Maschinenbau : Kleine Antriebsbauer kämpfen mit EU-Motorenverordnung

Anfang Dezember soll die Großlieferung aus China kommen: Ein Megalos Antriebe, allesamt Motoren der Wirkungsgradklasse IE2. Dann, so hofft Gerulf Moll, wird auch der Zubau am Stockerauer Standort – der Motorenhändler Moll Motor will um 1600 Quadratmeter erweitern – abgeschlossen sein. Dem Geschäftsführer bleibt gar nichts anderes übrig, als auszubauen: Ab 1. Januar 2015 gelten neue gesetzliche Regelungen für alle in den Verkehr gebrachten Standard-Asynchronmotoren.
Für Antriebe für Leistungen von 7,5 bis 375 Kilowatt ist für die Industrie der gesetzlich geforderte Mindestwirkungsgrad IE3 einzuhalten – oder alternativ der Einsatz von Antrieben mit geringerem Wirkungsgrad plus Frequenzumrichter. Doch die Industrie tut sich mit den neuen Vorgaben erwartungsgemäß wieder einmal schwer – und umgeht die verpflichtenden Vorgaben zum Teil elegant: Liegen die IE2-Antriebe schon beim europäischen Händler auf Lager, ist der Kauf auch weiterhin uneingeschränkt möglich.
Händler wie Moll haben also die Wahl: Entweder sie halten die im Einkaufspreis um bis zu 20 Prozent günstigeren IE2-Antriebe vor – „oder der Kunde geht eben zur Konkurrenz“, sieht er eine großzügige Lagerhaltung als einzigen Ausweg, seine Kundschaft zu halten. Ein Fall unter hunderten? Eher nicht. Erst kürzlich erreichte Moll wieder ein Angebot eines deutschen Maschinenbauers, der noch einen Zweijahresrahmen für IE2-Antriebe platzieren will. Es seien beileibe nicht nur die kleinen Firmen von nebenan, die sich durch den Kauf von Antrieben niedrigerer Wirkungsgradklassen „ein paar Euro“ ersparen wollen, beobachtet Moll. „Sondern zum Teil eben auch Weltmarktführer.“
Ideen für übermorgen
Die Szenerie ist nicht ganz neu: Nicht zum ersten Mal kommen auf die Hersteller von Elektroantrieben und deren Kunden – besonders Maschinen- und Anlagenbauer – im Rahmen der Ökodesign-Richtlinie neue Anforderungen hinsichtlich Energieeffizienz zu. Ab dem 16. Juni 2011 etwa durften nur noch Motoren mit dem Wirkungsgrad IE2 auf den europäischen Markt gebracht werden – 2015 kommt nun die nächste Verschärfung.
Es wird nicht dabei bleiben: Ab 2017 werden die Vorgaben auf Antriebe ab 0,75 Kilowatt ausgedehnt. Und genau in der Situation, wo der Maschinenmarkt „schon mit den alten Regeln zu kämpfen“ habe, wie ein Antriebsexperte aus dem Verbandsumfeld einräumt, will Brüssel mit einer neuerlichen Verschärfung nachlegen. Seit Mitte Juli liegt der Endbericht der Vorstudie im Los 30 – es hat zum Ziel, alle Produkte in Antriebssystemen außerhalb der Motorenbeordnung zu regulieren – vor.
Für all jene, denen es mit der Zwansgverordnung effizienterer Antriebe zu schnell geht, hält er einige unangenehme Überraschungen bereit: So geben die Studiennehmer faktisch eine Empfehlung für den verpflichtenden Mindestwirkungsgrad IE4 für alle mittleren und großen Dreiphaseninduktionsantriebe ab 2022.
Die Situation ist einigermaßen kurios, meint ein Antriebsexperte. Während sich jetzt da draußen gerade alle für die Verschärfung ab 2015 fit machen, kommt die Kommission schon „mit Ideen für übermorgen“ angerast. Manch einer redet zwar das Papier klein. Es sei als bloße „Diskussionsgrundlage“ für die Kommission gedacht – und könne „morgen schon im Shredder landen“, heißt es bei einem Industrieverband. Tatsächlich aber stellt sich die Industrie auf weitere Restriktionen bei der künftigen Motorenauswahl – und weitere Mehrkosten im Einkauf – ein. Große Antriebsbauer dagegen reiben sich die Hände.
Task 8 aus dem Internet
Schon auf der Hannover Messe im April zeichnete sich die Verunsicherung plastisch ab. Der Task 8 von Los 30 wurde von Informationshungrigen aus dem Internet geladen und dann prasselten an den Ständen die Fragen auf die Aussteller ein. Sie wollten in Erfahrung bringen, ob „demnächst IE4-Antriebe gekauft und verbaut werden müssten“, schildert ein Antriebsexperte.
Nicht die einzige Frage, die jetzt aufkommt. Für Einphasenantriebe bis hinunter zu 120 Watt, so eine weitere Überlegung des Studiennehmers Brüssels, könnte in technologischer Hinsicht künftig ebenfalls IE2 als Mindesteffizienzgrad eingeführt werden. „Das wäre eine gewaltige Herausforderung“, warnt CEMEP, der europäische Zusammenschluss nationaler Verbände der Hersteller elektrischer Maschinen und Leistungselektronik.
Es ist – neben bauartbedingten Änderungen, neuen Stücklisten und wieder neuem administrativen Aufwand – abermals die Befürchtung steigender Kosten, die die Industrie aufschrecken lässt: Kostet ein Asynchronmotor 500 Euro, kommt der Hocheffizienzmotor auf 800 Euro und der Frequenzumrichter vielleicht auf 1200 Euro plus 200 Euro für die Inbetriebnahme, rechnet ein Maschinenbauexperte vor. „Nichts gegen Energieeffizienz – preissensibel sind wir aber schon“, meint er. Auch ohne Gespenster sehen zu müssen.
So ist erklärbar, warum Antriebshändler wie Moll Motor jetzt IE2-Antriebe auf Halde legen – und selbst große Industrieunternehmen mit einem weinenden Auge auf die Energieeffizienzverordnungen Brüssels blicken.
„In vielen Bereichen unserer Produktion betreiben wir alte Antriebe lieber als neue – selbst wenn sie im Jahr auf über 8000 Nutzungsstunden kommen“, erzählt ein Energiebeauftragter eines Industriebetriebs. Ein Frequenzumrichter sei oftmals eine „zusätzliche Fehlerquelle“. Und er stellt die Gegenfrage: „Was soll bei einem Motor, der vor 30 Jahren gewickelt wurde, schon kaputtgehen?“
Große Hersteller im Vorteil
90 Prozent Marktaneil sollen einer Prognose von CEMEP zufolge Asynchronantriebe im Jahr 2020 bei Direct-on-Line-Applikationen haben. Die Sorge, das „Arbeitspferd der Industrie“ durch Effizienzauflagen zu stark an die Kandare zu nehmen, ist in der Antriebswelt folglich groß. Die – zumindest technische – Empfehlung, IE4 ab 2022 bei mittleren und großen Dreiphaseninduktionsmotoren im Band von 0,75 Kilowatt bis eintausend Kilowatt vorzuschreiben, blieb nicht unkommentiert. IE4 sei eine gute Lösung für einige wenige Anwendungen, „aber nicht für den volle Leistungsbereich“, hieß es bei einem Industrieverband.
Auch aus folgendem Grund: Der Großteil kleiner europäischer Motorenhersteller würde „Probleme bei der Entwicklung von IE4-Antrieben bekommen“ – einfach, weil das Geld fehlt. Bei einem großen Antriebshersteller sieht man es nicht anders. „Große Hersteller wie wir sind die Gewinner“, reibt man sich dort die Hände. Je komplexer die Antriebstechnik würde, „umso besser ist das für uns“. Man steuere auf eine Zweiklassengesellschaft im Antriebsbau zu. Kleine Hersteller würden sich schon schwer tun, die technologischen Anforderungen für IE3 zu meistern.
Selbst für die großen Hersteller wird ein künftiger Mindeststandard IE4 aber nicht so einfach aus dem Ärmel zu schütteln sein, heißt es in der Branche. Natürlich ließen sich IE4-Antriebe „mit Servomaschinen und Permanentmagneten gut lösen“, meint ein Experte. Aber keiner beherrsche eben „die ganze Bandbreite“. Was dazu- kommt: Große Hersteller steckten extrem viel Geld in die Entwicklung – und könnten jetzt „nicht nochmal hundert neue Entwicklungsingenieure in der F&E hinsetzen“.
30.000 Antriebe wird Gerulf Moll Ende des Jahres in seinem Stockerauer Betrieb lagernd haben. Zwei von drei der Antriebe werden dann Antriebe der Wirkungsgradklasse IE2 sein.
„Hinter den jetzt platzierten IE2-Antrieben stehen in den meisten Fällen noch keine konkreten Verkäufe“, erzählt er. Ob seine Einschätzung, dass der Markt noch IE2-Antriebe absorbiert, dann zutrifft, „wird man sehen“, so Moll.
Bei der verpflichtenden Umstellung von IE1 auf IE2 vor knapp drei Jahren waren die IE1-Antriebe, die er sich auf Lager legte, sechs Monate nach dem Stichtag „nicht mehr so der Renner“, erinnert er sich. Die richtige Entscheidung, das Lager zu füllen, war es damals für ihn trotzdem. Und grundsätzlich glaubt er ja, dass das Thema Energieeffizienz bei Antrieben in Europa für den Gesetzgeber „ein Punkt zum Angreifen“ sei. Selbst wenn er Betrieben, die sich mit den neuen IE3-Vorgaben nicht anfreunden, vorerst mit IE2-Gerät durch die nächsten Monate hilft.
Consultation Forum im Herbst
Dass für die Arbeit mit Brüssel starke Nerven gefragt sind, war zuletzt zu sehen. So plante die Kommission im Vorjahr eine Ausdehnung der Motorenverordnung ursprünglich ohne Übergangsfrist. Es ging um Schlupflöcher etwa im Hochtemperaturbereich, die geschlossen werden sollten. Dann intervenierten die Verbände – und erwirkten eine Gültigkeit der Änderungen erst ab Ende Juli. Es gibt auch Lob: Das Ökodesignmandat arbeite die Kommission nach anfänglicher Kritik von Stakeholdern „vorbildlich ab“, konstatiert ein Motorenspezialist.
„Wir Stakeholder werden immer gehört“, meint ein anderer – auch wenn der Hauptkritikpunkt, die Kommission sehe sich nur Komponenten und nicht ganze Antriebssysteme an, weiter Bestand habe.
„Anstelle der Betrachtung des ganzen Systems noch einmal ein halbes Prozent vom Wirkungsgrad aus dem Motor herauszupressen, finden wir nicht gut“, meint ein Experte. Möglicherweise wird die Kommission auch im Herbst diese Kritik wieder hören.
Für 29. September ist ein Consultation Forum angesetzt. Da werden auch die Mitgliedsstaaten am Tisch sitzen und – so halten es Experten für möglich – nicht mit Kritik an einzelnen Punkten der geplanten Verschärfung der Motorenverordnung hinterm Berg halten. Wann die Verschärfungen durch Los 30 frühestens als Gesetzesentwurf vorliegen könnten? Belastbare Informationen will dazu keiner haben. Nur so viel: „Ich glaube nicht, dass es vor 2016 so weit ist“, meint ein Motorenspezialist.