Spekulation : Rohstoffpreise: Herdentrieb ins Kurstal

Die Geschehnisse am 6. Mai haben nicht nur Spekulanten am falschen Fuß erwischt. Ohne markanten Auslöser und völlig überraschend nahm der steile Aufwärtstrend der letzten Monate bei den Rohstoffpreisen an jenem sonnigen Donnerstagmorgen ein jähes Ende. Angeführt vom Ölpreis mit einem Tagesverlust von 8,5 Prozent stürzten auch die Preise für Industriemetalle massiv in sich zusammen.Doch nicht überall herrschte ob des satten Rabattes helle Freude – nicht einmal in den Führungsetagen heimischer Rohstoffverarbeiter. „Viele mittelständische Unternehmen haben unserer Erfahrung nach keine Einkaufsstrategie und decken sich bei markanten Rohstoffpreisanstiegen oft panisch zu Höchstkursen ein“, sagt Gundula Jäger, Geschäftsführerin der Kerkhoff Consulting GmbH aus Wien. ETFs und ETC treiben die Preise.Ob das jüngste Kursmassaker an den Rohstoffmärkten eine nachhaltige Trendwende oder nur eine vorübergehende Korrektur war, spaltet derzeit die Expertenlager. Fest steht: Auf einen Einbruch der physischen Nachfrage nach Industriemetallen ist der jüngste Preissturz an den Rohstoffmärkten nicht zurückzuführen. Bei Kupfer etwa rechnet die International Copper Study Group in ihrer neuesten Prognose nach dem Angebotsdefizit im Vorjahr von 253 tausend Tonnen für 2011 und 2012 mit Fehlmengen von 378 bzw. 279 tausend Tonnen. Vielmehr dürfte ein milliardenschwerer Trend zur Veranlagung in Rohstoffprodukten hinter den Kurskapriolen stecken. Eine vielzahl neu aufgelegter Produkte, so genannte Exchange Traded Funds (ETFs) und Exchange Traded Commodities (ETCs) blähen derzeit den Markt auf. „Das Volumen von börsennotierten Rohstoffprodukten ist hat sich seit Ende 2009 fast verdoppelt“ sagt Philip Knüppel, Commodity-Produktmanager der Deutschen Bank. Die Volumina sind dabei enorm: Mitte April wurden weltweit 41 Milliarden Euro an Rohfstoffprodukten spekulativ gehandelt. Herdentrieb.Prinzipiell – und das ist das markttechnische Problem – ist die neue Generation der Rohstoffveranlagung auch jedem Kleinanleger einfach, unkompliziert und äußerst kostengünstig über die Börse zugänglich. Während bei Anlagen in Edelmetalle die Fonds in der Regel den Grundwert für die Investoren physisch einlagern, ist das bei Industriemetallen nicht üblich. „Bei Veranlagungszwecken ist es für die Fonds meist günstiger über Termingeschäfte zu agieren und sich so die Kosten der Lagerhaltung zu ersparen“, sagt Hannes Loacker, Rohstoffanalyst bei Raiffeisen Capitalmanagement. Dementsprechend verursachen die Veranlagungsvolumina in Industriemetallen und Rohöl keine Verknappung des physischen Grundprodukts. Sehr wohl aber eine erhebliche Verschiebung des Preises. Das ist auch unter Experten aber unumstritten. „Wenn sich wie jüngst starke Herdentriebe in eine Richtung bilden führt das naturgemäß zu starken Kurskapriolen“, sagt Cristian Stanciu, Leiter Rohstoffhandel der Wiener Merit Group. Unfreiwillige Trennung.Mit ein Auslöser für den Kurssturz der letzten Wochen dürfte eine nicht ganz freiwillige Trennung von Rohstoffassets durch verschiedene Spekulanten gewesen sein. Wegen der verlockenden Aussicht auf weitere Kursanstiege haben zahlreiche Anleger ihre Veranlagungen mit hohem Risiko gehebelt bzw. auf Kredit gekauft. Als die Rohstoffbörse Comex kürzlich ohne Vorwarnung die Handelsanforderungen verschärfte und die Sicherheits- und Kapitalleistungen mehrmals erhöhte mussten viele Anleger ihre Positionen verkaufen. „Bei Rohöl wurde die Margin heuer bereits vier Mal angehoben und liegt nun um 67 Prozent höher als noch zu Beginn des Jahres. Das hat viele Investoren zum Verkauf gezwungen und diese extreme Abwärtsdynamik mitgetragen“, sagt Hannes Loacker von Raiffeisen Capitalmanagement. Keine Blase?Von einer generellen Rohstoffblase möchten die meisten Experten derzeit aber nicht sprechen. „Rohstoffe sind eine volatile Anlageklasse und reagieren sehr sensibel auf konjunkturelle Entwicklungen. Daher können Rückschläge auch heftig ausfallen“, sagt Monika Rosen, Chefanalystin Private Banking Bank Austria. Die fundamentalen Hintergründe für das Störfeuer an den Märkten für Grundprodukte führen Analysten derzeit primär auf das langsame Abflauen der globalen Konjunkturentwicklung und die steigenden Zinsen zurück. Cristian Stanciu von der Merit Group rechnet kurzfristig nicht mit einer Beruhigung der Märkte: „Nach den deutlichen Anstiegen der Rohstoffpreise der letzten Monate ist eine Korrektur mehr als fällig. Nachdem die Preise von sehr weit unten kommen können die Kurse auch noch deutlich stärker fallen als viele derzeit denken“, sagt Stanciu. Fortsetzung auf Seite 2.

Szenario: Kupfer.Im Basisszenario einer weiterhin soliden Konjunkturentwicklung sehen Analysten derzeit beim Kupferpreis den stärksten Preisanstieg unter den Industriemetallen bis zum Jahresende 2011 (siehe Kasten Prognosen). Die Konsensprognose der vom Industriemagazin befragten Experten liegt bei knapp über 10.000 Dollar, was einem Kursanstieg von rund 16 Prozent zum derzeitigen Niveau entspricht. Obwohl die UniCredit von einem deutlich über den offiziellen Schätzungen liegenden Angebotsdefizit bei Kupfer von mindestens 500.000 Tonnen im Jahr 2012 ausgeht, wurden die Preiserwartungen deutlich zurückgestutzt. „Unsere bisherigen Kursziele für Kupfer erweisen sich angesichts der jüngsten Entwicklungen als zu ambitioniert. Wir nehmen daher unsere Schätzung für 2011 von 9.750 auf 9.100 US-Dollar und für 2012 von 11.500 auf 9.300 US-Dollar je Tonne zurück“, sagt Jochen Hitzfeld, Rohstoffanalyst der UniCredit. Szenario: Aluminium.Deutlich geringer als andere Metalle ist der Aluminiumpreis unter die Räder gekommen. Allerdings hinkte der Konstruktionswerkstoff auch bei den Preisanstiegen deutlich hinterher und legte seit anfangs 2009 nur etwa ein Viertel der Kupferwertsteigerung zu. Analysten erwarten bei Aluminium im Durchschnitt nur einen sehr marginalen Preisauftrieb. „Wir rechnen einerseits mit einer konjunkturell bedingten steigenden Nachfrage nach Aluminium, andererseits dürfte auch das Angebot weiter zunehmen und zu einer Überproduktion führen“, sagt Friedrich Glechner, Rohstoff Analyst der Österreichischen Volksbank AG. Entscheidend für die weitere Preisentwicklung wird auch das politische Tauziehen in China um die Aluminiumproduktion sein. Aufgrund des hohen Energieaufwandes in der Produktion hat China als wichtigster Produzent mit rund 40 Prozent Weltmarktanteil die Exportsteuer erhöht. Dieses Vorgehen der Zentralregierung zur Eindämmung der Schmelzkapazitäten stößt nicht nur bei ausländischen Importeuren sondern auch in vielen eigenen Provinzen auf starke Ablehnung. Szenario: Nickel und Blei.Steil bergab ging es kürzlich auch mit den Notierungen für Nickel und Blei. Nickel ist einer Studie der Commerzbank zur Folge das konjunktursensibelste Industriemetall. „Wir haben errechnet, dass die Nachfrage nach Nickel in der Vergangenheit durchschnittlich das 2,6 fache der jeweiligen Steigerung des Bruttoinlandsprodukts ausgemacht hat“, sagt Eugen Weinberg, Leiter Commodity Research der Commerzbank. Einige Analysten haben bei Nickel derzeit Preisanstiege von bis zu einem Viertel auf der Rechnung. Blei hingegen gilt als das antizyklischste Metall. Hier sollten die aktuell extrem hohen Lagerbestände in der Nähe eines 16-Jahres-Höchststandes an der Londoner Metallbörse zumindest kurzfristig dämpfend auf weitere Preissteigerungen wirken. Für 2011 erwartet die International Lead and Zinc Study Group ein Überangebot an Blei von rund 123.000 Tonnen. Szenario: Rohöl.Keine neuen Rekordwerte werden mehrheitlich trotz der politischen Krisen in einigen ölproduzierenden Ländern beim Rohölpreis in den nächsten beiden Jahren erwartet. „Obwohl der Ölpreis derzeit noch relativ weit von seinem Allzeithoch bei 147 US-Dollar entfernt ist, liegt in vielen Ländern der Benzinpreis durch höhere Raffineriemargen und Steuern über dem Rekordniveau von Sommer 2008. Das könnte sich negativ auf die Nachfrage auswirken“, sagt Rohstoffexperte Jochen Hitzfeld von der UniCredit. Angebotsseitig könnten etwaige Ausfälle beispielsweise aus Libyen aus den derzeit relativ komfortablen Lagerbeständen, aber auch den hohen freien Förderkapazitäten der OPEC mehr als nur ausgeglichen werden. „Wir sehen den Ölpreis zu Jahresende bei 105 US-Dollar und 2012 durchschnittlich bei 100 US-Dollar notieren“, sagt Jochen Hitzfeld. Ganz ohne Strategie.Völlig diametral zu Rohstoffspekulanten agieren die meisten großen heimischen Industriebetriebe am Markt. „Wir versuchen bereits in der Bieter-Phase etwaige Währungs- und Rohstoffschwankungen gänzlich abzusichern“, sagt Michael Buchbauer, Treasury Leiter der Andritz Gruppe. Deutlich weniger strategisch geht laut Erfahrungen des Consulters Kerkoff ein Großteil der mittelständischen Unternehmen im Einkaufsmanagement vor. „Rohstoffe werden oft dann bestellt, wenn die Lager leer sind und nicht wenn es strategisch günstig wäre“, sagt Gundula Jäger, Geschäftsführerin der Kerkhoff Consulting GmbH. Jäger bemängelt primär, dass es häufig keine klaren Entscheidungsgrundlagen für den Rohstoffeinkauf gibt. Zu wenig würden sich Betriebsführer mit den Entwicklungen an den Kapitalmärkten auseinandersetzen und diese in ihre Kalkulationen miteinfließen lassen.Mit den Ködern Schutz gegen Inflation und Staatsbankrott läuft die Auflage neuer Bankveranlagungsprodukte auf Rohstoffe weiter auf Hochtouren. Der jüngste – von Experten als temporär eingeschätzter - Kurssturz an den Rohstoffmärkten dürfte Anleger vorläufig noch nicht nachhaltig aus dieser neu entdeckten Anlageklasse vertreiben. Ob die Wirtschaft wie von Erste Bank Vorstand Andreas Treichl kürzlich verlautbart über die Entwicklung der Rohstoffpreise auf die nächste Finanzmarktkrise zusteuert bleibt abzuwarten. Die Banker haben es mit einem sorgsamen Umgang im Verkauf ihrer Rohstoffprodukte selbst in der Hand. Ronald Felsner