Intelligente Stromzähler : Smart Meter: Systemtausch

Der 3. Mai war ein sonniger Fenstertag zwischen Wochenende und Nationalfeiertag. Er hätte auch ein angenehmer Tag für die Techniker der großen Stromkonzerne werden können. Konstanter Stromverbrauch, gleichmäßiger Energiezufluss – "business as usual" also in den Steuerzentralen des Landes. Doch dann, gegen Mittag, beunruhigende Meldungen: Innerhalb weniger Sekunden signalisiert eine Flut von Messdaten aus Kärnten und der Südsteiermark zu wenig Spannung – nur um kurz darauf zu viel Spannung zu messen. Ein Ausbalancieren der Netze per Mausklick scheint völlig illusorisch. Das offenbar dramatische Ungleichgewicht im Süden des Landes droht die ganze Republik – und die angrenzenden Regionen außerhalb Österreichs – in einen Blackout zu reißen. Binnen Minuten rücken Nottrupps von Verbund und Kelag zu den Kraftwerken aus, um – wie in den Urzeiten der Stromerzeugung – notfalls per Hand Schleusen zu öffnen oder Umspannwerke vom Netz zu nehmen. „Intelligente Zähler“ als Blackout-Quelle? Verlässlich stabil war das heimische Stromnetz erst Tage nach jenem 3. Mai – und der Beinahe­-Blackout blieb auch von der Öffentlichkeit völlig unbemerkt. Doch auf der Suche nach der Ursache der Turbulenzen war man da erst am Anfang. Ein Hackerangriff auf die Stromnetze schien ausgeschlossen. Dafür gerieten so genannte Smart Meter in den Fokus der Untersuchungen: Jene „intelligenten Zähler“, die seit Monaten in Pilotprojekten in Privathaushalten überall in der Republik installiert werden. Sie sind in ein Kommunikationsnetz mit den Stromerzeugern eingebunden und sollen Endkunden effizienteren Stromverbrauch und Stromerzeugern eine effektivere Nutzung ihrer Kraftwerksinfrastruktur bieten. Doch solche Smart Meter sind eigentlich Mini­Computer. Hat ein Softwarefehler in den schlauen Testpiloten jenen Datenmüll erzeugt, der letztlich zum Fast­Komplettausfall geführt hat? 90 Prozent bis 2019 Sollte sich der Verdacht erhärten, wäre dies ein herber Rückschlag für ein Milliardengeschäft, das gerade erst in Schwung kommt: Laut Gesetz sind in den nächsten sechs Jahren fast alle der rund 5,7 Millionen Stromzähler in Österreich auszutauschen. Die österreichischen Bestimmungen sind dabei – nach jenen Italiens, wo schon seit 2005 rund 30 Millionen Smart Meter älterer Technologie verbaut wurden – die schärfsten in ganz Europa. Die entsprechende EU­Verordnung sieht vor, dass 80 Prozent der Zähler bis 2020 ausgetauscht werden sollen. Das heimische Pendant, die „Intelligente Messgeräte­Einführungsverordnung“ des Wirtschaftsministeriums, setzt hier die Frist auf 2019 – für mindestens 95 Prozent der Geräte. Auch die Zwischenphasen sind fixiert. Schon in vier Jahren müssen hierzulande 70 Prozent der Zähler „intelligent“ sein, also knapp vier Millionen. Teure Vorreiterrolle? Nicht allen gefällt diese Vorreiterrolle: „Warum ist Österreich in diesem Bereich päpstlicher als der Papst?“, meint etwa Christian Neubauer, Sprecher der Wien Energie. Der Druck in Österreich sei nicht nachvollziehbar, meint auch Stefan Zach von der EVN. Besonders, weil die Normenfrage nicht geklärt sei. In der EU gibt es noch keine Normierung zu den Zählern. Die beiden großen europäischen Nationen Frankreich und Deutschland haben sich noch nicht entschieden, welchen Standard sie bevorzugen. Entscheidet sich einer dieser Leitmärkte für einen Zählerstandard, dann würden bei Bestellungen aus Österreich natürlich deutlich günstigere Stückpreise erzielbar sein. „Wer jetzt kauft, kauft viel teurer“, sagt Zach. Lesen Sie weiter: Wer bezahlt den Einbau?

Die Frage, wer den Einbau der schlauen Zähler bezahlen soll, ist ohnehin ungeklärt. Bei der Wien Energie Stromnetz rechnet man mit 300 Euro Stückpreis und inklusive Finanzierung der Infrastruktur mit Kosten von 350 Millionen Euro. Und verspricht – zumindest in der Kundenzeitschrift –, dass die Kosten nicht dem Endverbraucher angelastet werden sollen. Finanziert werden soll die Umstellung über ein so genanntes Messentgelt, das bereits seit Jahren von den Kunden eingehoben wird. Freilich bekommen die Energieversorger von einem durchschnittlichen Haushalt knapp 30 Euro Messentgelt pro Jahr – der Plan, damit den Systemtausch finanzieren zu können, klingt zumindest ambitioniert. Leo Windtner, Generaldirektor der Energie AG, pocht daher auf zusätzliche Veränderungen: „Wir gehen davon aus, dass der Regulator hier entsprechende Konzessionen macht und eine Weiterverrechnung zulässt. Die Kosten übernimmt dann teilweise der Verbraucher. Denn er profitiert ja auch – über preiswerteren Strom.“

Einspareffekt „nicht signifikant“

Das Kostenargument wäre nicht das einzige, das Versorger ihren Kunden erst mühsam vermitteln müssten. So heißt es immer wieder, das jährliche Ablesen der alten Zähler entfalle – nicht wirklich ein Killerargument für die Milliardenausgaben. Und: Kunden können in Zukunft detaillierte Daten ihres Verbrauchs vom Vortag online einsehen – und damit ihre schlimmsten Stromfresser erkennen und Energie sparen. Einzig: In den bisherigen Testphasen war das Interesse der Teilnehmer herzlich gering: Nicht einmal jeder Zehnte machte davon Gebrauch. Manchmal versuchen die Tester daher, den Menschen auf die Sprünge zu helfen. So wurden in einer Studie des Fraunhofer ISI in Deutschland und Österreich die Teilnehmer mit über 40 Tipps zum Energiesparen versorgt.

Das Ergebnis: Der Verbrauch ging um 3,7 Prozent zurück – das wären auf einer durchschnittlichen Stromrechnung rund 26 Euro pro Jahr, denen der Anschaffungspreis eines schlauen Zählers von 300 Euro gegenübersteht. Die Ergebnisse aus einem Pilotprojekt der Vorarlberger Kraftwerke sind noch eindeutiger. In der Auswertung heißt es: „Die Einsparungen allein durch den Einsatz eines Smart Meters und der dazugehörigen Feedbackinstrumente waren mit 0,6 Prozent statistisch nicht signifikant.“

Neue Kanäle für die Datenflut

Bleibt die Sorge vor dem Umgang mit der Datenflut: Um die Millionen Messwerte, die sekündlich durch das Netz gejagt werden sollen (alleine in Wien werden es tagtäglich 180 Millionen Messwerte sein), auch transportieren zu können, müssen viele kleine Datenautobahnen neu geschaffen werden. Vor allem für die stabile Kommunikation zwischen Smart Meter und Versorger fehle bisher eine klare technische Beschreibung, meint etwa Ulrich Wernekink, Geschäftsführer des deutschen Stromversorgers RWE.

In Österreich werden bei der Versendung der Daten derzeit zwei Systeme gleichzeitig ausprobiert: über die Mobilfunknetze und über Stromleitungen. Letzteres sei unzuverlässiger, dauere viel länger und brauche mehr Strom, erklärt Bernd Liebscher, Managing Director der Telekom Austria Group M2M. Große Telekommunikationskonzerne wie Telekom Austria stehen daher mit ihren eigenen Netzen bereit und hoffen auf die Ausschreibungen der Netzbetreiber ab diesem Herbst.

Schwieriger Markt

Ein liberalisierter Markt wie der österreichische macht die Umsetzung nicht gerade leichter, wie ein Beispiel zeigt: Ein fiktiver Haushalt im Wiener Umland, der am Stromnetz der Wien Energie hängt – aber den Strom beim Verbund bezieht. Das Gasnetz hält die EVN bereit, und das Gas liefert die Kelag. Zwei intelligente Zähler müssen in diesem Falle mit vier unterschiedlichen IT­Systemen von Energieversorgern und ­netzbetreibern kommunizieren können.

„Das sind irrsinnige Datenmengen und das kostet wahnsinnig viel Geld“, meint dazu Stefan Zach von der EVN. „Das ist alles lösbar, aber es braucht Zeit, und der Aufwand ist enorm.“ Andere Beobachter rechnen damit, dass Klagen der Energieunternehmen gegeneinander vorprogrammiert sind, sobald beim ersten fehlerhaften Datentausch der Verdacht der Wettbewerbsverzerrung aufkommt.

Ein Instrument des Marktes - kein Baustein der Energiewende

Damit stellt sich die Frage, warum Smart Meter bei all den Nachteilen so energisch in den Markt gedrückt werden. Ein Grund wären sogenannte Kundenvisualisierungen. „Über Daten in Hochspannungsleitungen und Mittelspannungsleitungen weiß man schon viel. Aber wir haben bisher nur wenig Meldungen über das letzte Stück, die Niederspannungsleitung“, erklärt Neubauer.

Dank Smart Metern wird der Verbrauch auf die Viertelstunde genau prognostizierbar, die gesamte Energiewirtschaft kann so Verbrauchsspitzen viel besser einschätzen und benötigt weniger Engpassmanagement. Allerdings wären dafür laut einem Papier der deutschen Bundesregierung viel weniger Zähler an Ortsnetzstationen völlig ausreichend. Doch mit Smart Metern könnten Stromanbieter bald flexible Tarife installieren – die Rede ist hier etwa von billigem Strom in der Nacht und teurem „Kochstrom“ am späten Vormittag.

Auch sind Smart Meter bei sogenannten „Prosumern“ sinnvoll, also bei Konsumenten, die gleichzeitig Produzenten sind, etwa über eine PV-Anlage. Ihr Anteil freilich wird bis 2020 kaum auf 95 Prozent aller Verbraucher steigen.

Cui bono?

Das häufigste Argument für die Umstellung: Ohne Smart Meter keine Energiewende. Bei näherem Hinsehen ist dieses Argument genauso unhaltbar wie jenes der Stromeinsparung. Tatsächlich unbedingt notwendig sind Smart Grids, intelligente Netze.

In einem Eckpunktepapier schreibt die deutsche Bundesnetzagentur dazu: „Aus den Notwendigkeiten eines Smart Grids heraus leitet sich keine Notwendigkeit für eine flächendeckende Ausbringung von Smart Metern ab.“ Dann werden die deutschen Netzhüter noch etwas deutlicher. „Smart Meter sind in der Hauptsache marktdienlich und nicht primär netzdienlich.“

Auch wenn darüber niemand gerne spricht, wäre dies also der eigentliche Zweck der Umstellung: Smart Meter sind kein notwendiger Baustein der Energiewende, sondern ein Werkzeug für den Markt.

Zu wessen Nutzen? Eine Antwort auf diese Frage bekommt man in der Branche schnell – aber nur „off the records“. Die eigentlichen Nutznießer sind jene, die am besten aus dem Geschäft aussteigen. Logisch eigentlich. ///