicherheit hat sich verändert.“ Trotz wirtschaftlich herausforderndem Umfeld hält Fill an seinen Prinzipien fest: Zehn Prozent des Unternehmensergebnisses werden als Prämie ausgeschüttet – diesmal allerdings in Form von bezahlter Freizeit. „Im Schnitt haben unsere Mitarbeitenden heuer acht zusätzliche Urlaubstage erhalten – und das kam sehr gut an.“
Produktivität und Effizienz werden im Haus Fill seit Jahren systematisch gemessen: Betriebsleistung pro Kopf, Maschinenauslastung, Durchlaufzeiten. Dazu kommen 360-Grad-Feedbacks, anonyme Befragungen und qualitative Einschätzungen. „Die Teilnahmequoten sind hoch, das Feedback ist gut – das spricht für sich“, so Fill.
Fill spricht sich gegen Quotenregelungen, aber für gezielte Förderung aus. „Wir machen keine Unterschiede – bei uns zählt Qualifikation.“ Dennoch sei man aktiv: 25 % der Lehrlinge sind weiblich, auch in der Führungsebene sei der Frauenanteil leicht steigend. Ältere Beschäftigte bleiben im Unternehmen oft lange aktiv – auch durch flexible Modelle und das familiäre Umfeld, das bei Fill traditionell gepflegt wird.
Politischer Mut gefragt
"Wenn wir unseren Wohlstand halten wollen, müssen wir auch bereit sein, wieder mehr beizutragen“, ist Fill überzeugt. Dass dies niemand offen ausspreche – aus Angst vor dem Wählerverlust – sei Teil des Problems. „Jeder redet vom Erhalt des Wohlstands, aber niemand sagt, was es dafür braucht.“ Der Maßnahmenkatalog der Industrie – von Arbeitszeitflexibilisierung bis Entbürokratisierung – sei noch nicht Teil des politischen Mainstreams. „Wer behauptet, man könne ohne Leistung den Wohlstand halten, ist ein Scharlatan“, meint Fill. In Zeiten wachsender internationaler Konkurrenz sei es fahrlässig, pauschale Arbeitszeitverkürzung und neue Sozialleistungen zu diskutieren.
Arbeitskultur im Wandel – Warum der Koenig & Bauer-Chef Alarm schlägt
„Als Vertreter des VDMA-Vorstands blicke ich mit Sorge auf die Entwicklung des Industriestandortes Österreich“, sagt Rudolf Vogl, CEO von Koenig & Bauer (AT). Die Verschiebung der Arbeitskultur in Österreich sei seit der Pandemie "besorgniserregend": Zunehmende Krankenstände, eine sinkende Bereitschaft zur Mehrleistung gepaart mit steigenden Lohnforderungen bei gleichzeitigem Wunsch nach kürzeren Arbeitszeiten seien ein "toxisches Gemisch". Dies sei nicht nur wirtschaftlich untragbar, sondern berge auch erhebliche gesellschaftliche Risiken, meint der Manager. "Wir müssen den Grundsatz wiederherstellen, dass sich Leistung wieder lohnt".
So benötige es eine Rückkehr zu marktorientierten, flexiblen Modellen. Dies beinhaltet die verstärkte Implementierung von Einmalzahlungen und Leistungsprämien anstelle linearer Kollektivvertragssteigerungen. "Sollten wir diese notwendigen Anpassungen nicht vornehmen, droht der Industriestandort Österreich seine Attraktivität im Vergleich zu internationalen Marktmitbegleitern einzubüßen".
Die Erfahrungen von Koenig & Bauer (AT) zeigen, dass Produktivitätssteigerungen durch strukturelle Maßnahmen wie die Einführung einer Fließfertigung möglich sind. Eine Steigerung von bis zu 30 Prozent bei bestimmten Aggregaten unterstreicht das Potenzial von Prozessoptimierungen entlang der gesamten End-to-End-Prozesskette. Dennoch: Um wettbewerbsfähig zu bleiben, sind jährliche Produktivitätszuwächse von drei bis vier Prozent unerlässlich.
Besonders hervorzuheben seien innovative Anreizmodelle, wie sie bei Koenig & Bauer (AT) für aufwendige Auslands-Montageeinsätze praktiziert werden. Ein Punktesystem für internationale Einsätze, gekoppelt mit variablen Prämien, belohnt das Engagement und die Qualifikation von Fachkräften. Die Einführung einer Qualifikationsmatrix ermöglicht zudem eine gezielte Weiterentwicklung der Mitarbeitenden für lukrativere Aufgaben. Solche Modelle sind essentiell, um hochqualifizierte Fachkräfte zu motivieren und langfristig zu binden. Die Vereinbarung eines betrieblichen Flexibilitätsmodells mit einem Zeitkorridor zur Abfederung von Schwankungen im Projektgeschäft – und hier hat Koenig & Bauer (AT) deutlich höhere Regelungen getroffen, als die Kollektivverträge vorsehen – seien ein Beispiel für die notwendige Anpassung an die Realitäten der modernen Industrieproduktion. "Die im Kollektivvertrag vorgesehenen Stunden sind in vielen Umfeldern schlichtweg unzureichend", meint Vogl.
Man sehe auch einen deutlichen Nachholbedarf bei der Integration von Frauen in technische Berufe. Gezielte Programme und die Einbindung von Fachkräften im Ruhestand für Schulungs- und Dokumentationsaufgaben sind hier vielversprechende Ansätze, die Win-Win-Situationen schaffen. "Die gestiegene Belastung im Management unterstreicht die Notwendigkeit, agile Strukturen und Entlastungsmöglichkeiten zu schaffen", sagt Vogl. Die Vorstellung, dass Digitalisierung und Künstliche Intelligenz (KI) primär zur Reduzierung der Arbeitszeit führen, sei nach seiner Einschätzung irreführend. Die Implementierung von KI ist unerlässlich, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Investitionen in die gezielte Schulung hunderter Mitarbeitender seien hierbei entscheidend. "In asiatischen Märkten ist die Diskussion um eine 35-Stunden-Woche schlichtweg nicht existent – unsere Wettbewerber agieren mit einer anderen Arbeitsmentalität", sagt der Manager.
"Das rechnet sich nicht mehr“ – IV-Präsident warnt vor Wohlstandsverlust
IV-Präsident Georg Knill über stagnierende Arbeitsproduktivität und die Frage, ob Österreich zu wenig arbeitet.
INDUSTRIEMAGAZIN: Herr Knill, arbeiten wir in Österreich zu wenig?
Georg Knill: Wir haben heute knapp viereinhalb Millionen Erwerbstätige in Österreich. Das sind so viele wie nie zuvor. Gleichzeitig leisten wir in Summe aber noch immer gleich viele Stunden wie vor Jahren. Da braucht man kein großer Mathematiker zu sein, um zu sehen: Das geht sich nicht mehr aus.
Was sind die Ursachen?
Knill: Es gibt da mehrere Phänomene, die zusammenwirken. Aber wenn wir nüchtern auf die Zahlen schauen, dann sehen wir: Die Jahresarbeitszeit in Österreich liegt bei rund 1.400 Stunden, das ist etwa 25 % weniger als in den USA. Aber auch in Europa arbeiten viele Länder mehr als wir. Und wir wissen, woher das kommt: Urlaube, Feiertage, Krankenstände. Ich kritisiere das nicht pauschal – aber wir müssen ehrlich sein. Diese geringe Stundenleistung führt unweigerlich zu einer niedrigeren Produktivität.
Ein strukturelles Problem.
Knill: Wenn die Arbeitskosten steigen – Stichwort Lohnstückkosten – und gleichzeitig die Produktivität sinkt oder stagniert, dann gerät das System unter Druck. Die Lohnstückkosten in Österreich sind in den letzten Jahren um über 30 Prozent gestiegen, in Deutschland beispielsweise nur um die Hälfte. Das Preis-Leistungs-Verhältnis passt nicht mehr. Wir haben uns aus dem Markt hinausgepreist.
Wird das in der öffentlichen Diskussion ausreichend thematisiert?
Knill: Leider nein. Wenn man die Frage stellt, ob wir in Österreich zu wenig arbeiten, dann kommen sofort reflexartige Abwehrreaktionen. Es gibt tausend Gründe, warum Reformen bei uns angeblich nicht funktionieren – aber keinen einzigen konkreten Vorschlag, wie wir es besser machen könnten. Das zeigt, in welcher Verfasstheit wir uns gesellschaftlich befinden: Probleme sind sichtbar, aber man will sie nicht angehen.
An wem könnte sich Österreich orientieren?
Knill: Dänemark zum Beispiel. Dort ist es gesellschaftlicher Konsens, dass mit steigender Lebenserwartung auch länger gearbeitet wird. Gleichzeitig haben sie ein kapitalgedecktes Pensionssystem eingeführt, das weniger Belastungen für den Staatshaushalt darstellt. In Österreich verweigern wir uns solchen Diskussionen kategorisch – und das, obwohl die Probleme bekannt sind.
Welche Folgen hat das für den Standort?
Knill: Wenn wir weniger arbeiten, aber gleichzeitig die Systeme wie Pension, Pflege und Gesundheit immer teurer werden, dann bricht uns auf Dauer die Finanzierungsbasis weg. Wir leisten in Summe weniger als früher. Und wir müssen mehr leisten, länger und auch intensiver, wenn wir unseren Lebensstandard und den Sozialstaat halten wollen.
Was erwarten Sie von der Politik?
Knill: Die Bereitschaft, diese Debatte offen und ehrlich zu führen. Das ist keine angenehme Diskussion, ich verstehe das. Aber wir brauchen sie. Es geht darum, unser System zukunftsfit zu machen. Wenn wir die Realität nicht anerkennen, dann wird es in fünf oder zehn Jahren nicht mehr um Reformen gehen – sondern um harte Einschnitte.
Banner-Chef: „Arbeiten wir wirklich weniger – oder nur anders?“
„Ich sehe in der Industrie keine sinkende Leistungsbereitschaft“, sagt der Geschäftsführer der Banner Gruppe Werner Töpfl. „Wir haben viele junge Mitarbeitende, die mit großem Engagement bei Projekten wie unserer SAP-Einführung dabei sind. Die Frage ist nicht, ob jemand 40 oder 30 Stunden arbeitet – sondern ob das, was getan wird, sinnvoll und produktiv ist.“ Teilzeitmodelle würden bei Banner aktiv gelebt – gerade bei Frauen, die nach der Karenz zurückkehren. Problematisch sei eher das Auseinanderdriften von Lohnanspruch und tatsächlichem Output. „Der Faktor Arbeit ist schlicht zu teuer geworden.“ Man habe in der Vergangenheit Lohnerhöhungen über Produktivitätszuwächse abfangen können – "heute geht das nicht mehr.“ Die 23 Prozent KV-Erhöhung über drei Jahre seien ein klares Signal: Die Luft wird dünner. „Diese Kosten trägt uns kein Kunde. Jetzt müssen wir – durch Automatisierung, Digitalisierung und effizientere Prozesse – gegensteuern.“
Die Krankenstandsdauer liegt bei Banner laut Töpfl bei rund 14 Tagen im Jahr – ein Wert, der etwa im europäischen Mittelfeld liegt. „Natürlich gibt es auch schwarze Schafe. Aber ich unterstelle den meisten Mitarbeitenden, dass sie wissen, dass ein Krankenstand auch für das Unternehmen eine Belastung ist.“ Man investiere daher gezielt in Programme zur Gesundheitsförderung – vor allem für die stark belasteten Shopfloor-Mitarbeitenden, die unter Bedingungen wie Bleibelastung arbeiten.
Spielraum bei Produktivität
Bei der Fertigung sei durch Lean-Methoden und Automatisierung in den letzten Jahren bereits viel erreicht worden, sagt Töpfl. Dennoch gebe es auch hier noch Potenzial, etwa durch moderne Logistiklösungen oder smarte Automatisierung. In der Verwaltung verspricht man sich von der SAP-Einführung sowie künftigen KI-Anwendungen neue Effizienzgewinne. Ziel sei es, die Produktivität im gesamten Unternehmen um weitere zehn Prozent zu steigern. „Wir müssen uns nicht krankreden. Wenn wir völlig aus dem Markt gepreist wären, gäbe es uns längst nicht mehr“, sagt Töpfl. Aufgaben der Zukunft heißen Digitalisierung, Automatisierung und Flexibilisierung. Und der Anspruch: weniger Vollkasko-Mentalität, mehr Eigenverantwortung.
"In der Vergangenheit konnten wir Lohnerhöhungen über Produktivitätszuwächse abfangen – heute geht das nicht mehr.“
Werner Töpfl, Geschäftsführer der Banner Gruppe
Flexibilität ja, aber...“ – Siemens-Chefin über Lohnkosten und Realität
Patricia Neumann, Vorstandsvorsitzende Siemens AG Österreich, über flexibleres Arbeiten und hohe Arbeitskosten.
INDUSTRIEMAGAZIN: Frau Neumann, Wie erleben Sie die Debatte um das Spannungsfeld aus Teilzeitarbeit, Krankenständen und rückläufiger Produktivität?
Patricia Neumann: Der Wunsch nach einem ausgeglichenen Privat- und Arbeitsleben ist da – und das ist auch gut so und wird von uns gefördert. Trotzdem dürfen wir nicht die Augen davor verschließen, dass in manchen Bereichen in Österreich noch Aufholbedarf herrscht. Wir werben für mehr Frauen in Unternehmen, schaffen es in Österreich aber (noch) nicht, dass mehr Männer in Karenz gehen. Kinderbetreuung ist besonders im ländlichen Raum oft noch ausbaufähig. Wir als Unternehmen fassen uns hier an die eigene Nase und schaffen beispielsweise mit flexiblen Arbeitszeiten und Betriebskindergärten das Umfeld, um gerne Arbeiten zu gehen und das auch mit dem Familienleben in Einklang zu bringen.
Wie sehen Sie die Entwicklung bei den Arbeitskosten?
Neumann: Die Lohnkosten in Österreich sind sehr hoch – sorgen aber auch dafür, dass Österreich ein attraktiver Lebens- und Arbeitsstandort mit ausgeprägten Sozialsystem ist. Die wirtschaftliche Stärke Österreich basiert auf Innovationen. Wir sind ein Land der Nischenplayer, ein Land der Erfinder und haben erfolgreiche Mittelständler und starke, große Unternehmen, die gemeinsam in einem Ökosystem arbeiten, das einzigartig ist. Auch verfügt Österreich über eine breite industrielle Basis. Trotzdem würde uns eine Entlastung auf Seiten der Lohnnebenkosten natürlich helfen, als Wirtschaftsstandort zusätzlich an Attraktivität zu gewinnen.
Welche Anreizsysteme gibt es in Ihrem Unternehmen, um positive Akzente zu setzen?
Neumann: Wir bieten unseren Mitarbeitenden eine hohe Flexibilität in puncto Arbeitszeit und Arbeitsort, einschließlich mobiles Arbeiten, Homeoffice und flexible Arbeitszeitmodelle. Siemens setzt auf betriebsinterne Maßnahmen, um alle Arbeitszeitmodelle für beide Elternteile möglich zu machen, wie etwa den Betriebskindergarten am Standort und zielgerichtete Managementausbildung und Bewusstseinsbildung.
Rübig: „Feiertage sind ein Standortnachteil“ – Industrie in der Zwickmühle
Bernd Rübig, Chef der Rübig Gruppe, beobachtet seit der Corona-Pandemie einen grundlegenden Mentalitätswandel, „der quer durch alle Altersgruppen geht – auch wenn er bei Jüngeren stärker auffällt.“ Das Phänomen sei weniger ein Generationenproblem, sondern eine Folge des „Fluchtwinkels“, den Corona geschaffen habe. Die Motivation, sich etwas aufzubauen, nehme ab – ebenso die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen oder Zusatzarbeit zu leisten. Besonders in der Wärmebehandlung, wo das Tagesgeschäft oft kurzfristige Schichtentscheidungen erfordert, merkt Rübig: „Der Wille, ins Wochenende zu gehen, ist massiv gesunken.“ Früher sei jede Überstunde ausbezahlt worden. Heute setze man stärker auf Zeitguthaben – auch aus Kostengründen. Denn: Der Personalbereich sei der größte Hebel zur Kostensenkung geworden. Und dennoch: „Diese Flexibilität beruht bei uns auf Freiwilligkeit. Wer zum Beispiel sein Kind vom Fußball abholen will, soll das auch können.“
Der industrielle Alltag ist laut Rübig aber längst nicht mehr planbar wie vor zehn Jahren. Volatile Auftragslagen zwingen zu permanenter Anpassung. Projektverschiebungen aufgrund fehlender Bereitschaft zur Wochenendarbeit seien an der Tagesordnung. „Wenn es eng wird, müssen wir priorisieren – manchmal heißt das auch, Kunden in der Triage zu vertrösten. Aber Qualität opfern wir dafür nicht.“
Für Rübig liegt eines der zentralen Probleme in der steuerlichen Behandlung von Mehrleistung: „Wer mehr arbeitet, wird vom Staat bestraft.“ Die Abgabenquote raube jeglichen Anreiz, sich über das Maß hinaus zu engagieren. Hochqualifizierte Fachkräfte würden durch dieses System ins Ausland getrieben. „Da fehlt es nicht an Leistungsbereitschaft – sondern an Anreizen.“
Die zunehmenden Herausforderungen am heimischen Standort – von Arbeitskosten über mangelnde Flexibilität bis hin zur Industriepolitik – führen laut Rübig dazu, dass man Alternativen prüft. „Wir suchen neue Lieferketten außerhalb Europas – etwa im Osten oder Asien.“ Der europäische Standort sei „an die Wand gefahren“. Wenn es keine industriepolitische Wende gebe, drohe der Rückzug auf Verwaltungstätigkeiten – produziert werde dann anderswo. „Unser Markt kennt keine Feiertage", sagt Rübig.
Arbeiten bis 70?
Frauen gezielt in technische Berufe zu bringen, sei weiterhin schwierig. Bei älteren Mitarbeitenden setze man gezielt auf Wissenstransfer. „Wer will und kann, soll auch nach der Pension weiter mitarbeiten – ohne steuerliche Abschläge.“ Es brauche flexible Zuverdienstmodelle statt starrer Altersgrenzen. Das Arbeiten bis 70 sieht Rübig hingegen kritisch: „Wer jahrzehntelang ins System eingezahlt hat, soll seinen Ruhestand auch genießen dürfen.“ Bei der Zahl der Feiertage sieht Rübig Reformpotenzial: „Ich würde sämtliche Feiertage streichen und dafür Urlaubstage aufstocken. Aber das traut sich politisch keiner.“ Für ihn sind überbordende Freizeitansprüche ein Symptom einer „spätrömischen Dekadenz“.
Pandemie-Folge: „Krankenstände explodieren“ – Geislinger über Produktivität
„Ich sehe in unserem Unternehmen nicht, dass zu wenig gearbeitet wird“, sagt Adrian Geislinger, Geschäftsführer des Spezialisten für Antriebskomponenten Geislinger. Die Produktivität in der Fertigung sei stabil, Kennzahlen würden dies belegen. Problematischer sei vielmehr der gestiegene Krankenstand seit der Pandemie – ein Phänomen, das auch in seinem Unternehmen signifikant sichtbar ist. Insbesondere im operativen Bereich am Shopfloor, wo Homeoffice keine Option darstellt, schlagen sich körperliche Belastungen direkt in Krankenstandstagen nieder. Was Geislinger jedoch weit über Zahlen hinaus beschäftigt, ist ein kultureller Aspekt: „Wir verfallen in Europa gerne in eine Haltung zu fragen, warum etwas nicht geht – statt zu fragen, wie es möglich wird“, so Geislinger. In den USA oder Asien sieht er ein deutlich ausgeprägteres Leistungsbewusstsein. „Das ist eine Frage des Mindsets“, sagt er.
Trotz guter Auftragslage – Geislinger meldet ein Auftragsplus von 30 Prozent – ist für ihn klar: „Die Kostenentwicklung in Österreich gefährdet unser Wachstum“. Im globalen Vergleich seien die Personalkosten in Österreich in den vergangenen Jahren überdurchschnittlich stark gestiegen. „Wir benchmarken unsere Standorte – und sehen, dass der Kostendruck hierzulande natürlich deutlich größer ist als in Korea, China oder den USA.“ Die Folge: Margen schwinden, Wachstum wird schwieriger finanzierbar.
Die Antwort auf diese Herausforderungen liegt für Geislinger in einer Performance-Kultur: „Wir wollen nicht in der Komfortzone bleiben“. Gemeinsam mit seinem Geschäftsführerkollegen Thorsten Philipp treibt er eine Kultur voran, die auf Eigenverantwortung und Lösungsorientierung basiert. Anstatt Probleme zu beklagen, soll im Unternehmen gefragt werden: „Wie erreichen wir unser Ziel?“ Der Leistungsanspruch gelte selbstredend auch für das Management.
Facharbeitermangel und schrumpfendes Reservoir
Deutlich spürbar: der Mangel an Fachkräften. „Es ist heute schwieriger, gute Facharbeiter zu bekommen als Akademiker“, sagt Geislinger. Das betrifft vor allem den Produktionsstandort in Kärnten. Der Rückzug vieler osteuropäischer Gastarbeiter nach der Corona-Pandemie habe die Lage weiter verschärft. Ein Versäumnis, das auch mit mangelnder Willkommenskultur in Österreich zu tun habe, wie Geislinger betont. Bei der Altersstruktur gibt es einen klaren Unterschied zwischen den beiden österreichischen Standorten: Salzburg ist älter, Kärnten jünger – mit einem Altersunterschied von rund acht Jahren. Die Fluktuation ist im Branchenvergleich niedrig, die Zahl der langjährigen Mitarbeitenden hoch. Die Antwort auf die Frage, ob wir zu wenig arbeiten, liegt für Geislinger demnach nicht in moralischen Appellen – sondern in einem klaren Vergleich mit der internationalen Realität: „Wenn andere leistungswilliger sind, dann haben wir ein Problem.“
Nicht vorbereitet“ – Andritz-Personalchef über verpasste Chancen im Arbeitsmarkt
Engelbert Liebminger, Personalchef des Grazer Maschinen- und Anlagenbaukonzerns Andritz, hält in der Debatte wenig von Alarmismus. Diese sei ja nicht neu, sondern ein wiederkehrendes Thema, das durch eine Kombination aktueller Faktoren neue Aufmerksamkeit erhält. „Wer heute überrascht ist, hat sich in den 90er-Jahren nicht vorbereitet“, sagt er in Hinblick auf die absehbare Pensionierungswelle der Babyboomer. Bei Andritz setze man seit Jahren auf eine ausgewogene Altersstruktur in Fünfjahresintervallen – ein Aspekt, der viele Herausforderungen abfedert. Die Frage, ob in Österreich „zu wenig gearbeitet“ wird, stellt sich für Liebminger differenziert. In prominenten Projekten – etwa bei der Energiewende – dominieren hohe Motivation und Einsatzfreude. „Wo es gelingt, international herausragende Projekte zu akquirieren, ist auch die Motivation der Belegschaft hoch“, sagt er. Sinnstiftende Arbeit sieht Liebminger als zentrale Stellschraube für Leistungsbereitschaft – nicht bloß monetäre Anreize. Dazu kommen strukturelle Maßnahmen: Durchlässige Systeme bei Montageeinsätzen, Teilzeitmodelle auch in der Fertigung, flexible Elternzeiten für Männer – vieles, was in anderen Betrieben noch als Ausnahme gilt, ist bei Andritz Realität. Allerdings, so Liebminger, gehe das mit deutlich höherem Steuerungsaufwand für die Führungskräfte einher.
Kritisch fällt Liebmingers Analyse bei den Arbeitskosten aus: Seit 2020 seien diese in Österreich um rund 28 Prozent gestiegen – deutlich mehr als im EU-Schnitt (17 %). Gleichzeitig verharre die Produktivität, was im internationalen Wettbewerb zunehmend zum Problem werde.
Den Frauenanteil im Unternehmen konnte Andritz in Österreich über die letzten Jahre auf über 20 Prozent steigern– auch in Bereichen, wo das traditionell schwierig ist, wie etwa im Ingenieurwesen. Entscheidender Erfolgsfaktor sei eine dynamische Entwicklung im Unternehmen selbst – nicht nur externe Vorgaben.
Berufe mit Schwerarbeitscharakter
EWas die Debatte um längeres Arbeiten betrifft – etwa das Schlagwort „Arbeiten bis 70“ –, ist Liebmingers Meinung eindeutig: „Für alle Berufe mit Schwerarbeitscharakter ist das realitätsfremd.“ Hier brauche es differenzierte Zugänge. "Die Polemik ist der Komplexität des Themas nicht angemessen", sagt Liebminger. Und er formuliert zwei Erwartungen an den Gesetzgeber: Erstens brauche der Anlagenbau in gewissen Bereichen flexiblere Regelungen für Wochenendarbeit – angesichts monatelanger Inbetriebnahmen bei Kunden. Zweitens müsse die überbordende Administration im Zuge der Lohn- und Sozialdumpingregelungen entschlackt werden. „Hunderttausende Euro Zusatzkosten für Formulare, wo europäische Tools längst bereitstehen, sind ökonomischer Unsinn“, sagt er.
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