Herr Anzengruber, bei der Klimakonferenz in Paris Ende letzten Jahres hat sich die Staatengemeinschaft auf notwendige und ambitionierte Klimaziele geeinigt. Schaffen wir die notwendige Dekarbonisierung, also den sukzessiven Ausstieg aus CO2-emittierenden fossilen Technologien?
Das sind keine Ideen für Schöngeister und Gutmenschen mehr, sondern ökonomische und ökologische Realitäten, denen wir uns stellen müssen. In der Stromversorgung sind wir in Österreich heut schon zu rund 80 % erneuerbar, die Energiewende bei Wärme und Verkehr, Stichwort E-Mobilität, steht uns aber noch bevor. Wenn wir die vereinbarten Klimaziele umsetzten wollen, ist das ein Kraftakt, den wir gemeinsam stemmen müssen.
Neben dem Ausbau der sicheren Netze nennen Sie Speicher als wichtigen Baustein für die Energiezukunft.
Aktuell sind (Pump-)Speicherkraftwerke die beste Form, Strom in großen Mengen zu speichern. Wir setzen darüber hinaus stark auf Forschung und Entwicklung zu neuen Speichermethoden. Grüner Wasserstoff kann hier zur Lösung beitragen, als Industrierohstoff und als flexibler Energiespeicher für die volatile Stromerzeugung aus Wind- und Sonnenkraft. Diesbezüglich haben wir Forschungskooperationen mit voestalpine und OMV gestartet.
Gemeinsam mit voestalpine ist eine Pilotanlage für grünen Wasserstoff in Linz geplant. Worum geht es hier genau?
Seitens der Voestalpine wird an der schrittweisen Dekarbonisierung der Stahlproduktion gearbeitet, um langfristig von Kohle über nachfolgende Brückentechnologien vor allem auf Erdgasbasis hin zu einer möglichen Anwendung von CO2-neutralem Wasserstoff im Stahlproduktionsprozess zu gelangen. Wir von der Stromseite müssen Volatilität ausgleichen und puffern. Da ham sich zwei getroffen, tät ich sagen...
Derzeit wird der Großteil des produzierten Wasserstoffs in chemischen Prozessen gewonnen. Wo ist da der Gewinn für den Klimaschutz?
Das stimmt. Der Wassserstoff wird heute erst zu rund vier Prozent aus Elektrolyse mit erneuerbarer Energie erzeugt. Doch das wird sich ändern: Mittelfristig wird der Anteil an Wasserstoff aus Elektrolyse stark steigen.
Was macht Sie da so sicher?
Grüne Energieerzeuger wie wir stehen vor einer massiven Herausforderung: Wir haben bei Sonnen- und Windenergie ganz hohe Volatilitäten. Um diese starken Schwankungen auszugleichen, muss irgendwo effizient gespeichert werden – oder der Bedarf flexibilisiert werden. Ersteres leistet die Umwandlung von grünem Strom in Wasserstoff. Wasserstoff ist, wenn Sie so wollen, ein hervorragender Speicher.
Die Umwandlung von grünem Strom in Wasserstoff bedeutet jedoch auch einen hohen Wirkkraftverlust. Wie kann sich das trotzdem rechnen?
Strom zu speichern bedeutet immer Wirkkraftverlust. Bei Pumpspeicherkraftwerken beträgt der Wirkungsgrad etwa 75 bis 80 Prozent. Bei überschüssigem Strom, der schon jetzt – Stichwort Power to Gas – in Wasserstoff und bei Bedarf wieder in Strom umgewandelt wird muss man mit 30 Prozent Wirkkraftverlust rechnen, bei jeder Umwandlung. Das kann sich dann natürlich nur rechnen, wenn der Überschuss extrem hoch ist. Aber genau hier beginnt die Sache mit dem Stahl aus Wasserstoff interessant zu werden: Wir ersparen uns einen Umwandlungsprozess und können den Wasserstoff direkt in den Stahlproduktionsprozess einlaufen lassen.
Welcher Mehrbedarf an Grünstrom ergibt sich daraus? Wie kann sich das ausgehen? voestalpine würde für die komplette Umstellung der Produktion auf erneuerbare Energie rund 33 TWh (Terawattstunden) pro Jahr aus dem externen Netz benötigen, da im Falle einer umfassenden Technologieänderung der Energiebedarf nicht mehr aus eigener Stromproduktion gedeckt werden könnte. Dies entspricht der Leistung von mehr als 30 Großwasserkraftwerken bzw. rund 50 Prozent des gesamten heutigen Strombedarfs Österreichs. Dieser Bedarf ist natürlich riesig und ist mit der derzeitigen Produktion nicht zu machen. Das ist, klarerweise, ein Projekt mit einem Horizont von 20 bis 30 Jahren.
Wäre es möglich, den grünen Strom in den nächsten 20-30 Jahren soweit auszubauen um den Zusatzbedarf zu ersetzen?
Wir haben ein Ausbaupotenzial von etwa 18 Terrawattstunden bis zum Jahr 2035, die wir als zusätzlichen Strom aus Wasser, Wind und Sonne wirtschaftlich erzeugen können. Das wäre schon mal ein schöner Teil, der angegangen werden kann, wenn sich damit das Speicherproblem löst.