Klagewelle : Speditionskartell: Industrie prüft Schadenersatzklagen

Den 10. Mai dürften sich die Manager etlicher heimischer Speditionsbetriebe rot im Kalender angestrichen haben. An diesem Montag endet die Frist, bis zu der sie sich zu den Kartellvorwürfen äußern können. Von 1994 bis 2007 sollen sie Preise und Kunden für den Transport von Anlagen, Paletten und Fässern abgesprochen haben. Entscheidend für die Abgabe der Stellungnahme ist der Poststempel. Briefe, die später aufgegeben werden, lässt der zuständige Richter am Oberlandesgericht Wien im Verfahren außen vor. „Nichts nennenswertes eingelangt". Sicherlich feilen einige Unternehmen bis zur letzten Sekunde an ihrer Argumentation. Andere könnten die Wichtigkeit des Tages aber verkennen. „Noch sind keine Stellungnahmen von nennenswertem Inhalt bei uns eingegangen“, sagt Raimund Wurzer, Sprecher des Oberlandesgerichtes. Das ist umso erstaunlicher, als dass sich seit Ende Februar Kartons voller Beweise bei Gericht befinden. Das brisanteste Dokument ist die Tarifordnung, die die Spediteure jedes Jahr herausgegeben haben. Sie enthält die Preisvorgaben samt diverser Zuschläge – Maut, Treibstoff, Gefahrgut, Versicherung, Nachnahme, sonstige Administration - für den Stückgutverkehr in Österreich. (Das Industriemagazin berichtete, eine Chronologie der Vorgänge finden Sie auf Seite 2 dieses Artikels). „Genauestens informiert“. 36.000 Seiten sind es insgesamt – eine Recherche, die ohne den Kronzeugen nicht möglich gewesen wäre. „Er hat uns über alle internen Vorgänge des mutmaßlichen Kartells genauestens informiert. Das hätten wir in der Dichte und Fülle nicht aufarbeiten können“, sagt Stefan Keznickl, Sprecher der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB). Die Offenheit lohnt sich für den Kronzeugen. Er geht im Falle eines Verstoßes gegen EU-Kartellrecht straffrei aus. Den anderen Mitgliedern der Preisgemeinschaft drohen Bußgelder. Deren Höhe kann beträchtlich sein. Beim Liftkartell beliefen sich die Strafen auf insgesamt 75,4 Millionen Euro. Jetzt wollen auch deren Kunden zu ihrem Recht kommen. Die Stadt Wien und die Stadt Salzburg waren die ersten, die Schadensersatzansprüche vor Gericht geltend machten. Ihrem Beispiel folgten zahlreiche Unternehmen, die Immofinanz-Tochter Buwog, die Bundesimmobiliengesellschaft, die ÖBB und die s Immo. Die Forderungshöhe hat das mittlerweile auf 100 Millionen Euro hochgetrieben. Verärgerte Kunden. Könnte schon bald eine Klagewelle auf das mutmaßliche Speditionskartell zuzurollen? In jedem Fall gibt es auch hier verärgerte Kunden, die ihren Anspruch auf Schadensersatz prüfen lassen wollen. „Eine handvoll Unternehmen hat mich kontaktiert, ob man hier etwas tun kann“, sagt Thomas Richter, Rechtsanwalt bei Spohn, Richter & Partner mit Sitz in Wien und Linz. Die Kanzlei vertritt auch Geschädigte des Aufzugskartells. Da der Kartellakt selbst in den Verfahren nicht einsehbar ist, müssen die betroffenen Unternehmen über Umwege zu einer Einschätzung ihres Schadens kommen. Die EU-Kommission hat dazu eine Bedienungsanleitung herausgegeben, die als Ashurst-Studie bekannt ist. Diese schlägt Preisprognosen, Vergleichsmarktbewertung und Bilanzanalysen als Methoden vor. Wer zu seinem Recht kommen will, darf allerdings keinen Mühen scheuen. „Natürlich ist es aufwendig, die ganzen Daten zu erfassen. Beim Aufzugskartell haben wir rund zwei Jahre herumgedoktert“, sagt der Jurist. Ob sich die Recherche schließlich auszahlt, lässt sich erst in einigen Monaten wenn nicht Jahren sagen. Solange könnten die Verfahren sich hinziehen. SSK zog Antrag zurück. Neue, brisante Details könnten den Geschädigten hilfreich sein: In einer Stellungnahme, die dem INDUSTRIEMAGAZIN exklusiv vorliegt, entkräftet die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) jetzt das Argument, wonach es sich bei der Spediteurs-Sammelladungs-Konferenz (SSK) um ein „genehmigtes Bagatellkartell“ handelt. 1994, also knapp vor dem EU-Beitritt, habe die SSK versucht, die Rahmenübereinkunft zu Preisen und Kunden als Kartell genehmigen zu lassen. „Ein Gutachten des paritätischen Kartellausschusses hat diesen Antrag jedoch als äußerst bedenklich eingestuft“ sagt Stefan Keznickl, Sprecher der BWB. Daraufhin habe die SSK ihren Antrag zurückgezogen. Schon damals musste also klar sein, dass die Vereinbarungen der SSK rechtlich nicht völlig unbedenklich sein kann. „Mangels kartellgerichtlicher Genehmigung hat die SSK dann 1995, also nach dem Beitritt zur EU, die Rahmenübereinkunft beim Kartellgericht als Bagatellkartell gemeldet“ so Keznickl. Dieses sei nach Kartellgesetz von 1988 festgestellt worden. Eine Prüfung oder gar offizielle Erlaubnis war mit diesem Verfahren jedoch nicht verbunden. „Eine Genehmigung des Kartells hat es nie gegeben, weder nach nationalem noch nach EU-Recht“ sagt Keznickl. Vanessa Voss

50er Jahre: Gründung des Kartells durch den Zentralverband der Spediteure 1994: Zurückziehen des Antrages auf Kartellgenehmigung durch SSK nach kritischem Gutachten des paritätischen Kartellausschusses 1995: Anmeldung der SSK als Bagatellkartell beim Kartellgericht Wien 2007: Erste schriftliche und mündliche Einvernahme des Kronzeugen durch die BWB November 2007: Veröffentlichung der letzten SSK-Tarifordnung „Schnell, Sicher, Kompetent“ 18. Februar 2010: Beweisvorlage für zwei mutmaßliche Speditions-Kartelle und Beantragung von Bußgeld bei Gericht 10. Mai 2010: Ende der Einreichfrist für Stellungnahmen der 42 betroffenen Spediteure Quelle: BWB, IM