Interview Verbund Deloitte : Michael Strugl, Verbund: „Operation am offenen Herzen“

Gudrun Heidenreich-Pérez, Partnerin Deloitte Österreich, und Michael Strugl, Vorstandsvorsitzender VERBUND

Gudrun Heidenreich-Pérez, Partnerin Deloitte Österreich, und Michael Strugl, Vorstandsvorsitzender VERBUND: „Auch Führungskräfte müssen den Mut haben, eigene Entscheidungen zu hinterfragen.“

- © Thomas Topf

INDUSTRIEMAGAZIN: Herr Strugl, vor welchen Herausforderungen steht die Energiebranche? 

Michael Strugl: Wir befinden uns im Energiesektor mitten in der größten Transformation, die diese Industrie je gesehen hat. Die Energiewende von fossil auf erneuerbar bedeutet für die Energieindustrie einen Totalumbau. Die Herausforderung besteht vorrangig darin, dass wir diese Operation „am offenen Herzen“ vornehmen. Wir müssen zu jeder Zeit und über das ganze Jahr Strom verlässlich und sicher zur Verfügung stellen – und gleichzeitig das System völlig verändern. Die zweite Herausforderung ist, das Zieldreieck der Energiepolitik in Balance zu halten. Es besteht aus Nachhaltigkeit, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit. Der Green Industrial Deal der EU legt derzeit den Schwerpunkt stärker auf die Wettbewerbsfähigkeit und leistbare Energiepreise. Wir sehen die Chance darin, diesen Weg als technologischen Wandel zu gestalten und das klimaneutrale Energiesystem mittels Clean Technologies aufzubauen.

Frau Heidenreich-Pérez, der Wandel in der Energiebranche ist tiefgreifend. Was bedeutet das für Führungskräfte? 

Gudrun Heidenreich-Pérez: Gerade in so dynamischen Zeiten wie dem von Herrn Strugl beschriebenen Umbruch in der Energiebranche stehen Führungskräfte vor der Aufgabe, nicht nur strategisch zu denken, sondern auch emotionale Sicherheit zu vermitteln. Transformation löst oft Unsicherheit aus. Es ist daher essenziell, ein Umfeld zu schaffen, in dem Mitarbeiter:innen den Mut haben, neue Wege zu gehen, auch auf die Gefahr hin, dass nicht alles auf Anhieb funktioniert. Eine lernorientierte Fehlerkultur ist hier zentral. Auch Führungskräfte müssen den Mut haben, eigene Entscheidungen zu hinterfragen und sich weiterzuentwickeln. Was vor einem Jahr noch richtig war, kann schon heute nicht mehr passen. Diese Selbstreflexion und die Bereitschaft, den eigenen Kurs zu korrigieren, sind zentrale Voraussetzungen für erfolgreiche Transformation. Scheitern darf kein Makel sein, sondern ein Lernmoment, der gemeinsam reflektiert und positiv weiterentwickelt wird. 

Herr Strugl, welche Risiken sehen Sie aktuell für den Standort Österreich? 

Strugl: VERBUND erzeugt seit fast 80 Jahren effizient und zuverlässig Strom aus Wasserkraft. Der Bedarf an elektrischer Versorgung wird weiter steigen, denn Strom wird zum zentralen Energieträger der Dekarbonisierung in der Industrie, im Gebäudesektor und in der Mobilität. Wir haben aber unter den derzeitigen Voraussetzungen ein Preisrisiko, und Energiepreise sind ein wichtiger Standortfaktor. Strom wird als Commodity, als homogenes Gut gehandelt, der Preis ergibt sich am Schnittpunkt von Angebot und Nachfrage – mit wachsenden Preisschwankungen bis hin zu negativen Preisen in vielen Stunden des Jahres. Zusätzlich haben wir ein Mengenrisiko, das sich aus den natürlichen Gegebenheiten der Stromerzeugung ergibt. Das heißt, beispielsweise in einem niederschlagsarmen Jahr wie heuer, in dem die Wasserführung relativ dürftig ist, wirkt sich das auf unser Geschäft aus. Wir brauchen daher eine Diversifizierung in unserer Erzeugung, um etwa in Jahren mit weniger Wasser diese geringe Erzeugung durch mehr Sonnen- oder Windenergie zu kompensieren. Die Wasserkraft wird immer unser Rückgrat sein, aber wir wachsen auch stark in anderen Technologien und in anderen Märkten.

„Wir stehen im Energiesektor mitten in der größten Transformation, die diese Industrie je gesehen hat.“ 
Michael Strugl, Vorstandsvorsitzender VERBUND

- © Thomas Topf

Frau Heidenreich-Pérez, wie lässt sich in einem so diversen Umfeld eine gemeinsame Richtung entwickeln? 

Heidenreich-Pérez: Wenn Menschen mit verschiedenen beruflichen Hintergründen, etwa Wasserkraft-Expert:innen und Spezialist:innen für Wind- und Solartechnologien, zusammenkommen, ist es entscheidend, dass sich alle gehört und geschätzt fühlen. Eine Kultur der Offenheit wird umso wichtiger, je vielfältiger die Teams und Perspektiven im Unternehmen sind, vor allem wenn Althergebrachtes auf Innovation und neue Mitarbeitende trifft. Führung bedeutet in diesem Kontext, Brücken zu bauen und gegenseitiges Verständnis zu fördern. Nur so gelingt es, bestehende Silos aufzubrechen und während des Ausbaus neuer Sparten gar nicht entstehen zu lassen. Es braucht eine gemeinsame Vision und die Führungskräfte, die diese glaubwürdig vorleben. 

Herr Strugl, welche Strategie braucht es für ein wirtschaftlich tragfähiges Energiesystem der Zukunft? 

Strugl: In der Vergangenheit haben wir von großen zentralen Kraftwerken über die Netze den Strom dorthin gebracht, wo er gebraucht wurde. Doch die Dezentralisierung der Stromerzeugung schreitet voran und unsere Konsument:innen haben sich in Prosumer verwandelt. Das heißt, Kund:innen sind gleichzeitig Verbraucher:innen und Erzeuger:innen. Die Zukunft liegt deshalb im Management von Flexibilität. Strom muss dann verfügbar sein, wenn er gebraucht wird, auch wenn er ganz woanders und zu einem anderen Zeitpunkt erzeugt wird. Dieses Ungleichgewicht auszugleichen, erfordert neue Ansätze und veränderte Geschäftsmodelle. Gleichzeitig müssen wir als Unternehmen aber auch widerstandsfähig gegenüber volatilen Marktbedingungen, Wetterextremen oder regulatorischen Änderungen bleiben. Wir setzen daher nicht auf ein Entweder-oder, sondern auf Weiterentwicklung. Wir verlängern unsere Wertschöpfungskette durch neue Technologien, digitale Lösungen und den gezielten Einsatz von KI. So sichern wir Versorgung und Systemstabilität sowie wirtschaftlichen Erfolg in dem sich stark verändernden Umfeld. Wir entwickeln uns als Unternehmen vom reinen Stromerzeuger hin zu einem Systemmanager.

Dieser Artikel entstand in Kooperation mit Deloitte.

„Selbstreflexion von Führungskräften und die Bereitschaft zur Korrektur des eigenen Kurses sind zentrale Voraussetzungen für erfolgreiche Transformation.“ 
Gudrun Heidenreich-Pérez, Partnerin bei Deloitte Österreich

- © Thomas Topf